Gastbeitrag zu CoronaWie man psychisch am besten durch die Pandemie kommt
Wer langfristige Ziele hat und diese engagiert verfolgt, kann besser mit negativen Emotionen umgehen. Das ist nicht angeboren, aber man kann es lernen.
Die Covid-19-Pandemie brachte in den vergangenen bald zwei Jahren den Grossteil der Weltbevölkerung in eine noch nie da gewesene Situation. Die Einschränkungen, das Leid und die Ängste in Folge der Pandemie lassen sich nicht vermeiden. Darum ist es wichtig, dass Menschen mit ihnen umgehen können.
An der ETH haben wir eine Studie mit über 12’000 Freiwilligen aus 30 Ländern durchgeführt, um herauszufinden, wie sie mit der Pandemie und ihren Einschränkungen im letzten Jahr zurechtkamen. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die Wertvorstellungen und langfristige Ziele haben und diese engagiert verfolgen, negative Affekte besser verarbeiten können. Sie litten während der Pandemie weniger unter Stress, Depressionen und Angstzuständen. Diesen Personen ist ein höheres Mass an «innerer Harmonie» eigen, es gelingt ihnen, positive wie auch negative Lebensaspekte zu akzeptieren und in das eigene Leben zu integrieren.
Die Psychologie hat in den letzten Jahrzehnten die Integration negativer Emotionen in unser Leben vernachlässigt. Dies wäre jedoch nötig, um psychologische Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Dazu müssen wir sowohl negative als auch positive Aspekte des Lebens annehmen, anstatt die ersteren zu verdrängen. Dies ist vor allem (aber nicht nur) im Kontext einer Pandemie wichtig, wo negative Emotionen alltäglich und schwer zu vermeiden sind.
Im Mittelpunkt steht die Technik des Umdeutens, auf Englisch als Reframing bezeichnet. Es besteht im Wesentlichen darin, unsere Perspektive auf ein Problem zu ändern, um sinnvolle Lösungsansätze zu finden. Die Art und Weise, wie ein Problem formuliert und damit definiert wird, schränkt manchmal ein, wie es angegangen werden kann.
Social Distancing kann man als Herausforderung begreifen, welche die Konzentration auf die eigenen Ziele fördert.
Ein schwieriges Ereignis kann zum Beispiel entweder als Bedrohung oder als Herausforderung wahrgenommen werden. Das ist zentral, wenn sich solche Ereignisse wie die Folgen einer Pandemie nicht vermeiden lassen. Ein Beispiel: Social Distancing kann man als Herausforderung begreifen, welche die Konzentration auf die eigenen Ziele fördert, emotionale Bindungen stärkt und die Wertschätzung von Beziehungen erhöhen kann.
Schwierige Ereignisse als Chance zu verstehen, ist keine angeborene Fähigkeit. Alle können sie erlernen, wenn sie entsprechend geschult und engagiert sind. Und professionelle Hilfe kann dabei helfen. Die Fähigkeit zum Reframing ist für gefährdete Bevölkerungsgruppen besonders wichtig.
Unsere Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen, junge Menschen, Studierende, Arbeitnehmende mit geringem Einkommen und vor allem Menschen mit psychischen oder körperlichen Vorerkrankungen während der Pandemie am stärksten unter Stress, Angst und Depression litten. Aus diesem Grund sollte das Erlernen gesunder Reframing-Fähigkeiten auf die politische Agenda gesetzt und in die Leitlinien von Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen werden.
*José Antonio Pérez Escobar ist Wissenschaftler der ETH Zürich. Er hat Psychologie, Neurowissenschaften und Philosophie studiert.
Fehler gefunden?Jetzt melden.