AboKindesentführungen in ChinaWie Li Jingwei seine Mutter wiederfand
Er war ein kleiner Bub, als er aus seinem Heimatdorf entführt und an eine fremde Familie verkauft wurde. 30 Jahre später half ihm eine Zeichnung dabei, seine Mutter wiederzufinden. Hier erzählt er seine Geschichte.
Seinen richtigen Namen kannte Li Jingwei nicht. Er wusste auch nicht, wie alt er war und wo genau er geboren wurde. Er erinnerte sich nur an das Dorf. An die Häuser, die dort standen, die Sandpiste, die sich durch den Ort zog. Er erinnerte sich an die Berge, den Bambuswald und den Teich neben dem Haus seiner Eltern. Immer und immer wieder hat er in den vergangenen Jahren das Dorf gemalt. Die Erinnerungen eines Viereinhalbjährigen, verdichtet in einer Landkarte.
1989 hatte ihn ein Nachbar weggelockt, er solle sich die Autos ansehen, die gerade vorgefahren waren, damals eine Seltenheit in China. Der Mann packte ihn und brachte ihn hinter einen Hügel zu einer Strasse, dort warteten vier weitere Entführer auf Fahrrädern. Sie setzten ihn auf eines der Räder und fuhren weg. Li weinte. «Zwei Stunden, nachdem sie mich mitgenommen hatten, wurde mir klar, dass ich nicht mehr zurückkehren würde», erzählt er im Gespräch. «Das Einzige, was ich tun konnte, war, zu versuchen, mich so oft und so intensiv wie möglich daran zu erinnern, wie meine Eltern aussahen.» Seine einzige Hoffnung.