Interview zu Corona-Lecks«180 Kontakte! So viele habe ich nicht einmal zu meiner Frau!»
SVP-Präsident Marco Chiesa fordert Transparenz in Bezug auf den Informationsfluss von Alain Bersets Vorzimmer zum Ringier-Verlag. Er will, dass alle die Protokolle dazu lesen können.
Herr Chiesa, seit einer Woche brodelt die Corona-Leaks-Affäre. Sie haben sich noch nicht eingehender geäussert. Was will die SVP?
Wir fordern von Alain Berset eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge. Und wir fordern die Veröffentlichung der Einvernahmeprotokolle aus dem Strafverfahren gegen seinen langjährigen Kommunikationschef Peter Lauener, der den engen Kontakt zu Ringier-CEO Marc Walder pflegte. Bersets Befragung durch den Staatsanwalt erstreckte sich über sechseinhalb Stunden. Bersets Kommunikationschef quittierte von einem Tag auf den anderen seinen Dienst. Wieso das alles? Die Bevölkerung hat ein Recht auf Transparenz.
Ihr Nationalrat Alfred Heer verlangte bereits den Rücktritt Bersets. Das tun Sie nicht?
Berset sollte die Konsequenzen selber ziehen. Es gab offenbar einen Pakt zwischen seinem Departement und Ringier. Ziel war letztlich: Berset musste in den Medien der Beste sein. Deswegen haben wir jetzt eine institutionelle Krise. Und der Alleinverantwortliche will Bundespräsident bleiben.
«Das ist Gift für die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Und das ist Gift für die Demokratie.»
Damit fordern Sie Berset doch zum Rücktritt auf, ohne seine Erklärung abzuwarten.
Die E-Mails zwischen seinem Departement und dem Ringier-Verlag wurden vor einer Woche publik. Alain Berset hätte sich längst erklären können. Er weigert sich. Es gibt nur zwei mögliche Varianten, und beide sind für ihn mehr als unangenehm: Alain Berset wusste nicht, dass sein Kommunikationschef regelmässig dem Ringier-CEO vertrauliche Informationen zuspielte. Das wäre eklatantes Führungsversagen. Oder er wusste davon. Dann müssen wir gar nicht mehr weiterdiskutieren. In Österreich musste Sebastian Kurz zurücktreten, weil er die Medien steuerte.
Zwischen den Fällen gibt es einige Unterschiede.
Das stimmt. Aber es geht auch bei Berset um das Funktionieren einer Regierung und um die Gefährdung der Unabhängigkeit der Medien. Mit den publik gewordenen E-Mails steht der Vorwurf im Raum, dass die Schweizer Presse steuerbar ist. Das ist Gift für die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Und das ist Gift für die Demokratie. Solche zu engen Beziehungen können unser politisches System gefährden. Wir brauchen eine funktionierende Regierung, und wir brauchen unabhängige Medien, wenn wir abstimmen und wählen. Es geht nicht nur um ein paar kleine Indiskretionen, wie es uns die SP nun weismachen will. Und vergessen Sie nicht: Dies alles geschah in der grössten Krise, die die Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat und in der der Bundesrat mit Notrecht durchregierte. Solche Fragen beschäftigen uns auch, wenn Anfang Woche die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments zusammenkommen.
Vom Staatsanwalt befragt wurde neben Lauener und Berset auch Marc Walder. Wieso wollen Sie die Einvernahmeprotokolle veröffentlicht sehen?
Unsere Bevölkerung muss wissen, was genau passiert ist. Das Volk und die Wirtschaft litten unter den Corona-Massnahmen, es ging um Milliarden an Steuergeldern. Wurden im Vorfeld Medien vom Gesundheitsminister gesteuert? Wurde der Gesamtbundesrat unter Druck gesetzt, und führte dies zu falschen Entscheiden? Vor mehr als einem Jahr hatte Marc Walder in einem Talk preisgegeben, dass er seine Journalisten angewiesen habe, die Regierungspolitik zu unterstützen. Da schrillten bei mir die Alarmglocken. Jetzt gibt es offenbar Beweise, dass das Departement Berset über Walder ein grosses Medienhaus systematisch mit Informationen fütterte.
«Die Linken sind dabei, den Fall zu unterschätzen, oder sie versuchen, ihn kleinzureden.»
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi hat noch vor Bekanntwerden der Corona-Leaks gesagt, dass die SVP Berset Ende 2023 im Amt bestätigen werde, falls die SP ihn wieder aufstelle.
Da war er wohl etwas zu optimistisch. Ich höre Stimmen aus der SP, die einsehen, dass es an der Zeit ist, ihren Bundesrat auszutauschen. Berset machte schon zuvor fast nur noch mit Affären Schlagzeilen. Seine Partei hat bei der Wahl der Nachfolge für Simonetta Sommaruga kürzlich keine gute Falle gemacht – unter anderem als man im Bewerbungsverfahren die Männer von Anfang an ausschloss. Aber ich muss mich zum Glück nicht um die SP kümmern, sondern um die SVP.
Die SP sagt jetzt sinngemäss: Zuerst muss die Justiz ihre Arbeit machen, und dann schauen wir, wie es mit Berset weitergeht.
Das ist ein leicht durchschaubares Ablenkungsmanöver. Klar, die Justiz muss die Vorgänge durchleuchten. Aber die Sache ist ebenso politisch und muss deshalb politisch ebenfalls aufgearbeitet werden. Wir müssen uns fragen, ob Alain Berset die charakterlichen Voraussetzungen für das Bundesratsamt erfüllt. Während Notrecht herrschte und während einer beispiellosen Wirtschafts- und Gesundheitskrise intrigierte sein Departement auch noch gegen seinen Kollegen Ignazio Cassis. Das sage ich jetzt nicht, weil ich auch Tessiner bin. Wäre ich Bundesrat, hätte ich noch Vertrauen in Alain Berset? Könnte ich ihm als Kollegen noch wichtige Informationen anvertrauen? Die Linken sind dabei, den Fall zu unterschätzen, oder sie versuchen, ihn kleinzureden.
Konkret bekannt sind bislang nur zwei Beispiele von einem E-Mail-Austausch, in dem Lauener Walder mit Informationen über eine Impfstoffbeschaffung sowie über Corona-Tests vorinformiert. Das ist nicht besonders viel.
Dabei ging es auch um börsenkotierte Pharmafirmen, was man ebenfalls untersuchen muss. Und es gab, wie Ihre Redaktion berichtet hat, über 180 Kontakte zwischen Lauener und Walder! So viele habe ich nicht einmal zu meiner Frau, und wir haben eine enge Beziehung. Ernsthaft: Und was ist mit den Telefonaten? Am Ende geht es um die vierte Gewalt, um ein Verlagshaus, das mit Informationen versorgt wird und darauf eine politische Linie unterstützt – und das unkritisch.
Auch aus anderen Departementen dürfte es schon zu Lecks gekommen sein.
Ja, aber nie so systematisch und nicht in einer Krise, in der die demokratischen Prozesse ausgeschaltet wurden. Hinzu kommt, dass sich Berset fragen muss: Was mache ich noch in diesem Gremium – ohne Vertrauen, ohne Glaubwürdigkeit, ohne meinen langjährigen Kommunikationschef, mit einer Führungskrise in meinem Departement? Was mache ich noch hier, nachdem ich in zehn Jahren in der AHV wenig und im Gesundheitswesen auch nichts erreicht habe?
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