Interview mit On-Mitgründer«Wir müssen die Preise wegen des höheren Ölpreises erhöhen»
Die Lieferengpässe, die den Schweizer Schuhhersteller in die Negativschlagzeilen gebracht hätten, seien fast überwunden, sagt David Allemann. Dafür wird ein anderes Problem die Kundinnen und Kunden belasten – nur in einem Land nicht.
Herr Allemann, bis zum Börsengang waren Sie ein ganz normaler Jungunternehmer. Über Nacht gehörten Sie zu den Reichsten der Schweiz. Was macht dieser Reichtum mit Ihnen?
Das Geld steckt im Unternehmen. Darum hat sich für mich das Leben nicht wahnsinnig verändert. Ich lebe mit meiner Familie weiterhin in der Stadt Zürich und fahre mit dem Velo zur Arbeit.
Trotzdem: Ihnen gehören Hunderte Millionen Franken. Was leisten Sie sich heute im Gegensatz zu früher?
Mehr Ferien. Ich habe kleine Kinder. In den letzten paar Jahren hatte ich nicht immer so viel Zeit für meine Familie, wie ich das gerne gehabt hätte.
Keine teuren Häuser, Jachten, Autos, Uhren?
Nein, nein. Ich glaube nicht, dass diese Sachen nachhaltig glücklich machen. Für mich sind Erlebnisse viel wichtiger als teure Dinge. Wir sind viel im Engadin, machen zusammen Sport, bewegen uns in der Natur.
Als On vor einem halben Jahr an die Börse ging, schoss der Aktienwert auf 12 Milliarden Dollar hoch. Seither hat sich der Kurs halbiert. Was läuft schief?
Wir schauen nicht regelmässig auf den Aktienkurs, sondern konzentrieren uns darauf, das weitere Wachstum des Unternehmens zu stemmen. Wie und wann sich das im Kurs spiegelt, ist für uns weniger wichtig.
Vor dem Börsengang ist On jedes Jahr um 85 Prozent gewachsen. Werden Sie dieses Wachstum auch in Zukunft erreichen?
In unserem Bericht zum dritten Quartal des letzten Jahres sieht man, dass das Wachstum weitergeht.
Bis heute ist unklar, wie stark Roger Federer an On beteiligt ist. Wie viele Prozent der Aktien hält er?
Er hat einen substanziellen Betrag in On investiert. Wie viel genau das ist, dazu geben wir keine Auskunft. Das ist Sache jedes einzelnen Investors.
Wann wird On in der Lage sein, eine Dividende zu zahlen?
Für uns ist es momentan kein Ziel, eine Dividende zu zahlen. Wir wachsen so stark, dass unser ganzes Kapital – auch jenes, das wir an der Börse aufgenommen haben – für die vorhersehbare Zukunft in das Wachstum des Unternehmens geht.
Solange keine Dividende bezahlt wird, ist es doch so: Vom Börsengang profitieren nur das Unternehmen selber und die fünf Topmanager, die zusammen zwei Milliarden reicher wurden. Die kleinen Anleger haben bei dem sinkenden Börsenkurs das Nachsehen.
On ist für Investoren, die langfristig investiert sind. Das ist der Fall für uns als Gründer, das ist der Fall für unser Team. Praktisch alle Mitglieder unseres Teams sind Aktionäre. Es ist aber auch der Fall für alle Aktionäre, die beim Börsengang hinzugekommen sind. Ich glaube nicht, dass man ein paar Monate nach dem Börsengang beurteilen kann, wie hoch die langfristige Rendite einer On-Aktie sein wird.
Im Börsenprospekt warnte On, dass wegen der weltweiten Lieferunterbrüche grosse Verluste und im schlimmsten Fall sogar eine finanzielle Notlage und der Konkurs drohen. Wie eng wurde es im vergangenen Herbst für Ihr Unternehmen?
Mit dem Börsengang konnten wir rund 750 Millionen Dollar an neuem Kapital aufnehmen. Eine Kapitalknappheit gab es bei On nie.
