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Friedensverhandlungen für den Jemen
Wie die Schweizer Diplomatie einen Geheimdeal ermöglichte

Ein Soldat in der Nähe des Flughafens in Genf vor dem Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Juni 2021.
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Es ist ein Durchbruch, der Hoffnung macht. Mitten im jemenitischen Bürgerkrieg (siehe Box) haben sich die Kriegsparteien auf Schweizer Boden darauf geeinigt, 887 Kriegsgefangene freizulassen. Die Geheimverhandlungen fanden an einem unbekannten Ort im Kanton Bern statt und wurden nach zehn Tagen erfolgreich abgeschlossen. Im Palais des Nations, dem UNO-Sitz in Genf, haben die Parteien dem Plan zur Freilassung und damit den Details des Abkommens zugestimmt. 

«Das ist ein riesiger Erfolg. Der Gefangenenaustausch ist ein Symbol für Hoffnung und Menschlichkeit inmitten der Schrecken des Krieges.»

Fabrizio Carboni, Regionaldirektor für den Nahen und Mittleren Osten beim IKRK

Es waren nicht die ersten Verhandlungen in der Schweiz. Bereits 2020 und 2022 trafen sich die jemenitischen Kriegsparteien hierzulande, unter anderem an einem Ort über dem Genfersee, und es kam zu koordinierten Freilassungen. Nun ist sogar ein weiterer Gefangenenaustausch möglich, falls sich beide Parteien an die Abmachungen halten und die Kriegsgefangenen unversehrt zu ihren Angehörigen zurückkehren. Die Parteien haben bereits vereinbart, im Mai ein nächstes Mal zusammenzukommen.

«Das ist ein riesiger Erfolg. Der Gefangenenaustausch ist ein Symbol für Hoffnung und Menschlichkeit inmitten der Schrecken des Krieges», freut sich Fabrizio Carboni, Regionaldirektor für den Nahen und Mittleren Osten beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Es waren das IKRK und der schwedische Diplomat Hans Grundberg, der Sondergesandte von UNO-Generalsekretär António Guterres für den Jemen, die zwischen den Parteien vermittelt und sie in die Schweiz eingeladen hatten. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) übernahm den Part des Gastgebers. 

«Wenn sich Kriegsparteien auf Gespräche einigen, ist das immer eine erste vertrauensbildende Massnahme, aus der mehr entstehen kann.»

Wolfgang Amadeus Brülhart, EDA-Sonderbotschafter

Auch im EDA sieht man im «in Genf vereinbarten Austauschplan einen Schritt in die richtige Richtung». Wolfgang Amadeus Brülhart, EDA-Sonderbotschafter für den Nahen und Mittleren Osten, sagt: «Wenn sich Kriegsparteien auf Gespräche einigen, ist das immer eine erste vertrauensbildende Massnahme, aus der mehr entstehen kann.» Nur der Dialog könne «zu einer Lösung des Konflikts und zu einem soliden und dauerhaften Frieden führen», betont der stellvertretende EDA-Staatssekretär Thomas Gürber. Aus diesem Grund unterstütze die Schweiz die Vermittlungsbemühungen der UNO und des IKRK und richte die Verhandlungen als Gaststaat aus. 

Vor internationalen Verhandlungen auf Schweizer Boden empfangen Schweizer Diplomaten ihre Gäste bereits am Flughafen. Im März 2015 begrüsst EDA-Botschafter Wolfgang Amadeus Brülhart (Mitte) US-Aussenminister John Kerry zu den Verhandlungen für ein Nuklearabkommen mit dem Iran.

Die Schweiz ist bekannt dafür, dass sie solche Gesprächsrunden innerhalb kürzester Frist organisieren kann. Kommt eine Anfrage wie jene des Jemen von der UNO und dem IKRK, prüft das EDA die Machbarkeit innert Tagen. Dann schlägt das Aussendepartement einen Verhandlungsort vor und lädt den «Aufgabensteller» in die Schweiz ein, um die Örtlichkeit zu besuchen. Passt der Ort dem Einladenden nicht, werden Alternativen gesucht. «Infrastruktur und Logistik machen 30 Prozent des Verhandlungserfolgs aus», sagt Botschafter Brülhart. Für die Verhandlungsleiter dürfe es keine Ablenkung geben, die Delegationen müssten in allen Details gleich behandelt werden, so Brülhart. Das beginnt bereits beim Empfang am Flughafen, wo jeweils eine EDA-Delegation die ankommenden Delegationen willkommen heisst.

