Kopf der Anti-Chaoten-InitiativeDieser Jungpolitiker aus der Agglo zwingt der linken Stadt seinen Kurs auf
Er ist der Mr. Anti-Chaoten-Initiative: Sandro Strässle, 35 Jahre alt und Berufsmilitär aus Dietikon, hat einen Nerv getroffen.
Kasernen, Bunker und Truppenübungen nachts um zwei sind normalerweise die Lebenswelt von Sandro Strässle. Zuletzt tauschte der Berufsmilitär seine Uniform – Gradabzeichen Adjutant Unteroffizier – aber häufiger gegen Anzug und Hemd ein, um in den Medien, auf der Strasse und im Kantonsrat für seine Sache zu weibeln. Sandro Strässle, Präsident der Jungen SVP im Kanton Zürich, ist das Gesicht der Anti-Chaoten-Initiative.
An der Urne wurde die Vorlage zwar deutlich abgelehnt. Nur 40,8 Prozent waren für die Initiative. Ein wuchtiges Ja von 63,8 Prozent gab es aber zum Gegenvorschlag, der unter dem Druck der Initiative entstand. Und dies, obwohl nicht nur die Linken und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beide Vorlagen als «klar rechts- und verfassungswidrig» taxierten. Auch renommierte Rechtsprofessoren sprachen sich dagegen aus, weil eine zwingende Bewilligungspflicht für sämtliche Demonstrationen die Grundrechte verletze.
Sandro Strässle wertet das Ergebnis deshalb als Erfolg. Er ist überzeugt: «Ohne Gegenvorschlag hätten wir gewonnen.» Seine Jungpartei hat quasi im Alleingang erreicht, dass Demonstrierende für ausserordentliche Polizeieinsätze, die sie vorsätzlich verursachen, bezahlen müssen. «Wenn der Gegenvorschlag vernünftig umgesetzt wird, bin ich zufrieden», sagt er.
Der Nichtraucher im Raucherzelt
Wir treffen Sandro Strässle wenige Tage vor der Abstimmung vor seiner Stammbeiz, der Zeus Music Bar in Dietikon. Er steuert schnurstracks einen Tisch im grossen Raucherzelt an – hier sitze man eben, nicht drinnen, sagt Strässle, 35, Nichtraucher.
Dann erzählt er, wie die Idee für die Anti-Chaoten-Initiative an einem Workshop der Jungen SVP ausgetüftelt wurde. «Ich erinnere mich, wie ich als kleines Kind vor dem Fernseher sass und Bilder von Ausschreitungen am 1. Mai sah. Ich fragte meine Mutter: Mami, warum dürfen die das? Warum tut niemand etwas dagegen?»
Aufwind gab der Initiative das Aufkommen von Klimaklebern und grossen Velodemos mit den damit verbundenen Verkehrsbehinderungen in der Stadt Zürich. Strässle und seine Unterstützer nutzten die monatliche Velodemo Critical Mass, indem sie bei den im Stau stehenden Autofahrern Unterschriften für ihre Initiative sammelten.
Nein, er selbst sei wegen Klima- oder Velodemos noch nie im Stau gestanden, sagt Strässle. «Wissen Sie, mit dem Auto fahre ich gar nicht mehr erst in die Stadt. Insofern hat die linke Regierung ihr Ziel erreicht.»
Es ist ebenjene Regierung, die Polizeikosten, die bei Demonstrationen anfallen, grundsätzlich nie den Demonstrierenden in Rechnung stellt. Die Stadt Zürich wollte ihr Regime sogar lockern und die Bewilligungspflicht für kleine Demonstrationen ganz aufheben. Der Ausgang der Abstimmung zwingt der Stadt nun einen anderen Kurs auf. Gemäss dem Gegenvorschlag muss sie die Bewilligungspflicht beibehalten und ihre Polizeikosten zwingend den verursachenden Personen verrechnen, wenn diese vorsätzlich gehandelt haben.
Schulstart: 21 Ausländerkinder und er
Sandro Strässle kennt die Grossstadt gut, lebte zwischendurch da. Heute ist er zurück in Dietikon, wo er in mittelständischen Verhältnissen als einziges Kind einer alleinerziehenden Mutter aufwuchs.
Gerade für die einwanderungskritische SVP ist Dietikon ein spezielles Pflaster, leben hier doch so viele Ausländerinnen und Ausländer wie sonst nirgends im Kanton Zürich. 48,5 Prozent der 28’000 Menschen in Dietikon haben keinen Schweizer Pass.