«Der Krieg mitten in Europa ist inakzeptabel. Wir haben unsere Schuhlieferungen nach Russland gestoppt.»
Das Problem war, dass Sie praktisch nur in Vietnam produzieren, wo die Maschinen stillstanden. Läuft die Produktion in Vietnam wieder auf vollen Touren?
Unsere Schuhe konnten nur während weniger Wochen nicht produziert werden. Seit Ende November sind sämtliche Fabriken wieder offen, und im Dezember war die Produktion schon wieder auf 80 Prozent des Normalzustandes.
Sind die Lieferprobleme beseitigt?
Das Umfeld ist nach wie vor anspruchsvoll. Wir sind am Aufholen. Zum Teil liefern wir unsere Schuhe mit dem Flugzeug statt mit dem Schiff, damit die Produkte in den Läden immer verfügbar sind.
Haben Sie inzwischen die Produktion der Schuhe auf weitere Länder verteilt, um diese Abhängigkeit von einem einzigen Land zu vermindern?
Wir haben einen ersten Produktionspartner in Indonesien hinzugenommen. Und in Europa lassen wir einen Teil der Accessoires und Kleider herstellen.
Erwägen Sie, auch Ihre Schuhe in Europa herzustellen?
Nein. Wir wüssten gar nicht, wo. In Europa gibt es schlicht das Know-how für die Produktion von hochtechnischen Laufschuhen nicht. Diese Fähigkeiten sind in Asien konzentriert. 97 Prozent der Weltmarktproduktion von Laufschuhen sind dort. Man muss sich das vorstellen wie das Silicon Valley der Schuhproduktion.
Jetzt mit dem Ukraine-Krieg: Was macht Ihnen in Bezug auf Ihre Firma am meisten Sorgen?
Der Krieg mitten in Europa ist inakzeptabel. Er macht mich persönlich sehr betroffen. Wir machen uns Sorgen, was die Situation der Zivilbevölkerung angeht. Wir haben keine Teams in der Ukraine und in Russland. Doch wir haben unsere Schuhlieferungen nach Russland gestoppt.
«Unser Ziel ist, dass das Polyamid und der Polyester in unseren Schuhen bis 2024 zu hundert Prozent aus rezykliertem Material bestehen.»
Werden Sie aufgrund der steigenden Rohstoff- und Transportpreise die Preise für On-Schuhe erhöhen?
In der Schweiz nicht, aber in all unseren anderen Märkten werden wir die neuen Modelle, die ab April in die Läden kommen, teurer verkaufen müssen.
Wie viel teurer?
Es handelt sich nicht um einen Riesensprung. Die Preiserhöhung bewegt sich in einem vernünftigen Prozentbereich.
Letzten Herbst sagten Sie noch, Sie hätten eine «komfortable Marge» und könnten daher auf Preiserhöhungen verzichten. Was ist nun anders?
Uns ist es wichtig, dass wir weiter in Innovation investieren können. Um diesen Spielraum zu bewahren, müssen wir die Preise wegen höherer Transportkosten und des höheren Ölpreises erhöhen.
Weil in Ihren Schuhen, die zu einem guten Teil aus Kunststoff bestehen, viel Erdöl drinsteckt?
Genau. Wir senken den Erdölanteil in unseren Schuhen seit Jahren. Dazu verwenden wir rezyklierte und biobasierte Materialien. Ihren Anteil wollen wir möglichst rasch weiter erhöhen. Unser Ziel ist, dass das Polyamid und der Polyester in unseren Schuhen bis 2024 zu hundert Prozent aus rezykliertem Material bestehen.
Wo stehen Sie auf diesem Weg zum Ziel?
Das variiert von Modell zu Modell. Durchschnittlich beträgt der Anteil an rezyklierten Materialien über alle unsere Schuhe gerechnet 32 Prozent, bei unserem meistverkauften Modell sogar 44 Prozent. Bei einem anderen Modell besteht das Material aus biobasierten Bohnen, und es kann zu hundert Prozent rezykliert werden.
