Bundesrat zur Corona-LageWie es in der Schweiz jetzt weitergeht
Die Neuansteckungen in der Schweiz nehmen stark zu. Der Bundesrat hat keine «Wundertüte» dagegen, sagt aber dennoch deutlich, was nun zu tun ist.
«Vor zwei Wochen sah es bei uns noch besser aus als bei den Nachbarländern, doch das hat sich nun schnell geändert, und wir stehen schlechter da», sagte Gesundheitsminister Alain Berset heute nach dem Krisengipfel des Bundesrats mit den Kantonen. Die Entwicklung sei beunruhigend, warnte Berset, vor allem habe man dies nicht schon Mitte Oktober erwartet. Weshalb der starke Anstieg schon jetzt kam, ist für den Bundesrat nicht ganz klar, wie Berset zugab. Ein Verdacht tönte aber immer wieder durch: zu wenig Disziplin der Bevölkerung.
«Es ist wieder kurz vor 12», betonte auch Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. «Je schneller wir nun reagieren, desto kleiner sind die Einschränkungen für Bevölkerung und Wirtschaft.» Für eine schnelle Reaktion könne jeder selber sorgen, denn eigentlich wäre es einfach: Hände waschen, Abstand halten und Masken tragen.
«Jetzt müssen sich alle ins Zeug legen und sich daran halten», sagte Sommaruga. Alle müssten wieder Anstrengungen auf sich nehmen. Man müsse sich nun wieder überall an die Hygienevorschriften halten und die Kontakte reduzieren, nicht nur im Büro, sondern auch nach Feierabend und am Wochenende, im Freundeskreis und in der Familie. «Die Lage ist ernst», mahnte die Bundesrätin (hier gehts zum Dashboard mit allen aktuellen Zahlen).
Schnellste Massnahme: Abstand
Für weitergehende Massnahmen, dies stellte Sommaruga aber klar, sind nun die Kantone zuständig. Der Bund mische sich vorerst nicht ein, die «besondere Lage» bleibe bestehen. Homeoffice oder Maskenpflicht im Büro müssten zwar von Kantonsregierungen verordnet werden, der Bundesrat trifft sich aber bereits am Freitag erneut mit den Gesundheitsdirektoren der Kantone (GDK), um weitere Massnahmen zu besprechen. Dabei geht es auch um schweizweit gültige Regeln – und die nächsten Entscheide sollen schnell getroffen werden, vielleicht schon am Freitag, sagte Sommaruga.
Möglich wäre, dass sich Bundesrat und Kantone dabei gemeinsam auf eine einheitliche nationale Maskenpflicht für Innenbereiche einigen. Auch eine schweizweite Homeoffice-Empfehlung wäre denkbar. Zudem dürften die Bedingungen für die Liste der Risikoländer überarbeitet werden. Für Privatanlässe werden hingegen von den Kantonen selber schärfere Regeln erwartet.
Am schnellsten umsetzen lassen sich aber ohnehin die Hygieneregeln, wiederholte die Bundespräsidentin auf Fragen nach zusätzlichen Massnahmen. Es liege an jedem Einzelnen, alle müssten nun wieder die Distanz einhalten. Natürlich seien alle Corona-müde, aber jeder sehe die Zahlen, jeder wisse, was zu tun ist, und könne mit seinem Verhalten dazu beitragen, dass schärfere Regeln nicht notwendig würden.
Und Alain Berset doppelte nach: «Es gibt keine Wundertüte.» Man könne nicht neue, bessere Massnahmen hervorzaubern. Es sei nicht mehr wie im März, wo man nicht wusste, was da über die Schweiz hereinbrach, und dann reagieren konnte. Nun sei bekannt, was nütze, man müsse sich aber daran halten.
Kantone werden nachbessern
Nachdem die Pandemie vor kurzem noch hauptsächlich ein Problem der Genferseeregion und des Kantons Zürich war, hat das Corona-Geschehen mittlerweile sämtliche Regionen erreicht, wie auch GDK-Präsident Lukas Engelberger betonte. Alle Kantone liegen über dem Schweizer Risiko-Grenzwert von 60 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohnern innert 14 Tagen.
