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«Katar-Gate» in Brüssel
Mit zwei Aktentaschen und dem Baby zur Geldübergabe

Das Paar im Herz des Skandals: Eva Kaili und Francesco Giorgi.
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Zur Geldübergabe mit dem Kinderwagen? In den Akten der Brüsseler Ermittler, die der Korruptionsaffäre im EU-Parlament nachgehen, dem «Katar-Gate», liegen auch Aufnahmen aus der Eingangshalle eines Luxushotels der belgischen Hauptstadt. Man sieht zwei Männer, zwei Italiener: Antonio Panzeri, 67 Jahre alt, aus Bergamo, ehemaliger Gewerkschafter und Europaabgeordneter; Francesco Giorgi, ein 35-jähriger Mailänder, Panzeris früherer Parlamentsmitarbeiter. Die zwei, so macht es den Anschein, waren das Herz einer «italienischen Bande in Brüssel», wie die Zeitung «La Repubblica» sie nennt – das Scharnier zwischen Katar und den europäischen Institutionen. Gut geölt, oder wenn man so will: geschmiert.

Die Aufnahmen stammen von den Überwachungskameras des Steigenberger Wiltcher’s, offenbar das liebste Haus katarischer Würdenträger auf Visite in Brüssel. Panzeri sieht man auf den Bildern mit einer Aktentasche, die nach Ansicht der Ermittler leer zu sein scheint bei der Ankunft im Hotel. Giorgi trägt eine ärmellose Daunenjacke, es ist der 10. Oktober 2022, 17.30 Uhr, er schiebt einen Kinderwagen vor sich her. Im Wagen sitzt seine Tochter, die er mit Lebenspartnerin Eva Kaili hat, der ebenfalls inhaftierten und mittlerweile abgesetzten griechischen Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Die Tochter ist damals zwanzig Monate alt.

Im vierten Stock logierte der katarische Arbeitsminister

In denselben Minuten fahren drei schwarze Limousinen vor, alle mit diplomatischen Nummernschildern Katars. Ein Bediensteter hält eine dicke Aktentasche in der Hand, die Ermittler vermuten darin das Bargeld. Das Treffen findet in einer Suite im vierten Stock des Hotels statt, da logiert gerade der katarische Arbeitsminister, Ali bin Samikh al-Marri, und der ist besorgt um das Image seines Landes so kurz vor der WM. Die vielen Berichte über die Arbeitsbedingungen südasiatischer Wanderarbeiter auf den Baustellen des Emirats vermiesen die grosse PR-Aktion des Landes.

Die zwei Italiener fahren hoch in den 4. Stock, Giorgi schiebt den Kinderwagen in den Aufzug. Eine halbe Stunde später sieht man ihn wieder in der Lobby: Er übergibt den Kinderwagen mit der Tochter einem Bekannten, der sie erwartet, und geht wieder hoch. Dann, nach einer weiteren Stunde, verlassen die Italiener das Hotel, die Sitzung ist vorbei. Die Aktentasche Panzeris, so dünkt es die belgischen Ermittler, ist jetzt praller.

Die italienischen Medien nennen die Affäre auch «The italian job»

Panzeri, Giorgi und Kaili – sie alle sitzen seit dem 9. Dezember in Haft. In ihren Wohnungen fand die Polizei ungefähr 1,5 Millionen Euro in bar. Taschen voller Geldscheine. Der Verdacht lautet auf Korruption, Geldwäsche und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. In Italien läuft die Affäre auch unter dem wenig schmeichelhaften Untertitel «The italian job», weil fast alle bisher bekannten involvierten Personen Italiener sind.

Jeden Tag erscheinen in den Zeitungen neue Anekdoten über teure Geschenke aus Katar und Marokko, über Uhren, Immobilien und Luxusferien, die sich die Herrschaften mit ihren ordentlichen Einkünften gar nicht hätten leisten können. Die Protokolle abgehörter Telefonate zeugen von einem eingespielten Mechanismus. Und da es sich vor allem um Leute aus dem linken, gewerkschaftlichen Umfeld handelt, sind die italienischen Blätter beider politischer Lager gleichermassen empört: Die rechten Zeitungen revanchieren sich für die moralischen Lektionen, die sich die Rechte über die Jahre hinweg von der Linken anhören musste; die linken Gazetten und Parteien fühlen sich betrogen von den eigenen Leuten, und das wiegt vielleicht noch schwerer.

Der «Corriere della Sera» interviewte nun den Anwalt von Eva Kaili. Der Grieche Michalis Dimitrakopoulos hatte versucht, für seine Mandantin Hausarrest zu erwirken, damit sie die Festtage nicht im Gefängnis verbringen muss. Doch der Antrag wurde abgelehnt und die Untersuchungshaft bis Ende Januar verlängert. Der Anwalt sagt in dem Interview, Kaili fühle sich unschuldig, sie habe mit der ganzen Geschichte nichts zu tun, überhaupt habe sie erst von den Machenschaften ihres Lebensgefährten erfahren, als die Polizei in ihrer gemeinsamen Wohnung gestanden habe und die 750’000 Euro fand. Offenbar unter dem Bett.

«Für sie wäre es eine schmerzhafte Überraschung, wenn die Vorwürfe gegen Panzeri und Giorgi im Prozess bestätigt würden», sagte Dimitrakopoulos.

Zehn Tage nach dem Treffen im Brüsseler Hotel flog Panzeri nach Doha, wo er sich ein Bild machen sollte über die unterdessen angeblich verbesserten Arbeitsbedingungen für Wanderarbeiter – ebenfalls an Bord der Maschine von Qatar Airways: Luca Visentini, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes, 53 Jahre alt, aus dem norditalienischen Udine. Die Tickets gab es offenbar gratis, direkt aus Doha.