«Derzeit sind wir am Standort Zürich 600 Mitarbeitende. Wenn wir so rasch wachsen wie bis anhin, werden wir hier in zwei bis drei Jahren tausend Mitarbeitende erreichen.»
Verzichtet On in der Schweiz auf Preiserhöhungen, weil hier Ihre Schuhe ohnehin sehr teuer sind und nicht mehr gekauft werden würden?
Nein. In den USA haben viele Schuhhersteller ihre gestiegenen Kosten im Einkauf an die Konsumenten weitergegeben. Das ist in der Schweiz bisher nicht geschehen. Deshalb verzichten wir hier darauf, die Preise auf die Kunden zu überwälzen.
On will in Zürich auf tausend Mitarbeitende anwachsen. Wann wird das der Fall sein?
Derzeit sind wir am Standort Zürich 600 Mitarbeitende. Wenn wir so rasch wachsen wie bis anhin, werden wir hier in zwei bis drei Jahren tausend Mitarbeitende erreichen. Daneben werden wir an all unseren acht Standorten weltweit weiter stark wachsen.
In der Schweiz sind es vor allem Leute ab vierzig, die On-Schuhe tragen. Warum gelingt es Ihnen hier nicht, die Jungen anzusprechen?
In New York sehe ich viele Junge mit unseren Laufschuhen, sowohl beim Joggen als auch im Alltag. Diesen Trend beobachten wir international: Funktionskleider sind in der Mode und der Populärkultur angekommen. Die Art und Weise, wie wir uns kleiden, hat sich stark verändert, noch beschleunigt durch die Pandemie. Viele Menschen unterscheiden nicht mehr zwischen Beruf, Freizeit und Sport, sondern tragen Turnschuhe zum Anzug oder sogar eine Outdoorjacke als Statement.
Ihr Schuh ist im Grunde kein Laufschuh, wie Sie ihn vermarkten. Es handelt sich ganz einfach um einen sportlich designten Alltagsschuh.
Es gibt Spitzenathleten aus der ganzen Welt, die mit On-Schuhen internationale Wettkämpfe gewinnen. On ist also eine Toplaufmarke. Doch Sie haben recht: Sportliche Bekleidung ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Bestandteil geworden im Leben vieler Menschen. Diese Entwicklung werten wir positiv.
Nun wollen Sie vor allem in Asien wachsen. Wo genau?
In Tokio wird Ende März unser erster eigener Laden eröffnet. China ist ebenfalls ein stark wachsender Markt. Dort haben wir mittlerweile sieben eigene Läden, die unsere Onlineshops ergänzen. Entwicklungsmöglichkeiten sehen wir auch in Metropolen wie Singapur und Seoul.
Ihre Schuhe vermarkten Sie im Premiumsegment, jedoch werden sie sehr günstig in Asien hergestellt. On ist also vor allem ein Marketingprodukt. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Wir gehören unbestritten zu den grössten Laufschuhmarken der Welt. Das bestätigt der Blick in die USA. Unser Produkt und die hochgradige Innovationsfähigkeit der Firma rechtfertigen den Preis.
Immer wieder berichten Konsumenten von Qualitätsmängeln. Die Schuhe seien zu weich zum Joggen. Was unternehmen Sie, um sie zu verbessern?
Anfangs hatten wir nur wenige Schuhe im Angebot. Doch inzwischen gibt es für jeden Lauftyp das passende Modell: von stark gedämpften Sohlen bis zu einer eher neutralen Dämpfung.
Wer Rückenweh bekommt, hat also den falschen On-Schuh gekauft?
Das kann gut sein. Damit dies nicht geschieht, arbeiten wir mit Laufschuhhändlern zusammen, die bei der Auswahl helfen.
Zudem gibt es immer wieder Kunden, die beklagen, On-Schuhe gingen zu schnell kaputt.
Orthopäden empfehlen, einen Laufschuh nach 500 bis maximal 800 Kilometern zu ersetzen. Nur gerade 0,5 Prozent unserer Schuhe gelangen zu uns zurück, bevor diese Laufdistanz erreicht wurde. Dieser Anteil ist bedeutend tiefer als in der Laufschuhbranche üblich.
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