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Abstimmung vom 9. Juni
Von 2 bis 12 Milliarden: Was kostet uns die Prämieninitiative?

"Es ist die Hoelle" – Reportage aus einer Kinderarztpraxis in der Schweiz, plus Schilderungen von deutschen KinderaerztInnen. Schlechte Bezahlung, enormer Andrang, fehlende Medis und was das fuer die Kinder bedeutet.

03.01.2023
(SILAS ZINDEL/TAGES-ANZEIGER)
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Nach der Abstimmung über die 13. AHV-Rente im März wird die Bevölkerung am 9. Juni mit der Prämieninitiative der SP abermals über eine Vorlage mit grossen finanziellen Auswirkungen entscheiden. Dieses Mal ist allerdings noch unklar, wie hoch die Kosten tatsächlich ausfallen würden. Das hängt unter anderem vom Einführungszeitpunkt und der Kostenentwicklung bis dahin ab.

Die Prämieninitiative fordert, dass Krankenkassenprämien künftig nicht mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens eines Haushalts ausmachen. Der Rest müsste per Prämienverbilligung ausgeglichen werden, bezahlt zu zwei Dritteln vom Bund und einem Drittel von den Kantonen.

Für den Fall einer Umsetzung auf 2027 und eines günstigen Verlaufs erwartet der Bund fürs erste Jahr zusätzliche Kosten von rund 7 Milliarden Franken. Weil die Gesundheitskosten schnell anwachsen, könnte der Zusatzaufwand für Bund und Kantone bis 2030 im Extremfall knapp 12 Milliarden Franken betragen. Zum Vergleich: Der Bund verfügt derzeit über ein Jahresbudget von gut 80 Milliarden und hat grosse Mühe, dieses einzuhalten.

Das zumindest sind die offiziellen Zahlen des Bundes. Mit Pierre-Yves Maillard greift nun jedoch einer der wichtigsten Köpfe hinter der Initiative diese Berechnungen an: «Unzuverlässig» und «übertrieben» seien sie, sagt der Waadtländer SP-Ständerat und Präsident des Gewerkschaftsbunds. In Wahrheit würde die Umsetzung der Initiative viel billiger.

Die umstrittene Frage ist, wie das Parlament die Initiative bei einer Annahme umsetzen würde. Der Initiativtext schreibt nur die Obergrenze von 10 Prozent vor, nicht jedoch beispielsweise, für welche Franchise diese gelten soll oder wie das verfügbare Einkommen definiert werden soll.

Weil der Bund für seine Kostenschätzung diesen Entscheidungen nicht vorgreifen konnte, musste er gewisse Annahmen treffen. Unter anderem geht er davon aus, dass die Berechnung der Obergrenze künftig anhand der tiefstmöglichen Franchise von 300 Franken vorgenommen würde.

Diese Annahmen haben Einfluss auf die Prämie, auf deren Basis berechnet wird, ob der Prämienaufwand von Bürgerinnen und Bürgern die Grenze von 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens übersteigt. Je tiefer die angenommene Franchise, desto höher ist die Prämie, desto mehr Personen könnten von einer Prämienverbilligung profitieren und desto teurer würde die Einführung für Bund und Kantone.

Ebenso kostentreibend wirkt, dass der Bund damit rechnet, dass alle Anspruchsberechtigten die Prämienverbilligung beziehen würden. Das ist jedoch bereits heute bei weitem nicht der Fall.

Sogar die SP kam auf ähnliche Zahlen

Initiant Maillard hält diese Annahmen darum für unrealistisch: «Die bürgerlichen Parteien dominieren im Parlament. Sie würden die Initiative sicher nicht so umsetzen.» Die Umsetzung der Initiative würde dann günstiger. Maillard vermutet stattdessen hinter den Annahmen des Bundes politisches Kalkül, um der Bevölkerung Angst vor den hohen Kosten der Initiative einzujagen.

Allerdings ist das Bundesamt für Gesundheit, das für die Berechnungen verantwortlich ist, seit Jahren in SP-Hand: Zur Zeit der umstrittenen Berechnungen war Alain Berset als Innenminister der oberste Chef. Jetzt heisst die Chefin Elisabeth Baume-Schneider.

Vor allem aber hat sich das Amt bei seinen Annahmen auf die Wünsche der Initianten gestützt: Diese hatten in ihren Konzepten vor Jahren dargelegt, dass sie unter anderem die 300-Franken-Franchise bevorzugen würden. Sie stellten damals eigene Berechnungen zu den Kostenfolgen der Initiative an und kamen auf eine ähnliche Grössenordnung, wie es der Bund jetzt tut.

Maillard sagt trotzdem: «Der Bund hätte bei seinen Erläuterungen den Spielraum des Parlaments erwähnen müssen.»

Bundespraesident Alain Berset, links, und Nationalrat Pierre-Yves Maillard, SP-VD, rechts, sprechen waehrend der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 28. September 2023 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Oftmals sind die vorgeschlagenen Texte in Volksinitiativen so allgemein formuliert, dass das Parlament Spielraum hat, wenn es die Umsetzungsgesetze erarbeitet. Dabei gilt im Grundsatz der Anspruch, dass sich das Parlament am Willen der Initianten orientiert, so diese ihn vor der Abstimmung klar geäussert haben.

