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Keine einzige Zermatt-Abfahrt
Die Rennen am Matterhorn? Ein Debakel – und doch versuchen sie es 2024 nochmals

The course is being dismantled as an alpine ski, women's World Cup downhill was cancelled due to strong wind, in Cervinia-Zermatt, Italy, Sunday, Nov. 19, 2023. (AP Photo/Alessandro Trovati)
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Was sich am Montag am Flughafen Zürich abspielen wird, hat etwas Sinnbildliches. Da besteigen sechs Schweizer Top-Abfahrerinnen und ihre Betreuer ein Flugzeug und heben ab Richtung USA. Ziel: Copper Mountain, Colorado.

Natürlich ist es keine Flucht aus der Schweiz, aus Zermatt, wo es geschneit und gewindet hat und fast alles an Ski-Trainings und -Rennen abgesagt wurde, was überhaupt abgesagt werden konnte. So auch die beiden Abfahrten der Frauen am Samstag und am Sonntag wegen starker Windböen. Und doch wirkt es irgendwie so, nach dem, was in den letzten zwei Wochen passiert ist.

Zwei Trainings fanden auf der Piste Gran Becca von Zermatt hinunter nach Cervinia im Aostatal statt, je eines bei den Männern und den Frauen – und keine einzige Abfahrt. Angesagt waren insgesamt sechs Trainings und vier Speed-Events. Und jetzt also fliegt die Schweizer Delegation nach Übersee, obwohl die Strecke am Matterhorn eigentlich bereitstünde für weitere Testfahrten in den nächsten zwei Wochen – und die kommenden Rennen in der Heimat in St. Moritz stattfinden.

Workers remove gates after the women's downhill race was cancelled due to strong winds, on the new ski course "Gran Becca" at the Alpine Skiing FIS Ski World Cup Zermatt-Cervinia, in Cervinia, Italy, Sunday, November 19, 2023. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Zum einen begründen die Verantwortlichen diese Entscheidung, die schon vor rund zwei Wochen getroffen wurde, mit der Unterlage aus Kunstschnee, die sie auf dem Zermatter Gletscher nicht antreffen. Zum anderen ist es eben auch die unsichere Wetterlage auf über 3000 Metern über Meer an exponierter Stelle ohne Bäume, die sie ins Flugzeug treibt.

Ökologisch absurd, sportlich begründbar

Für Aussenstehende wirkt die Reiserei reichlich absurd, nicht zuletzt aus ökologischer Sicht. Sportlich aber ist sie begründbar, will Swiss-Ski seinen Athletinnen doch die bestmöglichen Bedingungen bieten. Und da es in Europa schlicht keine Abfahrtspiste gibt, die in dieser Jahreszeit befahren werden könnte, weichen sie aus. Die Ausnahme wäre einzig Zermatt.

Doch die Lust, hier noch auf gute Bedingungen zu warten, dürfte so manchem Team vergangen sein, kaum eines bleibt hier. Die Premiere im Vorjahr fiel aus, weil zu wenig Schnee lag. Oder weil die Organisatoren nach dem Schnellentscheid des Weltverbands FIS, der die Rennen unbedingt schon 2022 wollte, zu wenig Schneedepots angelegt hatten. In diesem Jahr gab es von diesen fünf statt zwei. Nun wäre gar keines notwendig gewesen, so viel Schnee fiel in den letzten Wochen. Teils eben gar zu viel.

OK-Präsident Franz Julen zückt seinen Plan mit roten und grünen Punkten, die zeigen, wie oft in den letzten knapp eineinhalb Jahrzehnten freie Fahrt herrschte hier oben und wann nicht trainiert werden konnte. «Drei, vier Tage so, dann zwei, drei Tage wieder anders», sagt er. Das Wetter um diese Jahreszeit: eine Lotterie. Seit 2010 habe es das erst einmal gegeben, dass drei Wochen dermassen miese Bedingungen geherrscht hätten, sagt Julen auch noch. Aber auch nur einmal war das Wetter über so lange Zeit gut. Fakt ist: Vor dem Wind haben viele gewarnt, schon als das Projekt 2019 vorgestellt wurde, vor dem frühen Zeitpunkt im Spätherbst ebenso.

Was bleibt? Ein Scherbenhaufen

Doch der Anlass wirkte schlicht zu verlockend: eine Abfahrt mit dem Matterhorn im Rücken – wenngleich nicht von seiner schönsten Seite; erste länderübergreifende Weltcuprennen auf Schweizer und italienischem Boden; Speed-Auftakt, volle Aufmerksamkeit der ganzen Ski-Welt. Nach zwei Jahren bleibt ein Scherbenhaufen zurück.

