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Meinung

Kappung der Witwenrente
Die Benachteiligung der Frauen muss aufhören

bride and groom kissing at the wedding ceremony in the church
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Wir erinnern uns: Am 11. Oktober 2022 verurteilte die grosse Kammer am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz, weil die AHV-Gesetzgebung Witwer gegenüber Witwen diskriminiert. Seither erhalten Witwer die Witwerrente nicht mehr nur bis zum 18. Altersjahr ihres jüngsten Kindes, sondern wie die Witwen lebenslang. Die vom EGMR geforderte Gleichstellung ist also seit Oktober 2022 erfüllt, denn Urteile der grossen Kammer sind sofort rechtskräftig.

Die bis zum Inkrafttreten einer geschlechterneutralen gesetzlichen Regelung geltende Gleichstellung von Witwen und Witwern hätte der Bundesrat ohne weiteres übernehmen können. Nur: Das wollte er nicht.

Zwar ist es sinnvoll, neu im Todesfall eine einheitliche Hinterlassenenrente einzuführen, die vom Zivilstand unabhängig ist. Weniger einleuchtend ist, weshalb nun die Witwerrente gegenüber der früheren Regelung angehoben, die Witwenrente aber empfindlich gesenkt wird. Neu sollen beide Geschlechter maximal bis zum 25. Altersjahr des jüngsten Kindes eine Hinterlassenenrente erhalten. Ferner sollen bereits laufende Witwenrenten nach einer zweijährigen Übergangsfrist ganz wegfallen, wenn die Witwe bei Inkrafttreten des neuen Gesetzes 55 Jahre alt ist.

Witwenrente nach Anhebung des Rentenalters gestrichen

Was ist von dieser Lösung zu halten? In erster Linie: Es handelt sich nicht um eine Gleichstellungslösung, sondern um ein weiteres Sparpaket. Denn Gleichstellung der Geschlechter besteht bereits seit Oktober 2022 durch das Verdikt des EGMR. Das Sparpaket belastet einzig Frauen, Männer nicht. Dies in einer Zeit, in der Krankenkassenprämien und Mieten einer erheblichen und noch immer anhaltenden Teuerung unterliegen und mehr Mittel für die Armee der Mehrheit in diesem Land prioritär zu sein scheinen. Dies alles, nachdem bereits das Rentenalter der Frauen erhöht wurde. Gänzlich unverständlich ist, weshalb die Witwenrente nach der Übergangsfrist ganz wegfallen soll. FDP-Ständerat Damian Müller ist bisher die einzige bürgerliche Stimme, die eine solche Lösung zurecht für nicht mehrheitsfähig erachtet.

Aber auch Witwen, die bei Inkrafttreten der Vorlage noch nicht 55 Jahre alt sind und noch bis zum 25. Altersjahr ihres jüngsten Kindes eine Witwenrente erhalten sollen (anstatt wie bisher lebenslang), dürften in vielen Fällen nicht auf Rosen gebettet sein. Nehmen wir das Beispiel einer 50-jährigen Witwe. Sie wird in aller Regel zwischen 55 und 60 Jahre alt sein, wenn ihr jüngstes Kind 25 Jahre alt wird. Und dann? Wie füllen Frauen diese Lücke bis zum (erhöhten) AHV-Alter? Wo sind die Stellen für diese Frauen? Der Bundesrat verweist auf den «Fachkräftemangel». Wo aber sind die weiblichen (und männlichen) Fachkräfte nach langer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt? Was ist ihre angestammte Ausbildung noch wert?

Das Parlament sollte auf Max Beeler hören

Max Beeler, der das EGMR-Urteil erwirkt hat, war vor seiner Verwitwung mit 41 Jahren Textiltechniker, dann Versicherungsangestellter. Er war auf dem Arbeitsmarkt nach 16 Jahren Abwesenheit nicht mehr gefragt. Er hat sich deshalb dafür starkgemacht, dass die Witwerrente auf das aktuelle Niveau der Witwenrente angehoben wird – Frauen also keinen Rentenverlust erleiden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gab ihm 2022 recht und verurteilte die Schweiz wegen Männerdiskriminierung.

Das Parlament sollte auf Beeler hören. Er weiss, wovon er spricht. Die Spartechnokraten in Bundesbern nicht.

Jürg Oskar Luginbühl ist Rechtsanwalt und hat den Witwer Max Beeler am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten.