Kommentar zur Anti-Chaoten-InitiativeZürich erhält das schärfste Demo-Gesetz der Schweiz
Es herrscht Einigkeit, dass man gegen «Chaoten» schärfer vorgehen muss. Die Massnahmen dürfen aber nicht verhindern, dass legitime politische Anliegen auf die Strasse getragen werden.
Im Moment sind es die Bauernfamilien. Sie machen mit Fackelmärschen und spontanen, friedlichen Aktionen auf ihre politischen Anliegen aufmerksam. Bei ihrem Anblick denkt niemand an Chaoten. Und doch betrifft sie der Zürcher Volksentscheid.
Künftig braucht jede Veranstaltung, jeder Aufruf, jede Kundgebung, «welche zu gesteigertem Gemeingebrauch des öffentlichen Grunds führt», eine Bewilligung – auch eine spontane Traktorversammlung auf einer Autobahnbrücke. Und jeder ausserordentliche Polizeieinsatz, der «vorsätzlich» ausgelöst wird, muss verrechnet werden. Bei einer unbewilligten Strassenblockade zum Beispiel müssen die Bauernfamilien künftig die Einsatzkosten der Polizei tragen. Auch in der Stadt Zürich, wo das bisher nicht der Fall war.
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So sieht es der Gegenvorschlag zur Anti-Chaoten-Initiative vor, den die Zürcher Stimmbevölkerung mit 64 Prozent angenommen hat. Im ganzen Kanton haben nur zwei Wahlkreise den Gegenvorschlag abgelehnt: die Stadtzürcher Kreise 3 und 4+5. Das ist interessant, weil es in diesen Quartieren nicht nur die meisten linken Wähler gibt. Sondern weil deren Bewohnerinnen und Bewohner auch mit Abstand am stärksten betroffen sind von den gewalttätigen Ausschreitungen, über die im Zuge der Abstimmung immer wieder gesprochen wurde.
Gleichzeitig wurde die Initiative der SVP deutlich verworfen, 59 Prozent der Bevölkerung stimmten dagegen. Der Unterschied zwischen Initiative und Gegenvorschlag ist bemerkenswert, weil sich Initiative und Gegenvorschlag inhaltlich gar nicht so sehr unterscheiden. Fakt ist: Zürich erhält das schärfste Demo-Gesetz der Schweiz.
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Der Gegenvorschlag ist leicht abgeschwächt, etwa weil die Polizeikosten nur dann überwälzt werden können, wenn man einer Person einen Vorsatz nachweisen kann. Was aber beiden Vorlagen gemein ist, ist die absolute Bewilligungspflicht von Kundgebungen und Veranstaltungen. Das dürfte internationale Kritik nach sich ziehen. Es könnte sein, dass Zürich damit gegen die Grundrechte verstösst. Ziemlich sicher wird sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ein paar Jahren mit dieser Frage befassen.
Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger liefern leider jeweils keine Erklärung dafür mit, wieso sie dieses verwerfen und jenes billigen. Müsste man spekulieren, man würde vermuten, dass dahinter vor allem eine grundsätzliche Unmutsbekundung steckt. Man ärgert sich über radikale Gruppen am Rand – seien es Linksextreme, Rechtsextreme oder Klimakleber – und will, dass das aufhört. Nur: Aufhören wird das nicht. An den politischen Rändern gibt es extreme Gruppierungen, die durch Gewalt auf sich aufmerksam machen. Man kann das verurteilen, verhindern kann man es nicht.
Auf der anderen Seite sind wechselnde Gruppierungen, die mit mehr oder weniger spektakulären Aktionen auf ihre legitimen politischen Interessen aufmerksam machen. Im Moment sind das die Bäuerinnen und Bauern. Die entscheidende Frage ist, wie sich das neue Gesetz auf sie auswirkt.
In einer Demokratie kann keiner wollen, dass die Leute nicht mehr auf die Strasse gehen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Unabhängig davon, wie man bei der Anti-Chaoten-Initiative abgestimmt hat.
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