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Hinrichtungen nach Protesten im Iran
Auf der Exekutionsliste stehen mindestens 20 weitere Demonstranten

Solidarität mit dem iranischen Aufstand: Demonstration in Los Angeles gegen die Regierung im Iran. (Archivbild) 
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Das iranische Regime setzt weiter auf grösste Brutalität und hat einen zweiten Teilnehmer der Strassenproteste hinrichten lassen. Der 23-jährige Majid Reza Rahnavard wurde am Montag in der Pilgerstadt Mashhad öffentlich gehängt. In einem rechtsstaatlich mehr als zweifelhaften Prozess war er zum Tode durch den Strang verurteilt worden wegen des «Kriegs gegen Gott» – eine Standardformulierung für Widerstand gegen das Islamistenregime in Teheran.

Teheran brandmarkt die meist jungen Demonstranten als «Terroristen», die sich von Feindstaaten wie den USA oder europäischen Regierungen hätten kaufen lassen, um Unruhe zu stiften und der Islamischen Republik zu schaden. Die Aussenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten haben derweil in Brüssel einstimmig neue Strafmassnahmen gegen den Iran beschlossen.

44 Minderjährige und Kinder getötet

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna soll der am Montag Hingerichtete während der Proteste im November zwei der verhassten paramilitärischen Basij-Milizionäre mit einem Messer angegriffen und getötet haben. Die Exekution des jungen Mannes ist die zweite eines Teilnehmers der seit Mitte September anhaltenden Demonstrationen gegen das Regime. Bei den Unruhen sind bisher fast 500 Demonstranten ums Leben gekommen, darunter laut Amnesty International 44 Minderjährige und Kinder. Auch Dutzende Polizisten und Basiji wurden getötet.

Solidarität mit dem iranischen Aufstand: Demonstranten in Rom fordern ein Ende der Hinrichtungen im Iran. 

Am vergangenen Donnerstag war bereits Mohsen Shekari gehängt worden. Der Rapmusiker soll ebenfalls bei einem Strassenprotest einen Basij-Milizionär angegriffen haben und war wegen «Kriegs gegen Gott» zum Tode verurteilt worden. Mindestens drei weiteren bekannten Musikern, die auch unter Anklage stehen, droht das gleiche Schicksal. Insgesamt stehen derzeit mindestens 20 Demonstranten auf der Exekutionsliste. Die iranische Justiz ist berüchtigt für ihre zahlreichen Todesurteile. Geständnisse der Angeklagten werden fast immer unter Folter erzwungen, sie haben meist keinen Zugang zu frei gewählten Anwälten.

Im Fall der aktuellen Proteste ist die fehlende Rechtsstaatlichkeit mehr als offensichtlich. Die Justizführung und mehrere Regimevertreter hatten die Gerichte öffentlich aufgefordert, Protestteilnehmer hart und schnell abzuurteilen. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisieren die iranische Justiz seit Jahrzehnten und klagen erfolglos Rechtsstaatlichkeit ein. Das Verfahren und das Todesurteil gegen den Rapper Shekari ist laut Amnesty ein «unfairer Scheinprozess». Das iranische Strafrecht lehnt sich stark an die Scharia an, das islamische Gesetz, mit dem das Mullah-Regime auch den Vorwurf «Krieg gegen Gott» begründet.

Das Regime lässt seit Beginn der Proteste grösste Härte gegen die meist jungen Demonstranten walten.

Die landesweite Protestbewegung war am 16. September entstanden, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini in Teheran im Gewahrsam sogenannter Tugendwächter ums Leben gekommen war. Das Regime behauptet, die iranische Kurdin sei einem Herzversagen erlegen. Sehr vieles spricht aber dafür, dass sie nach der Festnahme durch die bis vor kurzem noch öffentlich patrouillierende Sittenpolizei durch Schläge in der Polizeistation Hirnverletzungen erlitt, denen sie drei Tage später im Spital erlag. Festgenommen worden war Mahsa Amini wegen eines angeblich «unsittlich» locker getragenen Kopftuchs.

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Das Regime lässt seit Beginn der Proteste grösste Härte gegen die meist jungen Demonstranten walten. Sie werden sehr häufig von jungen Frauen angeführt, die öffentlich das Kopftuch ablegen und den Slogan «Frau, Leben, Freiheit» zu ihrem Schlachtruf und Bekenntnis gemacht haben. Die Regimegegner setzen auf dezentrale Proteste, denn schon gegen kleinste Menschenansammlungen geht das Regime mit Schlagstock und Schrotmunition vor.

Hardliner haben das Sagen

Das einzige Zugeständnis der Staatsführung war es bisher, die vor allem bei den iranischen Frauen verhassten Tugendwächter aus dem Strassenbild zu entfernen. Es ist aber unklar, ob die Sittenpolizei wirklich abgeschafft werden soll, wie es der iranische Generalstaatsanwalt behauptet hat. Eine offizielle Stellungnahme des Regimes fehlt dazu bislang. Eine Abschaffung dürfte rasch den Ruf nach dem völligen Ende des Kopftuchzwangs und der anderen Vorschriften nach sich ziehen, mit denen Teheran die Rechte der iranischen Frauen seit Jahrzehnten unter Berufung auf die Scharia massiv einschränkt. Landeskenner gehen davon aus, dass das in viele Fraktionen zerfallene Regierungslager in der Frage uneins ist.

Das Sagen haben aber uneingeschränkt die Hardliner rund um den Geistlichen Führer Ayatollah Ali Khamenei. Und die Rufe nach Reformen aus dem regimetreuen Lager sind bisher überschaubar. Aufsehen erregt hatte aber, dass sich eine Schwester und eine Nichte Khameneis öffentlich von dessen Politik distanzierten und an die Seite der Protestierenden stellten. Auch der als Reformer bekannte Ex-Präsident Mohammed Khatami war dafür eingetreten, auf die Protestierenden zuzugehen.