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Witwer kämpft vor Gericht
«Diese Diskriminierung der Männer ist doch der Gipfel!»

Der verwitwete H.G. aus dem Kanton Zürich zog bis vor Bundesgericht, um gegen die Streichung seiner Wittwerrente zu klagen - doch trotz Urteil aus Strassburg, das die Schweiz wegen Männerdiskriminierung verurteilte, geht er leer aus. 

09.11.2023
©Andrea Zahler
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Es ist ein Samstag, der 16. Juni 2001, als sich das Leben von H.G.* für immer verändert. An jenem Tag stirbt seine Frau. Der berufstätige Vater aus dem Kanton Zürich, 47, steht plötzlich allein mit zwei kleinen Töchtern da, 7 und 12 Jahre alt. Eine «riesige Trauer und schiere Verzweiflung», erzählt er, hätten ihn übermannt. 

Zehn Jahre war seine Frau krank. Diagnose: eine schwere Leberstörung. Eine Transplantation verläuft ohne Komplikationen. Dann erlitt sie eine Spitalinfektion – die sie nicht überlebt. Schweren Herzen entscheidet sich H.G., seine Kinder in eine Pflegefamilie zu geben. Er sagt: «Ich wollte, dass sie nochmals ein Stück Kindheit in einer normalen Familie erleben.»

Nach dem Tod seiner Frau bekommt er eine Witwerrente, rund 1900 Franken im Monat. Diese Rente wird «eingestellt», als seine jüngere Tochter volljährig ist – weil er ein Mann ist. Als Frau hätte er das Geld weiterhin bekommen, auch wenn die Kinder bereits erwachsen sind. Mehr noch: Sogar Witwen, die gar nie Kinder hatten, bekommen die Rente. Bedingung ist nur, dass sie beim Tod des Partners mindestens 45 Jahre alt und mindestens 5 Jahre verheiratet waren. 

Sie bekommen pro Person mindestens 948 und höchstens 1896 Franken im Monat. Im Schnitt zahlte der Staat an verwitwete Frauen letztes Jahr 1600 Franken. Männer erhielten durchschnittlich 1300 Franken. 

Jetzt wird das Thema politisch aktuell. «Der Bundesrat hat festgelegt, dass er diesen Herbst ein konkretes Projekt für eine Gesetzesänderung in die Vernehmlassung schicken will», sagt Harald Sohns vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in Bern. «Wir gehen davon aus, dass er dies in der nächsten Zeit tun wird.» Der Gesetzesentwurf, der die Benachteiligung der Männer aufheben soll, dürfte den Leitlinien folgen, die der Bundesrat im Juni beschlossen hat (siehe Box).

Der Grund für die Paragrafen-Anpassung ist der Appenzeller Max Beeler, 70, der zwölf Jahre durch alle Instanzen gegen die Männer-Diskriminierung ankämpfte. Auch ihm hatte die AHV die Witwer-Rente gestrichen, als seine jüngste Tochter 18-jährig wurde. Die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg gab ihm mit Urteil vom 11. Oktober 2022 Recht. Sie rügte die Schweiz wegen Verstosses gegen das Diskriminierungsverbots der Menschenrechtskonvention. Witwer hätten Anrecht auf dieselbe Rente wie Witwen.

Seit dem Urteil aus Strassburg sind Übergangsbestimmungen inkraft, die vorsehen, dass auch Männer mit volljährigen Kindern weiterhin Geld bekommen. Jene, denen die Witwerrente bereits gestrichen wurde, erhalten eine Nachzahlung - rückwirkend auf den Zeitpunkt, zu dem ihnen der Betrag gestrichen wurde. 

Das gilt aber nur für Männer, die die sogenannte «Renten­auf­hebungs­ver­-fügung» angefochten haben und deren Fall am 11. Oktober 2022 noch hängig war. Damit gehen - trotz Diskriminierungs-Rüffel der Strassburger Richter - weiterhin einige Männer in der Schweiz leer aus. Männer wie H.G. 

«Meine Rente wurde damals stillschweigend eingestellt», sagt H.G. «Mir flatterte einfach ein Brief der AHV-Ausgleichskasse ins Haus.» Eine anfechtbare Verfügung, die auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht hätte, dass es eine Einsprachemöglichkeit gebe, habe er nicht erhalten. «Darum habe ich nichts unternommen. Ich wusste gar nicht, dass man das kann.» Erst als er vom Fall Beeler hörte, stieg H.G. ein. Und klagte durch alle Schweizer Instanzen.

Mit Urteil von Ende Juni 2023 schmetterte auch das Bundesgericht seine Klage ab. Er sei ja schliesslich lange untätig geblieben, wodurch der Entscheid zur Renteneinstellung der Behörden «in Rechtskraft erwachsen» sei.

Gegen 200’000 Franken sind H.G. so entgangen - Geld, das er als Frau erhalten hätte. «Diese Diskriminierung der Männer ist doch der Gipfel!», sagt H.G. «Sie werden nicht nur massiv schlechter gestellt als Frauen in der gleichen Lebenslage, sondern auch noch mittels einem Buebetrickli um ihren Rechtsweg betrogen.» 

Weil es sich um «alte Weisse Männer» handle, interessiere das Thema derzeit niemanden. «Ich müsste ein Transgender sein oder auf das Zivilstandamt marschieren und erklären, dass ich eigentlich eine Frau sei, um Aufmerksamkeit zu generieren», sagt H.G. «Was ich und viele andere Männer hier erleben, ist menschlich bitter. Man könnte vom Bundesrat wenigstens eine Entschuldigung erwarten.»

*Name der Redaktion bekannt