Hitzige Diskussionen darüber, wie der Text im Fall einer Annahme ausgelegt werden müsste, gab es beispielsweise im Vorfeld der Konzernverantwortungsinitiative 2020. Letztlich wurde diese knapp abgelehnt. Über die Masseneinwanderungsinitiative der SVP, die die Bevölkerung 2014 angenommen hat, besteht die weitverbreitete Meinung, dass das Parlament bei der Umsetzung den Initiativtext zugunsten stabiler Beziehungen mit der EU sogar verletzt hat.

«Mir scheint, die Initianten haben Angst vor ihrem eigenen Mut bekommen», sagt FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt. «Es gibt keinen Grund, an den offiziellen Zahlen des Bundes zu zweifeln.» Die FDP führt den Kampf der Bürgerlichen gegen die Prämieninitiative an.

Dass das Parlament die Initiative anders umsetzen werde, als die SP es wolle, sei reine Behauptung, sagt Silberschmidt. Die Frage, ob er die Initianten bei deren Forderung nach einer 300-Franken-Franchise unterstützen würde, lässt er jedoch offen.

Maillard kritisiert nicht nur die Annahmen des Bundes, sondern legt auch eigene Berechnungen vor. Gestützt darauf sagt er: «Es ist realistisch, dass die Prämieninitiative am Schluss zu weniger als 2 Milliarden Franken Mehrkosten für die öffentliche Hand führt.»

Zur Begründung zieht er seinen Heimatkanton Waadt heran, der 2018 eine 12-Prozent-Obergrenze für Krankenkassenprämien eingeführt und diese im Jahr darauf auf 10 Prozent gesenkt hat. Das ist der gleiche Grundsatz, wie ihn die Prämieninitiative verlangt.

Unter anderem ist die Waadt jedoch bei der Berechnung des Anspruchs auf Prämienverbilligung nicht von einer 300-Franken-Franchise ausgegangen, wie es jetzt der Bund tut. «Und das, obwohl unser Kantonsparlament nicht bürgerlicher ist als jenes im Bundeshaus», sagt Maillard. Stattdessen rechnet die Waadtländer Verwaltung heute mit einer durchschnittlichen Franchise.

Die Ausgaben des Kantons f¨ür die Prämienverbilligungen seien zwischen 2019 und 2022 nicht stärker gewachsen als vor der Reform, rechnet Maillard vor. Das liegt auch daran, dass es Personen gibt, die vor 2018 allein aufgrund ihres tiefen Einkommens Prämienverbilligungen erhalten haben, selbst wenn die Prämien 10 Prozent ihres Einkommens bei weitem nicht überstiegen. Bei ihnen gleicht der Kanton seither Prämienerhöhungen nicht mehr komplett aus.

Die Finanzierung ist noch völlig offen

Zur Wahrheit gehört aber auch: Dass der Anstieg im Schnitt zwischen 2019 und 2022 tief ausfiel, hat vor allem mit dem tiefen Prämienwachstum in jenen Jahren zu tun. Der damalige Gesundheitsminister Alain Berset hatte die Krankenkassen dazu gezwungen, ihre Reserven zugunsten der Prämienzahlenden aufzubrauchen. Als die Prämien 2023 wieder stark anstiegen, stiegen die Kosten für den Kanton Waadt stärker als in den Vorjahren.

2018 und 2019 dagegen, als die Waadt ihre Reform schrittweise einführte, nahmen die Mehrkosten gegenüber dem vorherigen Wachstum um 114 Millionen Franken zu. Müsste man der Waadtländer Reform ein Preisschild anhängen, wäre es dieses.

Maillard hat das in einer Milchbüchleinrechnung auf die ganze Schweiz hochgerechnet. Dabei hat er miteinbezogen, dass die Waadt bei der Prämienverbilligung schon vor 2018 überdurchschnittlich grosszügig gewesen war, was den späteren Kostenanstieg minderte.

Das Resultat: Bund und Kantone müssten mit Mehrkosten von unter 2 Milliarden Franken rechnen. «Das wäre deutlich weniger, als es die Gegner mit ihrer Panikmache behaupten», sagt Maillard und fügt an: «Gesamtgesellschaftlich kostet die Initiative sogar gar nichts. Ohne unsere Initiative würden die Kosten ebenso steigen, bloss müsste sie dann die Bevölkerung über horrende Kopfprämienerhöhungen bezahlen.»

Wie die öffentliche Hand für die neuen Kosten aufkommen soll, ist genauso ungeklärt wie deren Höhe. Maillard liefert darauf keine klare Antwort. Stattdessen sagt er, mit einer Deckelung der Prämien wachse der Anreiz für Bund und Kantone, das Kostenwachstum zu begrenzen.

Auch die SP-Co-Parteichefs Cédric Wermuth und Mattea Meyer beantworteten im Interview mit dieser Zeitung Anfang April wiederholte Fragen dazu nicht deutlich. Damit ist nur etwas klar: Die Stimmbevölkerung hat keinen Durchblick, welche finanziellen Folgen ein Ja am 9. Juni hätte.