«Winter Palace» und «Levi Strauss»Zwei historische Serien, und beide sind auf ihre Art ein Ärgernis
SRF zeigt die drastisch überzeichnete Serie «Winter Palace». Die ARD die komplett falsch gezeichnete Story «Levi Strauss und der Stoff der Träume».
Ja, die Anfänge des Schweizer Wintertourismus sind eng mit dem englischen Adel verknüpft, der die verschneiten Alpen als Erholungs- und Freizeitort entdeckte. Ja, es stimmt, Sir Arthur Conan Doyle, der Erfinder von Sherlock Holmes, hat mit seiner Berichterstattung einiges zum Schweiz-Boom in seiner Heimat beigetragen. Und ja, es stimmt, der amerikanische Streaming-Gigant Netflix ist gemäss Filmgesetz verpflichtet, vier Prozent seiner Schweizer Einnahmen für die hiesige Filmproduktion aufzuwenden. Der Achtteiler «Winter Palace» profitierte davon.
Was nicht stimmt, ist das Resultat aus dieser ersten Zusammenarbeit zwischen SRG – beziehungsweise RTS – und Netflix. Gewiss, es durfte grosszügig ausgestattet werden, die Bilder aus den Bergen – Binntal, Simplon-Hospiz und oberhalb von Montreux – sind toll. Die Kostüme sorgfältig ausgewählt, das Dekor opulent. Das Casting war gut, Bildschnitt, Kamera und Erzähltempo stimmen. Die Musik überrascht.
Doch die Geschichte, wie ein junger Walliser in seiner Heimat einen abgelegenen alten Kasten zum Luxushotel formen will, ist hanebüchen. Sie oszilliert zwischen Comic, Karikatur und Kopie. Zum Beispiel in der ersten Episode. Da treffen (zeitgleich) die ersten Gäste per Schlittenfahrt ein, und just als sie den Blick in den Speisesaal werfen, löst sich uralter Russ aus dem lange nicht genutzten Kamin und alle werden geschwärzt, ge-black-faced, könnte man sagen. Das ist ebenso doof wie viel zu dick aufgetragen.
Figur aus «Winter Palace» ist wie aus Asterix und Obelix
Ein weiteres Beispiel. Der Spitzenkoch mit typisch (???) französischem Temperament, den der Hotelbesitzer André Morel (Cyril Metzger) in seinen riesigen Kasten mitten in den Bergen hat locken können. Ein Choleriker, direkt aus einem Band von Asterix und Obelix entsprungen; oder rechtzeitig aus «Ratatouille» entkommen. Eine Karikatur eins a. Seine Spezialität: Elefantenrüssel an Jägersauce. Gute Güte.
Oder der mysteriöse Amerikaner Lance Raney (Clive Standen), der mit einem grosskalibrigen Gewehr, dem massiven Bart und dem schweren Pelzmantel vermuten lässt, er sei ein Restposten der Netflix-Serie «Frontier».
Was im Leben des armen Monsieur Morel schiefgehen kann, geht schief und jede schicksalhafte Wendung ist so absehbar wie der Umstand, dass auf Dezember der Januar folgt.
Gerade umgekehrt verhält es sich mit dem Vierteiler «Levi Strauss und der Stoff der Träume». Er wurde in den ersten Januartagen – das sind die nach Ende Dezember – in der ARD en bloc ausgestrahlt. Auch ein historischer Stoff wie «Winter Palace»; allerdings nochmals fast ein halbes Jahrhundert weiter zurückblickend. Geschildert wird die (wahre) Geschichte der Bluejeans. Ein Gemeinschaftsprojekt des bayerischen Auswanderers Levi Strauss (1829-1902), gespielt von Vincent Redetzki, und des aus Riga, russisches Kaiserreich damals, geflohenen Schneiders Jacob Davis (1831-1908), gespielt von Anton von Lucke.
Bei «Levi Strauss und der Stoff der Träume» macht man es wie bei Karl May
Gut und spannend erzählt, aber geografisch verlogener als jede Karl-May-Verfilmung aus den 1960er-Jahren umgesetzt. Dort musste Kroatien für den Wilden Westen herhalten. Bei «Levi Strauss und der Stoff der Träume» sind es Turin und Südtirol, die San Francisco darstellen sollen. Für keine Sekunde nimmt man dieser Produktion ab, dass sie in den USA gedreht wurde.
Kommt dazu: Diese hölzernen Dialoge, die immer so klingen, als seien sie vorgelesenes Drehbuch. Das letzte bisschen Glaubwürdigkeit verjubelt wird mit miesen CGI-Kulissen. Lieber hätte man die Geschichte gleich als Stück auf einer Theaterbühne erzählt.
Vorschlag zur Güte: ARD, SRG und Netflix spannen zusammen und es entsteht eine Produktion mit der Klasse von «Winter Palace», erzählt nach dem Muster von «Levi Strauss». Könnte was werden. Etwas für Feinschmecker. Leckerer als Elefantenrüssel an Jägersauce.
Fehler gefunden?Jetzt melden.