Mamablog: Getrennt wegen CoronaWenn sie es doch nur riechen könnten!
Unsere Autorin lebt seit Jahren in Tel Aviv. Wegen der Pandemie konnte die Familie ihr Baby noch nicht sehen. Das tut weh.
Seit bald drei Monaten ist er da. Und er riecht nach Butter, nach Wolke. Er riecht warm. Er bewegt seine Lippen im Schlaf und gurrt, während ich ihn stille. Wie ein kleiner Vogel. Am Hinterkopf hat er fünf längere einzelne Haare, die mit dem Rest des Schopfs mitwachsen. Seine Füsschen sind manchmal etwas verschwitzt und riechen dann wie Butterfüsse aus dem Ofen.
Generell riecht er nach Butter aus dem Ofen, wenn ich ihn zu warm zugedeckt hab. Und seit wenigen Wochen lacht er. Vor allem morgens. Und dann ist alles egal und bedeutungslos – weil dieses kleine Lachen das grösste Lachen ist, das ich je gesehen hab. Es geht mir direkt ins Herz.
Mehr als eine Handvoll Mensch
Er hat schon schön zugenommen und ist nun deutlich mehr als eine Handvoll Mensch. Seinen Kopf hält er fast schon allein und er beginnt langsam zu verstehen, welche Vorzüge das Leben mit zwei Händen bietet. Jeden Morgen, wenn ich neben diesem Lächeln aufwache, denk ich mir, wie viel in diesen wenigen Wochen passiert ist. Wie aufregend dieses so junge Leben bereits ist. Und ich denke daran, wie traurig es ist, dass meine Familie das alles verpasst.
Ich lebe seit acht Jahren in Tel Aviv. Meine Eltern und meine zwei Schwestern in Zürich. Mein Fünf-Kilo-Sohn hat meine Eltern zu Grosseltern gemacht und meine Schwestern zu Tanten. Wer behauptet, 2020 habe nichts Gutes hervorgebracht, dem dürfen wir als Familie widersprechen.
Verpasste Bilder
Und trotz der grossen Freude und Dankbarkeit gibt es diesen kleinen Stich im Herzen, wenn wir miteinander reden, denn wir vermissen ein Zusammen, das wir in dieser Form noch gar nie erlebt haben. Ausser meiner Mutter, die direkt nach der Geburt herfliegen konnte, hat noch keiner meinen Sohn persönlich kennenlernen dürfen. Noch keiner konnte diese kleinen Händchen halten. Die immer dicker werdenden Bäckchen küssen. In die kleinen Zehen beissen. Ich kann vom Buttergeruch erzählen. Aber ich wünschte es ihnen, dass sie ihn selbst riechen könnten.
Wir hoffen immer auf den Folgemonat. Oder den übernächsten.
Wir sind bestimmt keine Schicksalsgeschichte während dieser Pandemie. Wir erleben nichts Unüberwindbares und zum Glück nichts, was unser Leben nachhaltig negativ prägen wird. Aber wir verpassen schöne Erinnerungen, die wir unter normalen Umständen zusammen geschaffen hätten. Wir verpassen Bilder, die man bei seinem ersten Kind noch liebevoll ins Fotoalbum klebt. Mit jedem weiteren Kind werden diese Alben dann kleiner... Wir verpassen diese geteilte Freude über jeden kleinen ersten Entwicklungsfortschritt. Wir verpassen Familienleben.
«Hauptsache gesund»
Nein, das ist keine Schicksalsgeschichte. Aber es ist eine Familiengeschichte, wie sie so viele gerade erleben. 2021 führt bis anhin erfolgreich fort, was 2020 hinterlassen hat. Es gibt noch keine Aussicht, wann wir einander besuchen können. Entweder gilt Quarantänepflicht, die ich nicht wahrnehmen kann. Oder die Einreise meiner Familie ist nicht möglich. Oder meine Ausreise nicht. Natürlich versuch ich, optimistisch zu bleiben. Wir alle. Wir hoffen immer auf den Folgemonat. Oder den übernächsten.
Und dann sagen wir «Hauptsache gesund», um uns über die Enttäuschung über diese Entfernung hinwegzutrösten. Und es stimmt. «Hauptsache gesund». Aber wir wären gern «Hauptsache gesund» zusammen, während wir uns zusammen über dieses neue, junge Leben freuen.
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