Das Image litt wegen Bildern von Baggern, die sich auf dem Gletscher zu schaffen machten. Dass sie das seit Jahrzehnten jeden Sommer abseits der Öffentlichkeit tun, nützte bei der Lautstärke des Aufschreis nur wenig. Dass eine Menge Material auf den Berg gekarrt wird, Zelte für VIPs und Medien, eine Tribüne und andere Installationen – und das alles allein schon eineinhalb Millionen Franken kostet, nützt ebenso wenig. Dass auch neben der vorgesehenen Zone mächtig gewerkelt wurde und die kantonale Baukommission einschritt, war ein mittleres Desaster.

Und als Supplement all die Absagen in den zwei Jahren. Zwei läppische Trainings statt 20 Fahrten. Natürlich geben sich die Organisatoren kämpferisch, wenngleich sie und ihre Hunderten Mitarbeiter in den letzten Tagen litten. Natürlich folgen aber auch Fragen: Machen Rennen hier oben um diese Jahreszeit Sinn? Machen sie überhaupt Sinn? Wer braucht das?

Eigentlich schreit alles nach einer Verschiebung – wenn an den Rennen festgehalten wird. Allerdings ist der Spielraum klein. Eine Woche vor, eine zurück, so heisst es beim Veranstalter. Rennen im Frühling, wenn das Wetter tendenziell ruhiger ist? Unmöglich. Da müssten noch viel mehr Arbeiten am Gletscher vorgenommen werden, liege dann doch oft meterweise Schnee auf dem Hang. Und die Hotels seien zu der Zeit ohnehin ausgebucht.

Franz Julen, president of the organizing committee, reacts after the women's downhill race on the new ski course "Gran Becca" was cancelled due to strong winds, at the Alpine Skiing FIS Ski World Cup Zermatt-Cervinia, in Cervinia, Italy, Sunday, November 19, 2023. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Der FIS, den Partnern Swiss-Ski und dessen italienischem Pendant Fisi wird also auch nächstes Jahr nichts anderes bleiben, als ganz fest zum Wettergott zu beten. Denn dass Zermatt/Cervinia ad hoc aus dem Rennkalender gestrichen wird, ist trotz der vielen und berechtigten Kritik praktisch ausgeschlossen. Schon nur, weil FIS-Präsident Johan Eliasch ein grosser Fürsprecher ist. Zudem haben die Organisatoren mit der FIS einen Vertrag bis 2026 abgeschlossen. Und: Das Komitee ist breit abgestützt, Swiss-Ski, Fisi, die Zermatter Bergbahnen und diejenigen von Cervinia sowie beide Tourismusorganisationen beteiligen sich an der Durchführung.

Welche Versicherung macht da mit?

Was allerdings zur schwierigen Aufgabe werden dürfte: die Verhandlung mit dem Versicherer. In diesem Jahr sind sämtliche Einnahmeausfälle von diesem gedeckt, die Haupteinnahmen aus Zuschauer- und VIP-Tickets, Sponsorenverträgen und öffentlichen Beiträgen, die zum Budget von insgesamt rund acht Millionen Franken beitragen. Die Organisatoren halten sich also zumindest finanziell schadlos. Die Frage ist nun, ob ein Versicherer nach den Erfahrungen im letzten und in diesem Jahr noch bereit ist, ein Angebot zu ähnlichen Konditionen zu unterbreiten. Wenn nicht, seien halt der Schweizer und der italienische Verband gefordert, sagt Julen.

Dort ist man gewillt, auch in jenem Fall am Projekt festzuhalten und allfällige Ausfallentschädigungen etwa durch einen Fonds zu decken. Jedenfalls werden sämtliche vier grossen Sponsoren im kommenden Jahr noch dabei sein. Danach läuft lediglich ein Vertrag aus. Kommt es 2024 erneut zu einem Desaster und zu vielen Absagen, stellen sich dennoch grundlegende Fragen.

Switzerland's Lara Gut Behrami prepares to leave as an alpine ski, women's World Cup downhill was cancelled due to strong wind, in Cervinia-Zermatt, Italy, Sunday, Nov. 19, 2023. (AP Photo/Alessandro Trovati)

Mit jedem abgesagten Event sinkt das Interesse der FIS, Zermatt/Cervinia im Kalender zu behalten. Auch wenn es keinem Veranstaltungsort den Platz wegnimmt und nur eine bisherige Lücke füllt, ist der logistische Aufwand für die Teams beträchtlich – und derjenige der Organisatoren erst recht.

Spätestens dann dürfte der Blick Richtung Übersee gehen und dürften allfällige Gespräche mit Lake Louise wieder aufgenommen werden, wo die Abfahrer und Abfahrerinnen lange Zeit ihren Auftakt hatten, bevor die Investoren absprangen. Ist der kanadische Nobelort oder ein anderer Veranstalter in Nordamerika imstande, im November Abfahrten durchzuführen, müsste auch niemand mehr nur für Trainings nach Übersee fliegen. Sondern könnte dort auch gleich noch um Punkte und Prämien fahren. Mit deutlich grösserer Wahrscheinlichkeit als auf dem Gletscher von Zermatt.