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Proteste im Iran
Ex-Präsident Khatami setzt sich für Protestierende ein und riskiert viel

Wie stark der von den Protestierenden ausgerufene, landesweite Generalstreik im Iran befolgt wird, lässt sich kaum beurteilen.
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Während eines von der iranischen Protestbewegung ausgerufenen Generalstreiks hat sich ein früherer Staatspräsident und politischer Reformer auf die Seite der Regimegegner gestellt: Irans Ex-Präsident Mohammed Khatami sagte am offiziellen Studentenfeiertag, die Teheraner Führung müsse auf die Protestierenden zugehen, «bevor es zu spät ist». Khatami war zwischen 1997 und 2005 Staatspräsident. Nach zwei Amtszeiten war er mit seinen anfangs erfolgreichen Reformversuchen am islamistischen Regime gescheitert. Er hatte sich in den letzten Jahren aus dem politischen Leben weitgehend zurückgezogen.

Wie stark der von den Protestierenden ausgerufene landesweite Generalstreik befolgt wird, lässt sich auch kaum beurteilen. Videos in den sozialen Medien zeigen geschlossene Geschäfte und Sicherheitskräfte in den Strassen Teherans. Agenturberichten zufolge waren aber viele Läden offen. Anders soll es im iranischen Kurdengebiet sein, wo der Streikaufruf offenbar stärker verfolgt wird und die Lage extrem angespannt sein soll.

Freiheit darf nicht unterdrückt werden

Der inzwischen 79-jährige Ex-Präsident Khatami nahm vor allem die Studenten in Schutz. Gegen sie gehen die Sicherheitskräfte mit besonders grosser Brutalität vor. «Freiheit und innere Sicherheit dürfen nicht gegeneinander aufgerechnet werden», mahnte Khatami die Staatsführung. «Freiheit darf nicht unter dem Vorwand innerer Sicherheit unterdrückt werden.» Er schränkt in einem Zugeständnis an das Regime ein: «Aber die innere Sicherheit darf auch nicht im Namen der Freiheit ausser Acht gelassen werden.»

Khatami riskiert viel. Das schiitische Islamisten-Regime hat schon früher angesehene regimekritische Würdenträger in Haft genommen oder jahrelang unter Hausarrest gestellt. Der Ex-Präsident lobte dessen ungeachtet «den wunderschönen Slogan» der Protestbewegung. Dieser war nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im September entstanden. Die Demonstranten rufen bis heute «Frau, Leben, Freiheit». Amini war bei ihrer Festnahme durch die sogenannte Sittenpolizei offenbar schwer verletzt worden. Sie starb drei Tage später in einer Klinik.

Ungebrochene Härte 

Offen bleibt, welche Wirkung Khatamis mahnende Worte entwickeln können. Von einem Einlenken des Regimes ist bisher wenig zu spüren. Die am Wochenende angekündigte Auflösung der vor allem bei vielen iranischen Frauen verhassten «Sittenstreife» ist bisher nicht durch die Regierung bestätigt worden. Allerdings hatte sich der Geistliche Führer Ayatollah Ali Khamenei am Dienstag mit dem obersten Rat der Kulturrevolution beraten. Bei dem Treffen des De-facto-Staatsoberhauptes mit Präsident Ebrahim Raisi, Parlamentspräsident Baqr Qalibaf und Justizchef Gholam Hossein Mohseni Ejehei soll es auch um die Zukunft der Sittenpolizei gegangen sein.

«Freiheit darf nicht unter dem Vorwand innerer Sicherheit unterdrückt werden»: Ex-Präsident Mohammed Khatami.

Für die Entschlossenheit zu ungebrochener Härte sprechen mehrere in Scheinprozessen verhängte Todesurteile. Die Schuldsprüche gegen Teilnehmer der Proteste, bei denen neben fast 500 Demonstranten auch mehrere Dutzend Sicherheitskräfte getötet worden waren, lauten auf «Verderbtheit auf Erden» oder auf «Krieg gegen Gott»: Darauf steht der Tod.

Der Rapper Toomaj Salehi sagte, die iranische Führung sei «eine Mafia, die bereit ist, das Volk zu töten, damit sie ihre Macht, ihr Geld und ihre Waffen behält».

Ein weiteres Beispiel für die Unerbittlichkeit des Theokratenregimes ist der Umgang mit einem inhaftierten Musiker, dem Rapper Toomaj Salehi. Dieser hatte sich der Protestbewegung angeschlossen und sich selbst bei Demonstrationen gefilmt. In einem CBS-Interview hatte er gesagt, die Führung des Iran sei «eine Mafia, die bereit ist, das Volk zu töten, damit sie ihre Macht, ihr Geld und ihre Waffen behält».

Die Strafverfolger haben nun ein Video zusammengeschnitten, in dem sie das vermeintliche Geständnis des populären Sängers zeigen. Der 31-Jährige, der die Demonstranten mit Songs unterstützt hatte, sagt betont reumütig in die Kamera: «Musik kann Gewalt befördern. Ich entschuldige mich bei Ihnen und der Gesellschaft dafür, dass ich Gewalt ausgelöst habe.»

Der Videoclip ist mit Musik unterlegt und zeigt nach einer für Musikvideos typischen Totale den Musiker mit einem anderen Mann an einem Tisch unter wehenden weissen Tüchern: Es ist eigentlich der Auftakt eines der eigenen regierungskritischen Videos des Rappers, der den Mann am Tisch darin verbal hart angeht. Hier folgt allerdings ein Filmschnitt. Jetzt sitzt der Musiker in einem Zimmer, das an einen Verhörraum erinnert, einem Ermittler gegenüber. Das Gespräch mit dem Beamten, das abgelegte Geständnis und die Entschuldigung wirken erzwungen. Salehi, der Ende Oktober in Isfahan festgenommen worden war, steht während der Aufnahme erkennbar unter starkem Druck. Nach Angaben seiner Familie wurde er in der Haft gefoltert. Aufgrund der erhobenen Anschuldigung der «Verderbtheit auf Erden» droht Salehi die Todesstrafe.

Zynismus des Regimes

Schon dass er bei seinem angeblichen Geständnis wie in seinem eigenen Musikclip aus einer zierlichen Tasse Kaffee trinkt, macht das Verhörvideo zu einem Zeugnis des Zynismus des Regimes.

Der Clip ist ein Beispiel dafür, dass sich die Machthaber des propagandistischen Potenzials der digitalen Medien bewusst sind und es einsetzen möchten. Der Clip wurde von der regierungsnahen Agentur Tasnim veröffentlicht. Für das Regime geht es ebenso wie für die Protestbewegung darum, das Narrativ der Ereignisse zu bestimmen. Dazu eignen sich die über die sozialen Medien verbreiteten Clips, die sich der Ästhetik moderner Kurz- und Musikvideos bedienen, besonders gut.