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Meinung

Bertschys Blitzpost
Wir müssen aufhören, unsere Städte zu versiegeln

«Die Bevölkerung und die Gesundheit müssen an erster Stelle stehen»: Kathrin Bertschy.
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Lieber Anders Stokholm

Die neu gebaute Zürcher Europaallee ist eine Asphaltwüste. Der Berner Breitenrainplatz wurde bei seiner Sanierung grossflächig versiegelt, und auch beim umgestalteten Basler Wielandplatz wurde primär Beton verbaut. Warum das problematisch ist, merken Städterinnen und Städter dieser Tage nur zu gut. Am Abend weisen dicht bebaute Gebiete rasch 10 Grad höhere Temperaturen auf als der umliegende ländliche Raum.

Das Phänomen wird als städtische Wärmeinsel bezeichnet. Es entsteht dort, wo Gebäude und enge Gassen die Windzirkulation bremsen. Wo Böden grossflächig mit Beton und Asphalt versiegelt sind. Tagsüber speichern diese Inseln Wärme, nachts geben sie diese wieder ab. Im Winter führt das zu einem milden Stadtklima – im Sommer hingegen dazu, dass sich die Städte nicht mehr richtig abkühlen.  

Wenn die Temperaturen nachts nicht mehr unter 20 Grad sinken, spricht man von sogenannten Tropennächten. Solche waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Seltenheit. In den vergangenen Jahrzehnten treten sie häufiger auf. Und bis 2060 werden in den Innenstädten von Basel, Zürich, Lausanne oder Genf jährlich 10 bis 30 Tropennächte erwartet, dies zeigen computersimulierte Klimaszenarien des Bundes für den Fall, dass sehr wohl Klimaschutzmassnahmen getroffen werden, jedoch nicht drastisch und umgehend – ein wahrscheinliches Szenario also. Diese Tropennächte werden häufiger, und es ist unausweichlich, dass wir uns anpassen müssen, um weniger schlecht mit den Folgen der Klimaerhitzung zu leben. 

Kühlende Elemente sind bekannt: Schatten, Bäume, Gewässer, weniger und heller Bodenbelag, mehr Versickerungsflächen.

Die Hitze birgt gravierende gesundheitliche Belastungen: Die Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei älteren und kranken Menschen häufen sich, die Sterblichkeit der Gruppe steigt. Auch jüngere Menschen können sich nachts schlechter erholen. Sie vertragen die Hitze dadurch auch tagsüber schlechter, sind weniger produktiv, und ihre Lebensqualität sinkt. Es sind grosse Teile der Bevölkerung betroffen: 75% leben in städtischen Gebieten.

Bemerkenswert an der Entwicklung ist, dass wir eigentlich schon sehr lange darum wissen. Bereits in den 1980er-Jahren erläuterte eine Wissenschafterin der Stadt Zürich die besonders intensiven Auswirkungen der Erderwärmung auf die Städte. Wider besseres Wissen wurden Städte und der öffentliche Raum vierzig Jahre weiter geplant und gebaut, als würde sich nichts ändern. Dabei wären auch die kühlenden Elemente bekannt: Schatten, Bäume, Gewässer, weniger und heller Bodenbelag, mehr Versickerungsflächen.

Aber erst mit den Hitzesommern im letzten Jahrzehnt drang offenbar die Erkenntnis in die Stadtverwaltungen, sich stärker mit klimaverträglichem Bauen zu beschäftigen. Die Europa«allee» in Zürich war längst geplant und gebaut, der charakterlose Asphalt-Eigerplatz wurde beim Berner Wankdorf- und Breitenrainplatz gleich wiederholt. In den rot-grün regierten Städten hört man, dass man heute so nicht mehr bauen würde. Und tut genau das. Die Bauprojekte wurden und werden nicht gestoppt. Die Planung städtischer Plätze dauert oft viele Jahre, ist verbunden mit Architekturwettbewerben, zahlreichen Involvierten und divergierenden Interessen. Gesundheit, Kühlung oder Biodiversität gehen in diesen Prozessen vergessen oder unterliegen in einer Güterabwägung. Justieren kostet Zeit und geht ins Geld, weshalb die Plätze fertiggestellt werden. Dass dadurch immense Folgekosten ausgelöst werden, geht ebenso vergessen. 

Kühlung und Biodiversität müssen Ziel und nicht möglicher Nebeneffekt der städtischen Planung werden.

Dabei verlangt der Klimawandel eine ganz andere Prioritätensetzung, einen Paradigmenwechsel: Die Bevölkerung und die Gesundheit müssen an erster Stelle stehen. Kühlung und Biodiversität müssen Ziel und nicht möglicher Nebeneffekt der städtischen Planung werden.

Wie das geht, zeigen Städte, welche schon länger von extremer Hitze betroffen sind: Barcelona rüstet sich mit Superblocks gegen die Entstehung von Wärmeinseln. Mehrere benachbarte Häuserblocks werden zu einem Superblock zusammengeschlossen, die Strassenzüge innerhalb für den motorisierten Verkehr gesperrt und begrünt. Das bringt Kühlung und lässt die Stadt aufatmen. Athen hat Hitze zur Chefinnensache erklärt. Mit Eleni Myrivili wurde die erste Hitzebeauftragte ernannt. Sie berät direkt den Bürgermeister, plant Projekte gegen die Hitze und greift in die Stadtplanung ein. Im Zentrum wurden Strassen abgesperrt, um den Verkehr zu reduzieren. Der Megalos Peripatos verbindet nun die Akropolis unter Platanen mit mehreren Museen. Die Zahl der Radfahrer verdreifachte sich, Platanen dämpfen die Hitze.

Für die Anpassung an die Erderwärmung werden wir einen sehr hohen Preis bezahlen. Er steigt laufend, je länger wir zuwarten. Die Frage ist längst nicht mehr, ob wir handeln. Sondern einzig, wie rasch und was es kostet. 

Im August übernehmen Sie, Herr Stokholm, das Präsidium des Städteverbandes. Wie die Städte lebenswert bleiben, wie Hitzeinseln reduziert werden, wird zur zentralen Herausforderung ihres Verbands. Im Vorstand sitzen alles Exekutivmitglieder der grossen Städte. Diese können den Paradigmenwechsel einläuten. Hitzebeauftragte ernennen, nach dem Vorbild von Athen. Oder Superblocks realisieren, wie das Barcelona tut. Mut, Kreativität und rasches Handeln sind jetzt gefragt.

Ich zähle auf Sie!

Mit freundlichen Grüssen, Kathrin Bertschy