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Nach dem Korb aus Berlin
Zwei weitere Nato-Staaten trauen Schweizer Rüstungsfirmen nicht mehr

Die Schweiz exportiert Jahr für Jahr Munition im Wert von Hunderten Millionen Franken ins Ausland. 
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Die Weigerung des Bundesrats, Deutschland die Weitergabe von Flugabwehr-Munition an die Ukraine zu erlauben, hat zu einem deutlich sichtbaren rüstungspolitischen Bruch zwischen Bern und Berlin geführt.

Darauf lassen Aussagen schliessen, die die Vorsitzende des Verteidigungs­ausschusses des Deutschen Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, am Montag in dieser Zeitung tätigte: Man könne es sich in der neuen Weltlage nicht leisten, im Bündnis- oder Selbstverteidigungsfall nicht von der Schweiz beliefert zu werden, weil diese schliesslich nicht an Krieg führende Länder liefere. Nun macht sich in Deutschland der Konsens breit, dass sich das Land nach Alternativen umsehen muss.

Neues Kriegsmaterialgesetz im Fokus

Die Ausläufer dieses heraufziehenden Sturms haben die Schweizer Rüstungsindustrie indes schon erreicht. Wie Matthias Zoller von der Rüstungslobbyorganisation Arbeitskreis Sicherheit und Wehrtechnik (Asuw) bestätigt, entgehen Schweizer Herstellern schon erste Rüstungsprojekte.

Einerseits geht es dabei um Munitionsbeschaffungsprojekte von Dänemark und den Niederlanden. Diese hätten zwar Kontakt mit einem Schweizer Hersteller aufgenommen. Sie hätten diesem jedoch beschieden, dass man nur ins Geschäft komme, wenn dessen Tochterfirmen im Ausland notfalls die Produktion übernehmen könnten. Diesen Passus erklärten sie darum für zwingend, weil das Schweizer Kriegsmaterialgesetz es seit Mai unter keinen Umständen mehr erlaubt, an Krieg führende Staaten zu liefern. Neu darf der Bundesrat auch keine Ausnahmegenehmigungen von geltendem Recht mehr erteilen.

Bei einer Produktion in der Schweiz hätte der Hersteller rund 60 Stellen geschaffen.

Deutschland hatte seit dem Sommer den Bundesrat wiederholt um eine solche Ausnahme gebeten, um die angegriffene Ukraine mit der ursprünglich schweizerischen Munition für den Luftabwehrpanzer Gepard zu beliefern. Der Bundesrat lehnte dies mit Verweis auf das verschärfte Kriegsmaterialgesetz und die Schweizer Neutralität jedoch ab.

Für den Fall eines bewaffneten Konflikts wäre es jedoch sowohl für Dänemark als auch die Niederlande existenziell, weiterhin Munition von diesem Hersteller beziehen zu können. Weil der Schweizer Hersteller die allfällige Verlagerung der Produktion ins Ausland nicht garantieren konnte, musste er auf den Auftrag verzichten. Stattdessen übernahm eine ausländische Gesellschaft, die zum gleichen Konzern gehört.

Bei einer Produktion in der Schweiz hätte der Hersteller rund 60 zusätzliche Stellen geschaffen, sagt Industrievertreter Zoller. Es ist also davon auszugehen, dass dabei Wertschöpfungseffekte in der Höhe von mehreren Millionen Franken entstanden wären.

Parlament will Gegensteuer geben

Laut einem Beitrag der SRF-Sendung «Echo der Zeit» vom Montagabend handelt es sich bei der von Dänemark und den Niederlanden angefragten Firma um Rheinmetall Air Defence, eine Schweizer Tochter des deutschen Rüstungsriesen Rheinmetall und Nachfolgerin der Zürcher Firma Oerlikon Contraves. Rheinmetall Air Defence hat auf eine Anfrage dieser Zeitung bisher nicht reagiert.

