Pandemie und psychische GesundheitJunge und Frauen fühlen sich schlechter, rauchen und trinken mehr
Eine neue Studie untersucht die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung. Sie zeigt einen Altersgraben, einen der Geschlechter – und auch Gewinner der Krise.
Seit fast eineinhalb Jahren ächzt die Welt unter der Pandemie, deren Folgen kaum abschätzbar sind. Doch nun gibt eine von der Krankenkasse CSS in Auftrag gegebene Befragung erstmals Anhaltspunkte darüber, wie sich das Krisenjahr auf die psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung ausgewirkt hat. Dabei sind zwei Befunde besonders bemerkenswert: Erstens offenbart sich eine Resilienz-Schere. Wer sich vor der Pandemie psychisch gesund fühlte, dem geht es heute besser als vorher. Und wer zuvor schon eher labil war, dem geht es heute schlechter. Zweitens leidet eine Gruppe besonders stark unter den Folgen der Pandemie: junge Frauen unter dreissig.
Die psychisch Robusten fühlen sich besser
Die Studie umfasst zwei repräsentative Befragungen, die im März 2020, kurz vor Ausbruch der Pandemie, und im Juni 2021, 16 Monate nach Ausbruch der Pandemie, in allen Landesteilen vorgenommen wurden. Insbesondere mit Blick auf die verschiedenen Altersgruppen und die Geschlechter zeigen sich dabei interessante Befunde. So geht rund ein Drittel der Befragten gestärkt aus der Krise hervor. Es handelt sich in der Mehrzahl um Personen, denen es zuvor schon psychisch gut ging. Sie geben an, die Krise habe ihre Widerstandsfähigkeit gestärkt, ihre Verfassung und auch ihre Lebensfreude verbessert. «Wer gesund ist, der kann an einer solchen Herausforderung auch wachsen», sagt Politgeograf Michael Hermann, der die Studie mit seinem Befragungsinstitut Sotomo durchführte.
«Frauen kümmern sich in der Regel eher um gesundheitliche und auch psychische Belange und haben in diesen Fragen oft eine präzisere Selbstwahrnehmung als Männer.»
Doch nicht allen geht es heute besser. Während sich vor dem Krisenjahr nur 16 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 35 nicht ganz gesund oder gar krank fühlten, stieg dieser Anteil durch die Pandemie auf 26 Prozent. Bei den Alten über 68 Jahren fühlen sich dagegen nur 12 Prozent nicht gänzlich gesund. Auch die körperlichen Auswirkungen von Lockdown und Krise sind bei der jüngeren Bevölkerung gravierender. Während Personen über 60 Jahre im Schnitt nur ein Kilo zugenommen haben, sind es bei den unter 50-Jährigen 2,5 Kilo. Die vielen Stunden, die man mehr zu Hause verbrachte, führten auch zu vermehrtem Alkoholkonsum, und es wurde auch mehr geraucht.
Stark empfundener Leistungsdruck
Für rund ein Viertel der Befragten unter 50 Jahren war die bisher gravierendste Erkrankung in ihrem Leben psychischer Natur. Dennoch hat gerade bei diesem Thema die Scheu zugenommen, auch darüber zu sprechen. Rund die Hälfte der Befragten hat deshalb bereits eine Krankheit verschwiegen – und zwar besonders dann, wenn diese psychischer Natur war. Drei Viertel der 18- bis 35-Jährigen fühlen sich zudem unter Leistungsdruck sowie unter dem Druck, immer gesund bleiben zu müssen.
Neben den Unterschieden zwischen den Altersgruppen weist die Studie auch auf einen ausgeprägten Geschlechtergraben bei der Verarbeitung der Pandemie hin. Besonders junge Frauen scheinen Mühe zu haben, mit der ungewohnten Situation zurechtzukommen. Bei der Altersgruppe der bis 30-jährigen Frauen gibt rund die Hälfte an, sich heute weniger gesund zu fühlen als vor der Pandemie. Auch haben Frauen Angst, auf wenig Verständnis zu stossen, wenn sie sich dazu äussern. Weshalb sie lieber schweigen. Grund für diese Zurückhaltung sei der Druck, immer gesund und leistungsfähig sein zu müssen, heisst es dazu weiter in der Studie, die daraus schliesst: «Der Druck, stets gesund zu sein, wird damit zu einem Faktor, der krank machen kann.»
Doch woher kommt dieser Geschlechtergraben? Sind junge Frauen allgemein empfindlicher oder sind sie einfach ehrlicher in der Selbsteinschätzung? «Frauen kümmern sich in der Regel eher um gesundheitliche und auch psychische Belange und haben in diesen Fragen oft eine präzisere Selbstwahrnehmung als Männer», sagt Studienleiter Michael Hermann. Durch verschiedene psychologische Studien ist aber auch belegt, dass Frauen schneller und sensibler auf sozialen Druck reagieren. Vielleicht lassen sie sich auch deshalb mehr verunsichern durch Ereignisse wie die Pandemie mit ihren gravierenden sozialen Folgen.
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