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Proteste im Iran
Neue Bündnisse setzen die Mullahs unter Druck

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Die Rollläden der Geschäfte im Grossen Basar in Teheran blieben am vergangenen Wochenende geschlossen. Dabei ist Samstag Wochenbeginn in Iran, ab frühmorgens drängen sich normalerweise die Menschen auf dem insgesamt zehn Kilometer langen Markt, sie kaufen Teppiche, Tücher, quietschbunte Waren aus China, Gewürze, Nüsse. Doch Videos aus den sozialen Netzwerken zeigen in diesen Tagen nur noch vereinzelte Menschen, die durch leere Gassen eilen. Nun könnte man meinen, dass die Bazaris, so wird die wohlhabende Händlerzunft genannt, angesichts der Proteste Sorge haben, dass ihre Geschäfte beschädigt werden.

Doch Beobachterinnen und Beobachter sehen in der Schliessung eine seltene Solidaritätsbekundung mit den Demonstrierenden, die nun schon seit vier Wochen auf die Strasse gehen. Die Proteste hatten nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini Mitte September begonnen. Die Reaktion der Bazaris auf die Protestwelle sieht der politische Analyst und Leiter der Politikberatung Orient Matters in Berlin, David Ramin Jalilvand, vor allem als symbolisch wichtig an: «Im Selbstverständnis der Islamischen Republik spielen die Bazaris eine grosse Rolle, sie waren einst sehr einflussreich, haben bei der Revolution von 1979 den Schulterschluss mit den Islamisten gesucht und zu ihrem Erfolg beigetragen.»

Eigentlich stehen die Händler den Klerikern nahe

Vor der Islamischen Revolution fühlten sich die Händler durch die Industrialisierungsambitionen des Schahs ökonomisch an den Rand gedrängt. Doch da diese unter der Islamischen Republik fortgeführt wurden, haben ihre Macht und ihr Einfluss weiter abgenommen. «Heute spielen sie in der Wirtschaft des Landes keine so grosse Rolle mehr», sagt Jalilvand. Dennoch sei ihre Reaktion nicht unbedeutend für das Regime, denn weltanschaulich stünden die Bazaris den Klerikern eher nahe. Ihr Rückhalt sei jedoch für die Verhältnisse im Land eben nicht so massgeblich wie in den 1960-ern und 1970-ern.

Dagegen sind die Revolutionsgarden, die Elitetruppe Irans, gegründet 1979 als Säule des Ayatollah-Systems, in allen Bereichen der iranischen Wirtschaft sehr präsent. «Wirklich gefährlich könnte es für die Islamische Republik in ihrer jetzigen Form werden, wenn es aus den Reihen der Revolutionsgarden einen Putsch gäbe», glaubt Jalilvand. Die Folge könnte eine Militärdiktatur sein, mit der Aussicht auf ein paar mehr persönlichen Freiheiten als bislang – die kommerziellen Interessen der Garden und damit auch die ökonomischen Probleme grosser Teile der Bevölkerung würden dann allerdings bestehen bleiben.

Regime redet Proteste klein

Darauf deutet allerdings noch nichts hin. Politisch wird stattdessen alles versucht, um die landesweiten Proteste herunterzuspielen. Am Wochenende kam die iranische Führung zu einem Krisentreffen zusammen. Zuvor wurde der ultrakonservative Präsident Ebrahim Raisi von Studierenden der Teheraner Frauenuniversität Al-Sahra mit gereckten Mittelfingern und Sprechchören wie «Tod dem Unterdrücker» empfangen. Raisi machte hingegen mal wieder ausländische Kräfte für die Demonstrationen verantwortlich. Vize-Innenminister Madschid Mirahmadi erklärte die Proteste sogar für beendet und kündigte ein noch härteres Vorgehen gegen die Demonstrierenden an. Menschenrechtsorganisationen zufolge wurden bislang mehr als 130 Menschen getötet, viele weitere verletzt.

Was noch fehle, sei eine politische Vision, hinter der sich die Mehrheit der Iranerinnen und Iraner versammeln könnten, sagt Jalilvand: «Sie sind sich bislang in der Ablehnung der jetzigen Verhältnisse einig und überzeugt, dass das System der Islamischen Republik nicht mehr reformierbar sei, sowohl die Menschen im Iran als auch die in der Diaspora.» An dem Slogan «Frauen, Leben, Freiheit» entzünde sich allerdings bereits eine Debatte im Iran, beobachtet der Experte: «Die Menschen diskutieren darüber, wie ein Danach aussehen könnte. Sie erörtern dabei grundsätzliche politische Fragen ebenso wie konkrete Anliegen, etwa zu sozialer Gerechtigkeit oder zur Rolle des Staats in der Wirtschaft.»

«Das Blut unserer Jugend tropft von deinen Händen»

Ein echter Gamechanger wäre der Tod des geistlichen Oberhaupts, Ayatollah Ali Khamenei, Oberbefehlshaber der iranischen Streitkräfte, 83 Jahre alt. Er leidet seit Jahren an Prostatakrebs. Auf ihn hatte es am Samstagabend eine Gruppe namens «Gerechtigkeit Alis» abgesehen. Sie schaffte es, die live im Fernsehen übertragenen Abendnachrichten im Staatsfernsehen zu hacken und blendete den in Flammen stehenden Ali Khamenei mit einer Zielscheibe auf dem Kopf ein, ausserdem Fotos von Mahsa Amini und drei weiteren Frauen, die bei den jüngsten Protesten getötet wurden. Dazu die Aufrufe «Mach mit und erhebe dich» und «Das Blut unserer Jugend tropft von deinen Händen», nur für wenige Sekunden, aber zur besten Sendezeit. Der Nachrichtensprecher musste danach erst einmal schlucken.