Ein Sprecher der dänischen Beschaffungsbehörde konnte auf Anfrage nichts zu einer solchen Forderung gegenüber Schweizer Produzenten sagen; am aktuellen langjährigen Rüstungsauftrag für Rheinmetall Air Defence habe sich nichts geändert. Das niederländische Verteidigungsministerium hat eine Anfrage bis jetzt nicht beantwortet.

Zwar gibt es auch vereinzelt Stimmen, laut denen auch jetzt noch die Rechtsgrundlage gegeben wäre, zumindest eine Weitergabe von Waffen zu erlauben. Trotzdem laufen bereits Bestrebungen im Parlament, dass künftig zumindest die bisher übliche sogenannte Nichtwiederausfuhr-Erklärung hinfällig werden soll, wenn es sich bei den Empfängern um Länder mit gleichem Wertekompass und vergleichbaren Exportkontrollen handelt.

Die Anpassung des Kriegsmaterialgesetzes wirkt sich aber offensichtlich nicht nur auf den Handel mit Partnern aus, die Stand jetzt problemlos Schweizer Kriegsgerät kaufen dürften. Es gehen der Schweiz auch Aufträge an Länder verloren, für die erst geprüft werden muss, ob das Gesetz eine Lieferung erlaubt. So beklagt Matthias Zoller vom Asuw, dass Abklärungen beim Bund, ob ein mögliches Geschäft überhaupt eine Ausfuhrgenehmigung erhalte, mittlerweile mehrere Monate dauerten. Früher sei dies innert weniger Wochen behandelt worden.

Der Grund dafür dürfte sein, dass das hier federführende Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) bei solchen Anfragen zunehmend das Aussendepartement (EDA) mit ins Boot holt: Mit der Anpassung des Gesetzes muss dieses vertieft abklären, ob in einem Zielland Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden.

Hinzu kommen Abklärungen zur Frage, ob das Material gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden könnte oder an unerwünschte Empfänger weitergegeben werden könnte. Vor Mai war es noch dem Bundesrat überlassen gewesen, ob er solche Lieferungen im Einzelfall erlauben wollte.

Ein Seco-Sprecher schreibt auf Anfrage, man könne diese Vorwürfe nicht nachvollziehen: «Jedes Gesuch wird im Einzelfall geprüft, jeweils zusammen mit dem EDA und weiteren Stellen wo nötig. Je nach Geschäft und Endempfänger braucht das seine Zeit.»

In mindestens einem Fall sei wegen der vertieften Abklärung so viel Zeit verstrichen, dass der Hersteller nicht an einer Ausschreibung teilnehmen konnte. Dabei sei es um einen Auftrag in der Höhe von rund 100 Millionen Franken gegangen, sagt Zoller. Es war dieser Zeitung jedoch nicht möglich, diese Angabe unabhängig zu überprüfen.

Anfang November hatte die «Handelszeitung» geschrieben, dass die Munitionsexporte nach Deutschland – dem wichtigsten Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial – dieses Jahr gegenüber den Vorjahren deutlich eingebrochen seien. Das Seco konnte damals aber keinen spezifischen Grund für den Rückgang nennen.

Schweiz steuert auf Rekordjahr zu

Total jedoch nahmen Schweizer Rüstungsexporte in den ersten neun Monaten 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 50 Prozent auf 756 Millionen zu. Nur in zwei der vergangenen 30 Jahren exportierte die Schweiz mehr. Es ist also gut möglich, dass die Branche bis Ende Jahr einen Exportrekord erreicht.

Am Total der Schweizer Exporte macht die Branche damit allerdings weniger als ein halbes Prozent aus. 2019 zeichnete sie laut einer Studie des Instituts BAK Economics für 0,18 Prozent der inländischen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Werden die zivil genutzten Produkte der Branche dazugerechnet, ergibt das inklusive der vorgelagerten Wertschöpfungskette 0,32 Prozent.