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Streit um Panzer-Bewaffnung
Neue Argumente, wieso Schweizer Munition in die Ukraine geliefert werden darf

Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (ganz in Schwarz) inspizierte am 1. Oktober in Odessa auch einen Gepard-Panzer. Nun will sie Schweizer Munition dorthin liefern. 
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Der Streit um die Abgabe von 12’000 Schweizer 35-Millimeter-Geschossen von Deutschland an die Ukraine spitzt sich zu. Denn nun bekommen Befürworterinnen und Befürworter der umstrittenen Lieferung deutlich bessere Argumente.

Bislang schien es neutralitätsrechtlich ausgeschlossen, dass die Schweiz es ihrem grossen Nachbarn erlaubt, die ursprünglich schweizerische Munition an das Land weiterzugeben, das sich gegen den russischen Angriff wehrt. Doch nun widerspricht mit Thomas Cottier einer der angesehensten Schweizer Experten für internationale Handelsfragen dieser Ansicht. Gemäss dem emeritierten Berner Rechtsprofessor kann der Bundesrat sehr wohl grünes Licht geben für die Lieferung der Flugabwehr-Bewaffnung, welche die Ukraine dringend braucht. 

«Die bisherige Haltung des Bundesrates ist unverständlich und nicht im Interesse der Schweiz und ihres Rufs.»

Thomas Cottier, emeritierter Rechtsprofessor der Universität Bern

Deutschland hatte für die Geschosse des Defensivpanzers Gepard beim Bezug aus der Schweiz zwar eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung unterschrieben. Doch Cottier verweist auf das Kriegsmaterialgesetz, das gemäss ihm «dem Bundesrat die Aufhebung und Suspendierung des Wiederausfuhrverbotes im Einzelfall ausdrücklich erlaubt».

Tatsächlich ist dies gemäss Artikel 19 bei Ein- oder Ausfuhrbewilligungen möglich, «wenn ausserordentliche Umstände es erfordern». Die Landesregierung hat laut Cottier «damit durchaus die Möglichkeit, die Munition freizugeben, unter Berücksichtigung, dass sie defensiven Zwecken dient und ihr Einsatz den Werten der Schweiz entspricht». Denn die erforderlichen «ausserordentlichen Umstände» sind mit dem Überfall Russlands auf sein Nachbarland gegeben. Auch deshalb findet Cottier: «Die bisherige Haltung des Bundesrates ist unverständlich und nicht im Interesse der Schweiz und ihres Rufs.»

Bern hatte bereits vor Monaten ein Gesuch Berlins zur Gepard-Munition abgelehnt. Nun aber ist die deutsche Verteidigungsministerin erneut mit der dringlichen Bitte vorstellig geworden, die Lieferung zu erlauben. 

Die Ukraine argumentiert neu, dass sie Rüstungsgüter brauche, um die Getreidelieferungen, insbesondere in ärmere Länder, zu schützen. Russland hatte kürzlich die Angriffe auf die Infrastruktur des Landes intensiviert. In einem Papier argumentiert das ukrainische Verteidigungsministerium, der Munitionsnachschub für den Gepard sei «kritisch». 

Bundesrat im Dilemma

Das Argument mit den Getreidelieferungen bekam über das Wochenende zusätzliche Brisanz. Russland erklärte, es könne die Sicherheit ziviler Schiffe im Schwarzen Meer nicht mehr garantieren. Zuvor waren Getreidefrachter in Richtung Bosporus durch eine internationale Initiative geschützt. Diese Entwicklung, mit der Hunger in Afrika und andernorts droht, bringt den Bundesrat noch mehr ins Dilemma. 

Beim ersten Anlauf betreffend die 35-Millimeter-Geschosse hatte die Schweiz Deutschland abblitzen lassen und neutralitätsrechtliche Hinderungsgründe vorgebracht. Diese Gründe sieht der Genfer Rechtsprofessor Marco Sassòli nach wie vor gegeben, wie er in einem Tamedia-Interview erklärte, das am Wochenende erschien. Doch auch Sassòli verwies darauf, dass das Neutralitätsrecht die Schweiz nicht dazu zwingt, zu verhindern, dass andere Länder Waffen weitergeben. 

Sein Kollege Cottier ist überzeugt, dass es der Schweiz durch die UNO-Charta erlaubt ist, sich an der kollektiven Verteidigung gegen Russlands Angriffskrieg zu beteiligen: «Die Charta geht dem alten Neutralitätsrecht von 1907 aus Zeiten des europäischen Imperialismus vor.» 

Folgt man Cottiers Argumentation, müsste der Bundesrat nun für die Gepard-Munition nicht einmal Notrecht anwenden. Sogar diesen Schritt forderte Mitte-Aussenpolitikerin Elisabeth Schneider-Schneiter. «Der Bundesrat soll mit Notrecht die Lieferungen möglich machen», fand sie auf Twitter. «Alles andere ist unterlassene Hilfeleistung.»

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Ihre Zeilen schrieb die Baselbieter Nationalrätin als Reaktion auf einen Artikel dieser Zeitung über die Schweizer Weigerung. Darin wurden auch Stimmen deutscher Politiker wiedergegeben, die mit dem Ende von Rüstungskäufen drohten, sollte die Schweiz nicht einlenken. 

FDP-Bundestagsmitglied Marcus Faber doppelte übers Wochenende nach. «Gerade jetzt müssen wir uns auf das Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung vorbereiten», schrieb er auf Twitter. «In diesem Szenario brauchen wir Nachschub an Waffen und Munition. Wenn die Schweiz dies der Ukraine wie uns verweigert, können wir aus Sicherheitsgründen von dort nichts mehr beziehen.»

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Deutschland ist der grösste Abnehmer schweizerischer Waffen. Die Reaktionen stossen SVP-Präsident Marco Chiesa sauer auf.

«Es ist noch nie besonders gut herausgekommen, wenn sich Deutschland in die Politik anderer Länder eingemischt hat.»

Marco Chiesa, SVP-Präsident

«Seit wann machen deutsche Politiker unsere Aussenpolitik?», fragt er. «Es ist noch nie besonders gut herausgekommen, wenn sich Deutschland in die Politik anderer Länder eingemischt hat. Das Beispiel zeigt, dass auch Deutschland die Schweiz nicht mehr als neutrales Land wahrnimmt und respektiert.»

Für Chiesa sind die Regeln «glasklar», und «diese unsägliche Diskussion» ist für ihn «eine Folge des Neutralitätsbruchs durch den Bundesrat».

Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen, findet, die Schweiz solle die Weitergabe der Munition erlauben und ihre Wiederausfuhrpraxis generell anpassen, «nicht nur für die Ukraine»: «Für Staaten, die unseren Werten verpflichtet sind und über ein Exportkontrollregime verfügen, das mit dem unseren vergleichbar ist, ist auf eine solche Erklärung zu verzichten, sofern die Wiederausfuhr an einen anderen Staat geht, der dieselben Kriterien erfüllt.» Im aktuellen Fall spreche wegen der Getreideexporte der «humanitäre Gedanke zusätzlich dafür».