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Die Angst der Nachbarn
Wie gefährdet sind Georgien und Moldau?

Solidaritätsbotschaft: Seit einer Woche demonstrieren täglich Tausende in der georgischen Hauptstadt Tiflis für die Freiheit der Ukraine.
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Die ukrainische Führung kämpft gerade um den Erhalt ihres Landes, für diplomatische Details hat sie allerdings auch noch einen scharfen Blick: Präsident Wolodimir Selenski rief seinen Botschafter aus Georgien zu Konsultationen zurück. Das klingt nach einer unbedeutenden Fussnote angesichts der schrecklichen Kämpfe um die ukrainischen Städte. Doch dahinter steckt für Selenski eine grosse Frage: Wie hält es Georgien mit dem Krieg? Die Ukraine ist auch darüber sehr besorgt.

Die georgische Regierung hatte in den vergangenen Tagen erklärt, dass sie sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht anschliessen werde. Die Ukraine sprach von einer «unmoralischen Haltung», sogar die georgische Präsidentin Salome Surabischwili kritisierte gegenüber einem französischen Fernsehsender die ablehnende Position ihrer Regierung: «Ich hätte eine solche Erklärung nicht abgegeben, das sage ich ganz offen.» 

Und die ehemalige Verteidigungsministerin Tina Khidasheli sprach vom «grössten Fehler, den die Regierung gerade machen kann». Sie müsse jetzt handeln und schnell verhindern, dass sich der Weg zur Integration mit der Europäischen Union schliesse. Die georgische Opposition wirft der Regierung seit Jahren vor, zu russlandfreundlich zu sein. Diese streitet das vehement ab.

Die Situation ist vergleichbar

Vor wenigen Tagen lehnten es die georgischen Behörden nach einem Bericht von Radio Free Europe/Radio Liberty ab, ein ukrainisches Flugzeug in Tiflis landen zu lassen, mit dem 30 georgische Freiwillige nach Kiew gebracht werden sollten. Ist es die Sorge, Russland zu provozieren? In der georgischen Bevölkerung ist die Unterstützung für die Ukraine jedenfalls gross. Mehrere Zehntausend Menschen sind allein in Tiflis seit Kriegsbeginn auf die Strasse gegangen. Sie schwenken blau-gelbe Ukraine-Flaggen und halten Luftballon-Trauben in den ukrainischen Nationalfarben. Seit einer Woche dauern die Demonstrationen bereits an. Eine Solidaritätsbotschaft an die Menschen in der Ukraine, aber auch ein Signal an die eigene Regierung.

Georgien ist zwar nicht in der gleichen Lage wie die Ukraine. Deren Unabhängigkeit hatte Kremlchef Wladimir Putin schon im vorigen Jahr mit einem Aufsatz über die Einheit von Russen und Ukrainern infrage gestellt. Parallelen gibt es aber trotzdem genug, etwa die allgemeine Beitrittszusage der Nato auch an Georgien oder zwei georgische Regionen, die durchaus mit den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk vergleichbar sind: Abchasien und Südossetien gehören zwar völkerrechtlich zu Georgien, werden jedoch von Russland als unabhängig anerkannt und faktisch seit Jahren kontrolliert.

In Tiflis wehrt man sich gegen den Vorwurf aus Kiew. Irakli Kobachidse, Vorsitzender der Regierungspartei, kritisierte den Rückruf des ukrainischen Botschafters als «Doppelstandard». Schliesslich sei Georgien nicht das einzige Land, das sich an den Sanktionen gegen Russland nicht beteilige. Auch Israel, die Türkei, Aserbaidschan und die Republik Moldau würden dies ablehnen, sagte er laut einem Bericht der Nachrichtenseite Civil.ge.

Ausnahmezustand in Moldau

Trotzdem wurde der Donnerstag noch zu einem besonderen Tag in Tiflis. Denn auf einer Pressekonferenz verkündete Kobachidse den Entschluss seiner Partei, «unverzüglich die Mitgliedschaft in der EU» zu beantragen. Der Antrag wurde noch am selben Tag an Brüssel übergeben. War es Druck der Opposition oder sieht Tiflis plötzlich ein günstiges Fenster, nachdem Selenski in Brüssel die sofortige EU-Mitgliedschaft für die Ukraine gefordert hat? Eigentlich wollte Tiflis erst im übernächsten Jahr den Antrag stellen. Beide Länder sind bisher über einen Assoziierungsvertrag mit der EU verbunden.

Das ist auch die Republik Moldau, noch ein Staat, in dem der russische Krieg gegen die Ukraine Befürchtungen auslösen dürfte. Moldau gilt als ärmstes Land Europas; aber das spielt natürlich keine Rolle für die Zehntausenden, die inzwischen vor dem Krieg aus der Ukraine ins Nachbarland geflüchtet sind. Dort sind sie sicher. Aber schon am zweiten Tag der Angriffe hatte auch Moldau Kriegsopfer zu beklagen. Ein Chemietanker, der unter moldauischer Flagge fuhr, wurde in der Nähe der ukrainischen Hafenstadt Odessa von einer Rakete getroffen.

Für die Republik Moldau ist die Lage so heikel, dass das Parlament für 60 Tage den Ausnahmezustand verhängt hat. So lange sind grosse Demonstrationen verboten, «unerwünschte Personen» könnten aus dem Land geschickt werden. Die neue moldauische Regierung sowie Präsidentin Maia Sandu streben möglichst enge Verbindungen zur EU an, haben sich bisher jedoch auch um ein pragmatisch gutes Verhältnis zu Russland bemüht. Denn ein grosser Teil der Bevölkerung fühlt sich bisher eher mit Russland verbunden. Das Problem für Moldau: In dem abtrünnigen und faktisch von Moskau kontrollierten Staatsgebiet Transnistrien sind russische Soldaten stationiert. Sie würde die moldauische Führung gern loswerden.

Moldau fürchtet eine mögliche Landverbindung zu Russland

Mit dem Krieg hat sich die Lage noch einmal verändert. Die Sorge in Moldau ist nun, dass das russische Militär versuchen wird, die ukrainische Hafenstadt Odessa zu erobern. Dann wäre der Weg praktisch bis nach Transnistrien frei; es gäbe eine direkte Verbindung zwischen Russland, dem Donbass, den südukrainischen Städten Mariupol, Cherson, Odessa bis nach Tiraspol, der offiziell zweitgrössten Stadt der Republik Moldau. Alle Versuche, das abtrünnige Gebiet wieder unter Kontrolle zu bekommen, wären damit hinfällig.

Aber die moldauische Regierung will offenbar nicht nur zuschauen, wie sich die Lage entwickelt. Präsidentin Maia Sandu unterzeichnete noch am Donnerstag einen formellen Antrag zur Aufnahme in die Europäische Union. «Wir wollen in Frieden und Wohlstand leben und Teil der freien Welt sein», sagte sie.