Je länger die Verhandlungen dauerten, desto näher kamen sich die Delegationen

Für Reise und Unterkunft kommen die Delegationen in der Regel selbst auf. Die Schweiz übernimmt nur einen kleinen Teil der Kosten und organisiert insbesondere Visa, Transporte und das Sicherheitsdispositiv. Für die Zeit der Gespräche mietet das EDA am Verhandlungsort ein eigenes Hotelzimmer und sorgt dafür, dass den Konfliktparteien rund um die Uhr eine Ansprechperson zur Verfügung steht. Gespräche finden selbst mitten in der Nacht statt. Vom Verhandlungstisch halten sich Schweizer Diplomaten strikt fern. Es kommt aber durchaus vor, dass die Delegationen Schweizer Diplomaten während der Verhandlungen um Rat anfragen und um eine Einschätzung bitten. Formulieren Schweizer Diplomaten einen Lösungsansatz, zum Beispiel für die Umsetzung, werden die Gastgeber sogenannte Fazilitatoren. 

Im Reisetross von Diplomaten befinden sich immer auch Journalisten. Wie hier während der Nuklearverhandlungen im Hotel Beau-Rivage müssen sie sich auch nachts bereithalten, um über Durchbrüche oder ein Scheitern von Gesprächen zu berichten.

Friedensverhandlungen prägen nicht nur Schweizer Diplomaten, sondern auch das Hotelpersonal. Zum Beispiel im Fall des Lausanner Hotels Beau-Rivage, wo 2015 Delegationen aus der EU, dem Iran, Frankreich, Grossbritannien, Deutschland, den USA, China und Russland tagelang über ein Abkommen im Atomstreit mit dem Iran verhandelten. Im Beau-Rivage mieden die Delegationen zu Beginn der Verhandlungen den direkten Austausch abseits des Konferenzsaals. Doch je länger sich die Verhandlungen hingezogen, desto näher kamen sich die Delegationen. Das Eis schmolz rasch. Die Pausen bei den Verhandlungen für ein Nuklearabkommen mit dem Iran nutzten die Diplomaten, um im Garten Schach zu spielen oder gemeinsam zu essen. 

Schliesslich gefiel dem Brautvater der Vorschlag, dass der damalige US-Aussenminister John Kerry für einige Minuten ans Hochzeitsfest kam. 

Und dann gibt es auch Anekdoten wie diese: Im Oktober 2016 trafen sich in einem Lausanner Hotel russische und amerikanische Spitzendiplomaten zu Syrien-Gesprächen. Sie drohten einem Hochzeitspaar räumlich in die Quere gekommen, das seine Feier im selben Hotel seit langem geplant hatte. Das Hotel und EDA-Diplomaten boten dem Paar an, seine Hochzeit in einen anderen Saal zu verlegen. Doch der Brautvater wollte weder die Hochzeit seiner Tochter verlegen, noch gefielen ihm die schwer bewaffneten Sicherheitsleute rund ums Hotel. Die Hochzeitsgesellschaft auszuladen, war ebenso unmöglich, wie die Syrien-Gespräche an einen anderen Ort zu verlegen. Schliesslich verfing beim Brautvater der Vorschlag, dass der damalige US-Aussenminister John Kerry für einige Minuten ans Hochzeitsfest kam, um eine Glückwunschbotschaft zu überbringen. 

Während diplomatischer Verhandlungen bleiben Hotels, wie das Beau-Rivage in Lausanne, in der Regel für Gäste geöffnet. Der ehemalige Aussenminister John Kerry musste während Syrien-Gesprächen sogar einmal an einer Hochzeit auftreten, um eine «diplomatische Krise» zu verhindern.

Ins Lausanner Hotel Beau-Rivage kehren Minister und Diplomaten nach erfolgreichen Verhandlungen nicht selten als Privatleute zurück, um jenen Ort wieder zu besuchen, an dem sie wichtige Gespräche geführt haben. Gerade Delegationen aus der Türkei beherbergt und bewirtet man da regelmässig, weil in Friedensgesprächen im Château d’Ouchy, gleich nebenan, der sogenannte Lausanner Vertrag ausgehandelt wurde. Das Lausanner Abkommen regelte den Lebensraum von türkisch- und griechischstämmigen Bürgerinnen und Bürgern und definierte die Landesgrenzen zwischen der Türkei und Griechenland. Am 24. Juli jährt sich das Lausanner Abkommen zum hundertsten Mal.

Die Anzahl jener Staaten, die sich wie die Schweiz, Österreich und Norwegen heute als Platz für Friedensgespräche anbieten, wächst. Auch Staaten wie die Türkei, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, China und Saudiarabien bieten sich heute für Friedensverhandlungen an.