AHV-HinterlassenenrenteBundesrat kappt Witwenrenten – auch bereits bestehende
Künftig soll es keine lebenslangen Witwenrenten mehr geben. Stattdessen will der Bundesrat hier viel Geld sparen. Er schickt eine entsprechende Reform ins Parlament.
- Der Bundesrat plant neue Regeln für die AHV-Hinterlassenenrenten.
- Die Renten sollen sich künftig an der Betreuung jüngerer Kinder orientieren.
- Witwen erhalten nur noch bis zum 25. Lebensjahr der Kinder Renten.
- Mit der Reform können jährlich mehrere Hundert Millionen Franken gespart werden.
So wie bisher kann die Schweiz nicht weiterfahren. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Denn die heutige Regelung der Hinterlassenenrenten diskriminiert die Männer, weil Witwer schlechter behandelt werden als Witwen.
Nun will der Bundesrat handeln und hat heute eine entsprechende Reform der AHV ans Parlament verabschiedet. Mit ihr will die Landesregierung die Witwen und die Witwer gleichstellen.
Dabei erhalten aber die Witwer nicht etwa dieselben Rechte wie heute die Witwen. Dies würde zu Mehrausgaben führen. Stattdessen wählt der Bundesrat den umgekehrten Weg und reduziert in erster Linie die Ansprüche der Witwen. So lassen sich jährlich mehrere Hundert Millionen Franken einsparen und überdies einige Verbesserungen für die Witwer finanzieren.
Bei erwachsenen Kindern nur noch Übergangsrente
Neu will der Bundesrat die Witwen- und Witwerrenten konsequent auf jene Lebensphase ausrichten, in der die Hinterlassenen ihre Kinder betreuen. Bisher war das anders. Heute erhalten Witwen auch dann eine Rente, wenn ihre Kinder bereits erwachsen sind. Mehr noch: Selbst wenn eine Witwe gar nie Kinder hatte, hat sie heute Anspruch auf das Geld. Bedingung dafür ist, dass sie beim Tod des Partners mindestens 45 Jahre alt war.
Künftig will der Bundesrat nur noch in folgenden Fällen eine Hinterlassenenrente sprechen:
Bei Kindern unter 25 Jahren: Bis zum 25. Geburtstag des jüngsten Kindes erhält der überlebende Elternteil – egal ob Mann oder Frau, egal ob verheiratet oder nicht – eine Hinterlassenenrente, nachdem der andere Elternteil gestorben ist. Wird ein erwachsenes Kind mit Behinderung betreut, kann die Rente auch über das 25. Altersjahr hinaus ausbezahlt werden.
Zwei Jahre lang Übergangsrente: Sind die Kinder bereits älter als 25 Jahre, geht der Bundesrat davon aus, dass Witwen und Witwer selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können. Es könne allerdings eine gewisse Zeit dauern, das bisherige Leben anzupassen. Er sieht daher für zwei Jahre eine Übergangsrente vor.
Ab 58 Jahren bei Armut: Sind Witwen und Witwer bereits 58 Jahre alt und aufgrund des Todes des Partners armutsgefährdet, können sie im Rahmen der Ergänzungsleistungen unterstützt werden.
All dies gilt bei Verwitwungen nach Inkrafttreten der neuen Regeln. Der Bundesrat rechnet damit, dass das neue Regime per 2026 eingeführt werden kann.
Folgen für unter 55-Jährige
Aber auch die heute bereits laufenden Renten sind nicht garantiert. Wer bei der Einführung der Reform unter 55 Jahre alt ist, soll nur noch zwei Jahre lang in den Genuss der Hinterlassenenrente kommen, falls nach den neuen Regeln kein Anspruch mehr besteht. Für über 55-jährige Witwen und Witwer ändert sich dagegen nichts. Für jene, die Ergänzungsleistungen beziehen, soll dies bereits ab dem 50. Geburtstag gelten.
Mit dieser Reform lassen sich laut der bundesrätlichen Botschaft ab dem Jahr 2035 jährlich 770 Millionen Franken einsparen. Auch die Bundeskasse lässt sich so entlasten. Finanzministerin Karin Keller-Sutter kann per 2035 mit einem Sparbeitrag von 160 Millionen Franken rechnen.
Aufgegleist wurde die Reform noch von Alain Berset. Er hatte sie kurz vor seinem Rücktritt in die Vernehmlassung gegeben. Unter seiner Nachfolgerin Elisabeth Baume-Schneider verabschiedet der Bundesrat die Vorlage nun nahezu unverändert ans Parlament.
Damit vertritt die SP-Magistratin ein wichtiges Geschäft, das von ihrer Partei als «sozialpolitischer Kahlschlag» bezeichnet wird. Per Medienmitteilung gab die SP bekannt, sie werde dagegen antreten, um die Kaufkraft der Betroffenen zu erhalten. «Dass der Bundesrat auch laufende Witwenrenten streichen will, ist empörend», protestiert SP-Nationalrätin Barbara Gysi. Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund will das «Sparen unter dem Deckmantel der Gleichstellung» bekämpfen.
Bisherige Reformen stets misslungen
Es ist nicht das erste Mal, dass der Bundesrat die Hinterlassenenrenten anpassen will. In der Vergangenheit sind aber alle Versuche gescheitert. 2004 hat das Volk selbst eine Minireform abgelehnt, die nur jenen Witwen keine Rente mehr gewähren wollte, die ihr Leben lang nie Kinder hatten. Gesellschaftlich hat sich inzwischen allerdings viel verändert, indem die Frauen vermehrt erwerbstätig sind.
Eine Studie im Auftrag des Bundesrats kam schon vor Jahren zum Schluss, eine Verwitwung sei für das Einkommen nicht gravierend – deutlich weniger gravierend als eine Scheidung oder Trennung.
Offensichtlich geworden ist die Notwendigkeit einer Reform auch durch die vom Volk angenommene «Ehe für alle». Diese führt die Ungleichbehandlung von Mann und Frau bei den Hinterlassenenrenten ad absurdum. Sind doch lesbische Paare jetzt bessergestellt als heterosexuelle, da im Todesfall für beide Frauen die grosszügigen Witwenregeln gelten. Schwule Paare sind hingegen schlechtergestellt, da für beide Männer die strengen Witwerregeln gelten.
Von der bundesrätlichen Reform nicht betroffen sind die Hinterlassenenrenten der beruflichen Vorsorge. Denn in diesem Bereich, so der Bundesrat, bestehe keine Ungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen.
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