Papablog: Corona-RückblickSchlimm, schlimmer, 2020
Egoismus, Verrat und fehlender Zusammenhalt: Warum wir uns trotz aller Bitterkeit an das Corona-Jahr erinnern müssen.
So kurz vor den Feiertagen und dem Jahreswechsel muss ich es dringend noch einmal sagen – Ihnen, mir und allen anderen: diese Pandemie wird vorbeigehen. Das Coronavirus wird nicht einfach so verschwinden, wir werden zahlreiche Anstrengungen unternehmen müssen, um es in Schach zu halten, und es wird andere Pandemien geben, die unser (Zusammen)Leben bedrohen werden. Aber wir werden uns damit arrangieren. Wir werden uns durch einen langen, zähen Winter in das Frühjahr schleppen und uns mehr als einmal fragen, ob die nasskalte Dunkelheit auch irgendwann einmal enden wird.
Wir werden es nicht glauben können, wir werden zweifeln und mit den Beschwerlichkeiten hadern, die uns aufgebürdet werden. Aber da wird wieder Licht, Wärme und ein Neuanfang sein. Denn auch wenn der Schriftsteller Douglas Adams den Frühling für «überbewertet» hielt, wird er 2021 etwas Besonderes, etwas Kostbares sein.
Bitterer Frühling
Doch neben dem Aufatmen und Aufleben, den Freuden, die mit all den Wiedersehen verbunden sein werden, wird es im nächsten Jahr die zentrale Aufgabe sein, uns mit ganzer Kraft zu erinnern. Eigentlich ist der Frühling nicht die beste Jahreszeit für ein solches Unterfangen. Er ist, um mit Stephen King einen weiteren Schriftsteller zu zitieren, «die einzige Jahreszeit, die in den Erinnerungen niemals bitter ist». Aber im kommenden Frühling sollten unsere Erinnerungen auch bitter sein dürfen. Bitter sein müssen. Denn wir werden uns nicht nur an die Dinge und Menschen erinnern müssen, die uns durch dieses Jahr der Pandemie hindurch geholfen haben, damit wir beim nächsten Mal besser vorbereitet und gewappnet sind. Sondern auch an all die Dinge und Menschen, die uns das Leben zur Hölle gemacht haben. An unsere eigenen überzogenen Bedürftigkeiten und Egoismen. An die Leben, die zu Tausenden aus unserer Mitte gerissen wurden. An die Fehler, das Zaudern und das Versagen vieler Verantwortlicher. Und ganz besonders an den Verrat derjenigen, die Freiheit mit Selbstverwirklichung verwechseln und mitten in der Krise «Ich, Ich, Ich» brüllen, während wir gerade ums Überleben kämpfen.
Einen aufgeladenen, schneidenden Begriff wie Verrat sollte man nur mit äußerster Vorsicht verwenden. Aber wir wurden nun einmal verraten. Von Leuten, für die die Unannehmlichkeit einer Gesichtsmaske schwerer wiegt als das qualvolle Sterben ihrer Mitmenschen.
Von Politikerinnen und Politikern, die schon von «wirtschaftlichen Kollateralschäden» schwafeln, während sich das medizinische Fachpersonal in Krankenhäusern gezwungen sah zu entscheiden, wer beatmet wird und wer nicht. Von Arschlöchern, die mitten in einer Katastrophe gefälschte medizinische Produkte verkaufen, um mit der Angst und dem Sterben von Menschen noch Geld zu verdienen.
Trügerische Sicherheiten
Natürlich werden wir nach vorne blicken müssen. Uns aufraffen, zusammenreissen und weitermachen. Leben will gelebt werden. Aber wenn wir nicht anfällig und für immer verwundet bleiben wollen, werden wir uns den Blick in den Schlund, der 2020 war, nicht ersparen können. Denn vieles hat nicht funktioniert. Sicherheiten waren trügerisch. Und angeblicher gesellschaftlicher Zusammenhalt nur ein brüchiger Burgfrieden. Wer es besser machen will, wird sich erinnern müssen. Auch und gerade in Bitterkeit. Um weiterzukommen. Um zu heilen. Um nicht daran zu ersticken.
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