Ökonomen zur Schweizer GeldpolitikZinserhöhungen der SNB für nächstes Jahr erwartet
Bisher hatten die CS-Analysten keine Zinsänderung der Nationalbank in den Jahren 2022 und 2023 prognostiziert. Nun haben sie ihre Meinung geändert – und begründen dies.
Die Inflationsentwicklung in der Schweiz lässt derzeit zwar keine Straffung der Geldpolitik erwarten. Doch die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird schneller zur Tat schreiten, als Ökonomen bisher gedacht hatten. Die Experten der Credit Suisse gehen in einer am Montag publizierten Studie nun davon aus, dass die SNB im Jahr 2023 den Leitzins zwei Mal um insgesamt 0,5 Prozentpunkte anheben wird. Bisher hatte die CS weder für 2022 noch für 2023 einen Zinsschritt der SNB vorausgesagt.
Der Grund für den Meinungsumschwung: Die anderen Zentralbanken, die nun ihre geldpolitischen Zügel anziehen oder zumindest in die Hand nehmen. Das werde es der SNB ermöglichen, im kommenden Jahr ebenfalls ihre Zinsen zu erhöhen.
EZB sorgt für Anpassung der Einschätzung
Die Europäische Zentralbank (EZB) etwa wird nach Ansicht der CS-Experten ihren Leitzins früher als bisher angenommen ab Dezember 2022 anheben. Bis Ende 2023 werde die Notenbank ihren Leitzins um insgesamt 1 Prozentpunkt erhöhen, so die neue Annahme. Die Pressekonferenz der EZB von letzter Woche sowie die dort von Christine Lagarde gemachten Anmerkungen hätten die Rahmenbedingungen geändert, merken die Ökonomen an.
Bei Europas Währungshütern wächst angesichts der nach wie vor unerwartet hohen Teuerungsraten die Sorge. Etliche Volkswirte halten eine Zinserhöhung im laufenden Jahr inzwischen nicht mehr für ausgeschlossen.
Im Lichte weiterer Daten zu Inflation und Konjunktur werde die Lage im März neu beurteilt, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am letzten Donnerstag in Frankfurt. Sie betonte zugleich, die EZB werde sich nicht treiben lassen: «Wir werden die Zinsen nicht erhöhen, solange die Nettoanleihenkäufe anhalten.»
Lagarde räumte ein, die Inflation sei im Dezember und Januar angesichts eines unvorhersehbaren Energiepreisschocks «überraschend» stark gestiegen. Das habe im EZB-Rat einhellig für Besorgnis gesorgt. «Die Situation hat sich in der Tat geändert», sagte die Französin. Vor allem auf kurze Sicht dürfte die Inflation hoch bleiben.
Kritik an EZB
Im März liegen dem EZB-Rat neue Prognosen des Mitarbeiterstabes vor. Häufig nimmt das oberste Entscheidungsgremium der Notenbank diese Projektionen zum Anlass, grössere geldpolitische Entscheidungen zu treffen. Anders als noch im Dezember habe Lagarde eine Zinserhöhung im laufenden Jahr nicht ausdrücklich ausgeschlossen, analysierte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Bank Berenberg. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hat die EZB «recht klare Hinweise» gegeben, «dass sie vermutlich im März eine Straffung ihrer Geldpolitik in Gang setzen wird».
Vertreter der Bankenbranche warfen der EZB vor, die Chance zu einem schnelleren Kurswechsel, den die Notenbanken in den USA und Grossbritannien längst eingeleitet haben, verpasst zu haben. Die EZB laufe «der Zeit hinterher und zögert mit den notwendigen Vorbereitungen für eine Zinswende», befand der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB, sieht ein steigendes Risiko, «dass die EZB noch in diesem Jahr abrupt umsteuern muss». ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann kritisierte: «Die Zinspolitik und Wertpapierkäufe der EZB wirken inzwischen wie aus der Zeit gefallen.»
Die Teuerung hält sich seit Monaten auf vergleichsweise hohem Niveau. Im Euroraum stieg die Inflation im Januar entgegen den Erwartungen sogar noch weiter auf nun 5,1 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Einführung des Euro als gemeinsame europäische Verrechnungswährung 1999. In Deutschland sank die jährliche Teuerungsrate zu Jahresbeginn zwar auf 4,9 Prozent, der Rückgang fiel aber deutlich geringer aus als erwartet. Vor allem steigende Energiepreise heizen den Preisauftrieb an.
Euro ist weniger Wert
Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft der Verbraucher, weil sie sich für einen Euro weniger kaufen können als zuvor. Kritiker werfen der EZB vor, mit ihrer seit Jahren ultralockeren Geldpolitik inklusive milliardenschwerer Anleihenkäufe die Teuerung noch anzuheizen.
Bei der Sitzung Mitte Dezember hatte der EZB-Rat ein erstes Signal für ein Auslaufen der Geldflut gesendet: Nur noch bis Ende März wird die EZB zusätzliche Wertpapiere im Rahmen ihres in der Corona-Pandemie aufgelegten Anleihenkaufprogramms PEPP erwerben. Allerdings steckt die Notenbank weiter etliche Milliarden in Staatsanleihen und Unternehmenspapiere: Das allgemeine Kaufprogramm APP wird vorübergehend aufgestockt. Gelder aus auslaufenden PEPP-Papieren sollen bis mindestens Ende 2024 neu angelegt werden.
Die Notenbank strebt für den Währungsraum der 19 Länder ein stabiles Preisniveau bei einer jährlichen Teuerungsrate von 2 Prozent an. Sie akzeptiert es, wenn diese Marke zeitweise etwas über- oder unterschritten wird.
Der seit Jahresbeginn amtierende Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte zu seinem Amtsantritt gewarnt, er sehe «derzeit eher die Gefahr, dass die Inflationsrate länger erhöht bleiben könnte als gegenwärtig erwartet». Nagel betonte: «Bei aller Unsicherheit ist eines ganz klar: Wenn es die Preisstabilität erfordert, muss der EZB-Rat handeln und seinen geldpolitischen Kurs anpassen.» Am Donnerstag nahm Nagel erstmals an den Beratungen des EZB-Rates teil.
SDA/cpm
Fehler gefunden?Jetzt melden.