Das Contact-Tracing hat teilweise Lücken, wie Engelberger zugab. Sommaruga versprach Hilfe von Zivildienstleistenden oder Zivilschützern. Alain Berset betonte, dass das Contact-Tracing auf keinen Fall aufgegeben werde. Das darin investierte Geld lohne sich auf jeden Fall, und diese Arbeit sei sehr wichtig für den Pandemie-Verlauf. Auch die Covid-App sei sehr wichtig, wer sie noch nicht heruntergeladen habe, soll dies jetzt tun.
Engelberger erwartet, dass viele Kantone ihre Massnahmen nun nach «nachschärfen». Die Konferenz der Gesundheitsdirektoren werde dafür Empfehlungen abgeben. Erwartet werden vor allem Ausweitungen der Maskenpflicht, auf Läden, wo das noch nicht der Fall ist, oder auf weitere Bereiche wie die Gastronomie oder Veranstaltungen.
Wie das gehen könnte, zeigte gestern der Kanton Baselland. Ähnlich wie in Frankreich ist dort bereits geregelt, was die nächsten Schritte sind, wenn bestimmte Grenzwerte überschritten werden: Die Anzahl Personen in Clubs oder bei Veranstaltungen wird reduziert, aber auch für private Feiern gibt es dann ein neues Limit.
Landkantone betroffen
Dass die coronafreien Zeiten auch in ländlicheren Regionen definitiv vorbei sind, zeigte am Donnerstag eine Reihe von Meldungen aus den Kantonen. In Nidwalden müssen 400 Personen in Quarantäne, nachdem ein infizierter Jugendlicher eine Disco und ein Jugendlokal in Wolfenschiessen und Stans besucht hatte.
In Uri waren am Wochenende zwei Personen in Altdorf unterwegs, die am Dienstag dann positiv getestet wurden. Der Kanton schickte daraufhin alle 300 Besucher von zwei Nachtlokalen in die Quarantäne. Die Contact-Tracer nervten sich wie auch ihre Kollegen im Kanton Nidwalden über unvollständige oder nicht korrekte Kontaktangaben.
In Brigels im Kanton Graubünden gab es über 30 Corona-Fälle in einem Herbstlager der Cevi Rapperswil-Jona. Etwa die Hälfte der 73 teilnehmenden Kinder und Betreuer infizierte sich, alle mussten in die Quarantäne. Das Lager fand Anfang Oktober statt, der Fall wurde aber erst jetzt bekannt, nachdem die «Linth-Zeitung» darüber berichtet hatte. Mittlerweile sei die Quarantänezeit bereits vorbei, und es habe keine ernsten Erkrankungen gegeben.
Mehr Disziplin
Ausgang mit Hunderten Partygängern, Lager mit Dutzenden Teilnehmern oder ausgelassene private Partys: GDK-Präsident Lukas Engelberger mahnte, dass solche Anlässe jetzt «keine gute Idee» mehr seien. «Wenn wir von grossen Partys oder Tanzabenden hören, müssen wir sagen, dass dies nun einfach nicht mehr geht», sagte er kopfschüttelnd.
Er höre auch oft von Anlässen, an denen das Schutzkonzept fein säuberlich umgesetzt werde, vom Einlass bis zur Sitzordnung und Maskenpflicht. «Aber sobald es danach zum Apéro geht, fallen alle Masken, und man hätte sich die Schutzmassnahmen davor eigentlich gleich sparen können», sagte Engelberger. Es brauche nun wirklich mehr Disziplin und die Umsetzung der Hygienemassnahmen in sämtlichen Bereichen.
Die Wirtschaftsvertreter an der Medienkonferenz unterstrichen, dass es auf keinen Fall weitere Lockdowns geben dürfe, weder national noch regional. Das sei für die Wirtschaft verheerend, sagte Urban Camenzind, Vizepräsident der Volksdirektorenkonferenz der Kantone.
Dass solche Gedanken nicht völlig unrealistisch sind, zeigt sich derzeit in Österreich, wo das Bundesland Salzburg eine Gemeinde bis Ende Oktober unter Quarantäne gestellt hat. Die Ein- und Ausreise ist bis auf einige Ausnahmen nicht mehr erlaubt, weil die Situation «völlig aus dem Ruder gelaufen» sei, wie der Landeschef sagte.
Fehler gefunden?Jetzt melden.