Proteste gegen RegierungWut nach Hinrichtung eines zweiten Demonstranten im Iran
Im Iran ist nach Angaben der Staatsmedien ein zweiter Demonstrant im Zuge der systemkritischen Proteste hingerichtet worden. Dem Angeklagten wurde «Kriegsführung gegen Gott» vorgeworfen.
Im Iran ist ein zweiter Demonstrant im Zuge der systemkritischen Proteste hingerichtet worden. Der wegen «Kriegsführung gegen Gott» angeklagte Madschid-Resa R. wurde am Montag in der Stadt Maschad im Nordosten des Landes öffentlich gehängt, bestätigte die Justizbehörde auf ihrem Nachrichtenportal Mizan. Der Mann soll während der Proteste im November zwei Mitglieder der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einem Messer ermordet haben. Das Gericht hatte ihm «Kriegsführung gegen Gott» vorgeworfen und ihn gemäss islamischer Rechtsauffassung zum Tode verurteilt.
Der 23-jährige Madschid-Resa R. war nach Angaben auf Mizan am 17. November verhaftet worden. Innerhalb von 26 Tagen wurde er angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Einen rechtlichen Beistand hatte er Online-Berichten zufolge nicht. Neben der Tötung der beiden Miliz-Angehörigen soll er auch vier weitere verletzt haben.
Die Nachricht der Hinrichtung löste im Iran landesweit Empörung und Wut aus. «Wer Wind sät, wird Sturm ernten» oder «Wir werden das Blut der Unschuldigen rächen» waren wütende Reaktionen der Systemgegner in sozialen Medien. Die regierungsnahe Tageszeitung «Resalat» schrieb hingegen: «Begnadigung ist gut, aber im Islam ist Gerechtigkeit wichtiger».
EU-Aussenminister beraten über schärfere Sanktionen
Sein «Verbrechen» habe im «Protest gegen die Ermordung von Mahsa Amini» bestanden, kritisierte die in den USA lebende iranische Aktivistin Masih Alinedschad. Hinrichtungen seien «die Methode des Regimes, mit Protesten umzugehen». Die US-Journalistin forderte die Europäische Union auf, ihre Botschafter abzuberufen.
Am Montag wollten die EU-Aussenminister auf einem Treffen in Brüssel über verschärfte Sanktionen gegen den Iran beraten. Insgesamt sollen laut Diplomaten fast 30 weitere Verantwortliche und Einrichtungen mit Vermögens- und Einreisesperren belegt werden.
Voraussichtlichen Vollstreckung weiterer Todesurteile
Eine weitere Hinrichtung wurde Medienberichten zufolge vorläufig verschoben. Der ebenfalls wegen «Kriegsführung gegen Gott» verurteilte Mahan S. sollte demnach am Sonntag im Radschaei-Schahr Gefängnis westlich der Hauptstadt Teheran gehängt werden. Der 23-Jährige soll während der Proteste ein Basidsch-Mitglied mit einem Messer verletzt und dessen Motorrad angezündet haben, was er vor Gericht jedoch entschieden bestritt.
Die «Basidschis», freiwillige Milizen der iranischen Revolutionsgarden, werden im Iran unter anderem zur Unterdrückung von Protesten eingesetzt. Sie gelten als die treuesten Anhänger des Systems, von denen gesagt wird, sie seien bereit, ihr Leben als Märtyrer zu opfern. Auch bei den jüngsten Protesten gingen die Basidschis laut Augenzeugen gegen die Demonstranten äusserst brutal vor. Daher richten sich die Wut und Aggressionen der Demonstranten insbesondere gegen die Basidsch-Milizen. Unter den in den vergangenen zehn Wochen im Zusammenhang mit den Demonstrationen ums Leben gekommenen Polizei- und Sicherheitskräften sollen sich vor allem Basidchis befinden.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte auch davor, dass das Leben des ebenfalls zum Tode verurteilten Sahand N. in Gefahr sei, weil er «Autobahngeländer abgerissen und Mülltonnen und Reifen angezündet» habe.
Aktivisten sprechen von «Scheinprozessen»
Vergangenen Donnerstag hatten die iranischen Behörden das erste Todesurteil im Zusammenhang mit den Protesten vollstreckt. Dem 23-jährigen Mohsen S. war vorgeworfen worden, bei einer Strassenblockade in Teheran ein Mitglied der paramilitärischen Basidsch-Milizen verletzt zu haben. Seine Hinrichtung war international scharf kritisiert worden.
Menschenrechtsorganisationen hatten am Wochenende bereits vor weiteren Hinrichtungen gewarnt. Die iranische Justiz hat nach eigenen Angaben elf Menschen im Zusammenhang mit den Protesten zum Tode verurteilt. Aktivisten zufolge sind jedoch gegen rund ein dutzend weiterer Menschen Anschuldigungen erhoben worden, denen ebenfalls die Todesstrafe droht.
«Kein ordentliches Verfahren. Scheinprozesse. So wollen sie die landesweiten Proteste stoppen», erklärte Omid Memarian, Iran-Experte bei Democracy for the Arab World Now (Dawn).
Festgenommene Künstler freigelassen
Derweil wurden iranischen Medien zufolge drei wegen eines Videos zur Unterstützung der Protestbewegung im Land festgenommene Künstler gegen Kaution freigelassen. Theaterregisseur Hamid Purasari und die Schauspielerinnen Soheila Golestani und Faeseh Aeen seien seit Sonntagabend auf freiem Fuss, berichtete die Nachrichtenagentur Isna.
Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen waren Purasari und Golestani Ende November nach der Veröffentlichung des Protestvideos festgenommen worden. In dem Video, das sich rasant im Internet verbreitete, trug keine der Frauen eine Kopfbedeckung – laut Isna «ein Gesetzesbruch».
Der Iran wird seit Monaten von heftigen Protesten erschüttert. Ausgelöst wurden sie durch den Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini am 16. September. Die 22-Jährige war nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei wegen eines angeblich nicht ordnungsgemäss getragenen Kopftuchs gestorben. Aktivisten werfen der Polizei vor, die junge Frau misshandelt zu haben.
Moderate Kreise im Land warnen vor einer weiteren Eskalation und fordern unter anderem Neuwahlen, um die politische Krise im Land friedlich zu beenden. Für sie sind Präsident Ebrahim Raisi, seine Regierung sowie die Hardliner im Parlament und in der Justiz nicht mehr tragbar. Beobachtern zufolge rückt eine derartige Option nach der Hinrichtung des zweiten Demonstranten und der voraussichtlichen Vollstreckung weiterer Todesurteile allerdings in weite Ferne.
SDA/AFP/aru
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