Miniatur des AlltagsZu zweit in der Isolation
Die auferzwungene soziale Abschottung macht zu schaffen. Auch wenn es noch viel schlimmer sein könnte.
![Eine kleine Geschichte aus dem Alltag.](https://cdn.unitycms.io/images/BiCas2CrKX1A6ROSCr01DZ.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Ncv52Qjola8)
In diesen Zeiten ist nichts, wie es gerade erst noch war. Die Wohnung mutiert zum Co-Working-Space. Sie ist jetzt auch Redaktionsstube und Klassenzimmer. Mein Arbeitsalltag besteht nach wie vor aus Sitzungen, Telefonaten, Internetrecherchen, Schreiben. Mit dem Unterschied, dass die begleitende Geräuschkulisse jetzt von einem Deutschlehrer stammt, der mit der Halbklasse die Schuld des Ödipus bespricht. Oder eine besorgte Mutter beruhigt, die sich erkundigt, ob ihr Sohn die Hausaufgaben auch wirklich mache, während sie extern arbeitet.
Nach drei Wochen Lockdown scheint mir die Wohnung wie eine grosszügige Isolationszelle. Nein, man kann nach der Arbeit nicht ununterbrochen Podcasts hören und putzen. Genauso wenig wie Serien schauen oder lesen. Dann also besser wieder mal raus. Auf Streifzügen durch das Quartier stossen wir auf uns bislang unbekannte Grünflächen und Strassenzüge. In Madrid, wo wir nach Ostern hinwollten, wäre wegen der Ausgangssperre nicht einmal ein Spaziergang möglich. Doch die auferzwungene soziale Isolation macht auch so zu schaffen. Immer dasselbe Gesicht sehen!
Der Blues ist da. Ich telefoniere mit Freundinnen, wie in alten Zeiten. Oder zelebriere die Essensbeschaffung und -zubereitung. Beides hat in dieser merkwürdigen Zeit ein besonderes Augenmerk erhalten. Da stehe ich also, im neu entdeckten Quartierladen. Der Ladenbesitzer spricht mit einem Bekannten. Dieser beklagt sich. Die Decke sei ihm auf den Kopf gefallen, er habe vor seiner Frau flüchten müssen. Ich verlasse den Laden mit meinen Einkäufen. Der Blues ist weg. Das Zuhause mag zwar punktuell an eine Isolationszelle erinnern. Aber ich teile sie mit dem besten Mithäftling.
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