«Als ich in die Schule kam, waren wir zwei Schweizer unter 23 Kindern in der Klasse», sagt Strässle. «Aber das war nicht tragisch, es konnten fast alle Deutsch, und wir hatten es gut miteinander.» Heute sei dies anders, es gebe Klassen, in denen die Hälfte kein Deutsch könne. Das sei dann ein Problem für alle – die Schweizer, die Ausländer, die Lehrerinnen und Lehrer. Viele Menschen würden deshalb von Dietikon wegziehen, sobald sie Kinder bekämen.
Ausserhalb seiner Jungpartei, die er seit zwei Jahren führt, ist Sandro Strässle wenig bekannt. Weggefährten beschreiben ihn als unkompliziert, nahbar und «extrem umgänglich».
Einer, der ihn schon lange kennt, ist der Dietiker SVP-Kantonsrat Rochus Burtscher. Burtscher schätzt ihn als «verlässlichen, überlegten und strukturiert arbeitenden» Parteikollegen. Die Resultate vom Abstimmungswochenende seien ein Achtungserfolg: «Es ist ein Zeichen an alle Jungen und Jungparteien, dass sie auf dem politischen Weg wirklich etwas erreichen können, wenn sie eine umsetzbare Forderung stellen.»
Ähnlich sieht es Luis Deplazes. Seine Partei, die Jungfreisinnigen Kanton Zürich, unterstützte die Initiative. «Die Junge SVP hat mit der Initiative einen Nerv getroffen. Dafür darf sie sich ruhig auf die Schulter klopfen.»
Sicherheitsdienst, Berufsmilitär, freiwillige Feuerwehr
Sandro Strässle hofft nun, dass die Verschärfung des Demonstrationsrechts den einen oder anderen davon abhalten wird, an unbewilligten Demonstrationen teilzunehmen. Angst, dass die Behörden die Bewilligungspflicht ausnutzen und politisch unliebsame Kundgebungen verhindern könnten, hat er nicht. Dafür seien die rechtlichen Hürden sehr hoch.
Ein ausgeprägter Sinn für Recht, Ordnung und Sicherheit prägte Sandro Strässles berufliche Laufbahn. Nach einer Lehre als Autoersatzteilverkäufer trat er in den Sicherheitsdienst am Flughafen Zürich ein. Mit 23 Jahren ging er zum Berufsmilitär. In der Kaserne Bülach ist er heute «Chef Fachbereich Betrieb Führungsanlagen» – gemeint sind vor allem Bunker – und zuständig für die Betreuung junger Milizkader. In der Freizeit ist Strässle in der freiwilligen Feuerwehr.
Obwohl ihn gesellschaftliche Fragen umtrieben, zögerte Strässle lange, politisch aktiv zu werden. Keine Partei wollte ihm zu 100 Prozent entsprechen. Erst mit 28 Jahren, als ein Freund für den Dietiker Gemeinderat kandidierte, trat er der SVP bei. Sympathien hegt er für die liberale Gesellschaftspolitik der FDP (nicht aber deren EU-Kurs): Ehe für alle, der Konsum von weichen Drogen, «jeder soll doch, wie er will, solange er sein Tun selbst verantwortet». Strässles Partnerin ist die Vizepräsidentin der Jungfreisinnigen im Kanton Zürich, Lea Sonderegger.
Bei den Kernthemen Sicherheit, Wohlstand und Unabhängigkeit sei er aber schon immer der Volkspartei verbunden gewesen, sagt er. In der Welt, wie Sandro Strässle sie sieht, läuft alles auf eine Schlussfolgerung hinaus: Die Schweiz müsse sich wappnen für Notlagen. Das Land spare seit Jahrzehnten bei der Armee, und in Europa breche ein Krieg aus. In der Corona-Pandemie und bei der Strommangellage habe man zu spät reagiert, Pflichtlager seien geleert und AKW stillgelegt worden, obwohl die Szenarien doch auf dem Tisch gelegen hätten.
Und was geschieht mit der auf Importe angewiesenen Schweiz, wenn in Europa die Nahrungsmittel knapp werden? Strässle befürchtet, eine wohlstandsverwöhnte Gesellschaft könnte verlernt haben, den Ernst der Lage rechtzeitig zu erkennen.
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