Weltweit steigende PreiseDie Inflation bedroht nach Jahrzehnten plötzlich wieder die Kaufkraft
In den USA mehr als 6 Prozent, in der Eurozone mehr als 4, in der Schweiz immerhin 1,2: So hohe Inflationsraten gab es schon lange nicht mehr. Was hinter der Entwicklung steckt.
Mit der Stabilität des Preisniveaus ist es vorbei. Vor einer Woche hat die Meldung Schockwellen ausgelöst, dass die Konsumentenpreise in den USA im Oktober seit dem Vorjahresmonat um 6,2 Prozent gestiegen sind. Am Mittwoch wurde bekannt, dass sie in der Eurozone um 4,1 Prozent angestiegen sind. In Deutschland war es mit 4,5 Prozent deutlich mehr. In der Schweiz liegt der Preisanstieg bei 1,2 Prozent. Was bedeutet die Entwicklung? Die wichtigsten fünf Punkte:
Gefährdete Kaufkraft, gefährdete Ersparnisse
Das neue Jahrtausend hat in den reichen Ländern keine Inflationsraten mehr gesehen, wie sie noch in früheren Jahrzehnten vorgeherrscht hatten. Entsprechend wenig musste man sich seither Sorgen um die Kaufkraft der Löhne machen.
Dass die Zinsen parallel mit der tieferen Inflation ebenfalls gefallen sind, hat zwar auf die Rendite von Ersparnissen gedrückt, aber immerhin hat die weitgehende Stabilität des Geldwerts ihre Kaufkraft nicht vermindert.
Ein Schub beim Preisniveau ist allerdings noch keine Inflation. Von einer solchen kann nur gesprochen werden, wenn sich die Preissteigerungen verstetigen. Noch ist ungewiss, ob das droht. Die sehr lange Zeit der tiefen Inflation und der tiefen Zinsen birgt jetzt aber das Risiko, dass sich kaum mehr jemand vorstellen kann, dass es auch wieder anders sein könnte.
Der jüngste Anstieg der Preise bringt deshalb die Folgen der Inflation auf die Kaufkraft von Löhnen und Ersparnissen mit einem Schlag wieder zurück ins Bewusstsein. Und wenn als Folge auch die Zinsen steigen, dürfte das für Schuldner aller Art ebenfalls einen Schock darstellen.
Warum die Schweiz weniger betroffen ist
Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Konsumentenpreise in der Schweiz deutlich weniger angestiegen. Dafür ist zum einen der teure Franken verantwortlich, der die Kosten für ausländische Güter mindert, zum anderen eine geringere Gewichtung von Energieträgern wie Erdöl, Erdgas oder Kohle im Konsumentenindex der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern.
Dass die internationale Entwicklung sich dennoch auf die Schweizer Preise auswirkt, zeigt sich aber an den Preisen, die Unternehmen für ihre Vorprodukte bezahlen: Der Index, der Produzenten- und Importpreise zusammenfasst, ist im Oktober auf ein Jahr betrachtet um 5,1 Prozent angestiegen, jener für die Importpreise allein sogar um 9,4 Prozent.
Wie sich die Inflation in der Schweiz weiterentwickelt, hängt daher vor allem von der internationalen Entwicklung ab.
Was die Preise treibt
Der Preisanstieg hat viel mit der Corona-Krise zu tun. Ausgehend vom tiefen Preisniveau im Vorjahr, führt jeder Anstieg zu einem starken prozentualen Ausschlag.
Zudem folgte nach den Lockdowns ein massiver Nachfrageschub, der durch die enormen Geldspritzen der Notenbanken und die Rettungspakete der Regierungen weiter befeuert wurde; das gilt vor allem für die USA. Diese Nachfrage schlägt sich neben anderen Einflussfaktoren etwa in höheren Energiepreisen nieder.
Dazu kommt, dass viele Produzenten von Vorprodukten oder wesentlichen Komponenten wie Computerchips ihre Produktion nicht ausreichend schnell wieder hochfahren konnten, um mit dem Nachfrageschub Schritt zu halten. Deshalb kam es zu einer Verstopfung in den globalen Wertschöpfungsketten und einer Verteuerung nicht nur der Vorprodukte selbst, sondern auch der Logistik, wie etwa dem Containertransport auf Schiffen.
Die Rolle der Notenbanken
Das Preisniveau stabil zu halten, ist die Hauptaufgabe der Notenbanken wie auch der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Der starke Anstieg des Preisniveaus hat die Notenbanken weltweit überrascht. Im letzten Jahrzehnt waren sie eher damit beschäftigt gewesen, ein sinkendes Preisniveau zu verhindern.
Eine baldige Erhöhung ihrer Leitzinsen stand bis vor kurzem nicht auf ihrer Agenda. Die Preisausschläge galten als kurzfristiges Phänomen. Mittlerweile hat diese Überzeugung angesichts der anhaltend starken Preissteigerungen Schlagseite erhalten. Zinserhöhungen geraten daher erstmals seit langem wieder in den Fokus. Am meisten Bedeutung hat die Erwartung an den Märkten, dass die US-Notenbank Fed damit schon im nächsten Jahr vorangeht.
Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und in ihrem Windschatten der SNB ist das eher später zu erwarten. Die SNB wird ohnehin kaum vor der EZB an der Zinsschraube drehen.
Das Verhalten der Kapitalmärkte
Trotz den Sorgen vor einer anhaltenden Teuerung oder sogar einer Stagflation – einer Wirtschaftskrise mit hoher Inflation wie in den 1970er-Jahren – zeigen sich Börsen und Zinsmärkte unbeeindruckt. Die Aktienmärkte eilen weltweit von einem Rekord zum nächsten, und selbst die Marktzinsen sind nicht explodiert.
Eine Erklärung dafür ist, dass die Wirtschaften vor allem der entwickelten Länder weiterhin kräftig wachsen. Das gilt auch für die Schweiz. Zudem schreiben die Unternehmen hohe Gewinne, was ihre Aktienkurse stützt. Mit einer Erhöhung der Absatzpreise im Windschatten der generellen Teuerung dürften einige auch höhere Margen erzielt haben.
Die Entwicklung zeigt ausserdem, dass weiter die Überzeugung überwiegt, dass die jüngsten Preissteigerungen nicht in eine ausufernde Inflation münden. Dafür müssten die Notenbanken dem rechtzeitig Einhalt gebieten. Sollten die Zweifel daran jedoch die Oberhand gewinnen, wäre es mit dem Idealzustand an den Märkten vorbei.
Fehler gefunden?Jetzt melden.