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Protestwelle im Iran
Schüsse, Schlagstöcke und Elektroschocker gegen das Volk

Die Proteste haben fast das gesamte Land erfasst und sind zu einer der schwersten Herausforderungen der Islamischen Republik in den vier Jahrzehnten ihrer Existenz geworden.
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Im Iran hält das Kräftemessen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften an. Angeführt von Frauen, protestieren weiter Zehntausende. Ausgelöst wurden die Unruhen ursprünglich durch den Tod einer jungen Frau, die Mitte September von der Sittenpolizei festgenommen worden war und ums Leben gekommen war. Inzwischen richten sich die Proteste aber gegen das islamistische Regime selbst: Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini halten die Unruhen unvermindert an. Sie haben fast das gesamte Land erfasst und sind zu einer der schwersten Herausforderungen der Islamischen Republik in den vier Jahrzehnten ihrer Existenz geworden. Auch wenn sie noch nicht als systembedrohend gelten, könnte sie es werden: Inzwischen solidarisieren sich Arbeiter der Öl- und Gasindustrie.

Sie fiel ins Koma

Nicht ohne Grund drosselten die Behörden nach Angaben der Netzschutz-Organisation Netblocks vor dem Hintergrund neuer Protestaufrufe das Internet erneut drastisch. «Dieses Vorgehen dürfte die Kommunikation und die Organisation von Protesten erschweren», erklärte Netblocks: Die Protestierenden organisieren sich über die sozialen Medien. Zudem gab es erneute Berichte über das Vorgehen der Sicherheitskräfte, die nicht nur Schlagstöcke, Elektroschocker und Schrot einsetzen, sondern auch scharf schiessen. Vor allem im kurdischen Landesteil war die Lage angespannt. Dorthin sollen laut AP in grosser Zahl Sicherheitskräfte und Gerät verlegt worden sein.

Die in Oslo angesiedelte Menschenrechtsorganisation «Iran Human Rights» hatte zuletzt die Zahl von 201 Opfern genannt. Unklar war, ob darunter ums Leben gekommene Sicherheitskräfte waren. Nach staatlichen Angaben sind bereits mehr als 20 Polizisten getötet worden. Mahsa Amini war bei einem Besuch der Hauptstadt Teheran wegen eines angeblich zu freizügig getragenen Kopftuchs von der Sittenpolizei auf der Strasse angehalten und offenbar geschlagen worden. Sie fiel ins Koma und starb am 16. September in einer Klinik.

Offenbar um die Wucht der Proteste nach aussen abzuleiten, griffen iranische Truppen erneut Lager iranisch-kurdischer Rebellen im Nachbarland Irak an.

Offiziell ist die Todesursache ungeklärt. Während die Familie von Hirnverletzungen durch Schläge spricht, bestreitet das Innenministerium dies. Auch eine forensische staatliche Untersuchung schloss Gewalt aus. Auf medizinischen Aufnahmen, die aus dem Spital stammen und Aminis Kopf zeigen sollen, waren aber Hirn-Traumata zu erkennen.
Besonders heftig sind die Unruhen in den Kurdengebieten des Landes: Mahsa Amini war Kurdin. Ihr Vater hatte die Vorwürfe unter anderem in einem BBC-Interview wiederholt. Auch ihr Bruder, der Zeuge der Festnahme war, sprach davon, dass seine Schwester mit dem Kopf gegen einen Polizeiwagen gestossen worden war.

Offenbar um die Wucht der Proteste nach aussen abzuleiten, griffen iranische Truppen erneut Lager iranisch-kurdischer Rebellen im Nachbarland Irak mit Raketen und Artillerie an. Die Regierung behauptet, dass die Proteste von «ausländischen Kräften» angeheizt würden. Das Regime hatte schon bei früheren Unruhen behauptet, diese trügen die Handschrift der USA. Innenminister Ahmad Wahidi sagte nun: «Unsere Feinde glauben, dass sie mit der Unterstützung der Proteste einen politischen Umsturz erreichen können. Aber dieser Gedanke ist dumm, weil sie nichts über das Land wissen.»

Das Regime ist nervös

Dass sich Frauen an die Spitze der Protestbewegung gesetzt haben, zu deren ikonischen Kennzeichen das abgenommene Kopftuch und abgeschnittene Haare zählen, muss das Regime nervös machen. Gewaltsam gegen Frauen vorzugehen, wirkt noch brutaler, als sich die Sicherheitskräfte früher gezeigt haben. Besonders beunruhigend für die Herrschenden muss es sein, dass die Demonstrationen alle ethnischen und religiösen Gruppen ergreifen und die Proteste von Menschen aller Gesellschaftsschichten getragen werden.

Teile der Basarhändlerschaft haben sich dem Protest angeschlossen. Arbeiter der iranischen Öl- und Gasindustrie sollen sich inzwischen ebenso solidarisieren. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete von Streiks in der Abadan-Raffinerie im Südwesten und in einem am Persischen Golf gelegenen Gaswerk in Assaluyeh. Sollten sich diese unbestätigten Berichte bewahrheiten, wäre dies bedrohlich für das Regime: Die Rohstoff-Industrie ist lebenswichtig.