Analyse zum gesperrten SVP-WahlsongWenn rechte Politiker linke Musik mögen
Wieso verwenden konservative Politiker immer wieder Songs von linksstehenden Musikerinnen und Musikern – ist das Ignoranz oder Toleranz?

Einmal mehr gibt ein SVP-Video zu reden. Diesmal, weil der Hit «We Are Family» unrechtmässig verwendet worden sein könnte – Youtube hat den Clip gesperrt. Der Song habe nichts mit «We Are Family» zu tun, sagte SVP-Nationalrat Thomas Matter: Er habe den Text geschrieben und das Lied mit einem befreundeten Produzenten selber komponiert.
Für die meisten anderen Ohren klingt der Refrain nach dem Gassenhauer von Sister Sledge, mitgeschrieben von Nile Rodgers, der einst bei den Black Panthers war – eine marxistisch-leninistische Gruppierung. Was Rodgers zum Fall sagt, ist (noch) nicht bekannt. Es kommt aber immer wieder vor, dass linksgerichtete Musiker prominente rechtsgerichtete Fans haben.
Donald Trump und Ronald Reagan versuchten beide, Bruce Springsteens Song «Born in the USA» für Wahlveranstaltungen zu kapern. Springsteen, ein Unterstützer der demokratischen Partei, ging dagegen vor. Neil Young musste ebenfalls eingreifen, nachdem Trump wiederholt sein Anti-Amerika-Lied «Rockin' in the Free World» bei Wahlkampfveranstaltungen verwendet hatte. Dito Adele, Aerosmith und R.E.M.
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Ein weiteres Beispiel stammt von Anti-Lockdown-Demonstranten in verschiedenen Ländern, die sich während der Pandemie als Unterdrückte positionierten und Twisted Sisters «We're Not Gonna Take It» («Das lassen wir uns nicht gefallen») zu einer Anti-Masken-Hymne umgedeutet haben. Helene Fischer wiederum unternahm rechtliche Schritte gegen die NPD. Die rechtsextreme deutsche Partei hatte das Lied «Atemlos durch die Nacht» bei Veranstaltungen gespielt.
David Cameron erhielt einst ebenfalls eine Absage, nachdem er sich als Fan der Band The Smiths geoutet hatte. Gitarrist Johnny Marr twitterte: «Ich verbiete Ihnen, The Smiths zu mögen!» Weitere Beispiele sind CDU/Toten Hosen («Tage wie diese») oder Merkel/Rolling Stones («Angie»). Sogar um Techno-Musik wird gestritten. DJ Paul van Dyk verbot der AfD, seinen Track «Wir sind wir» als ihre Hymne zu verwenden.
Hierzulande böte sich wohl ein Gölä-Song an
Früher war die Ausgangslage einfacher. Konservative hatten Märsche, die Linke die «Internationale», klassische Musik war neutrales Terrain. Mit dem Aufstieg der Popkultur änderte sich das potenzielle Songrepertoire zugunsten der progressiven Geister. Warum aber wählen Vertreter aus konservativen Kreisen «linke» Protagonisten? Sind sie ignorant, unwissend, dreist – oder überraschend tolerant? Ein Signal an unentschlossene Wähler? Seht her, wir sind nicht so ideologisch, wie ihr glaubt?
Eine andere Theorie bezieht sich auf die Sprache der Unterdrückung: Als Vertreter des Anti-Mainstreams identifiziert sich etwa ein Donald Trump mit Songs, die ein Aufbegehren formulieren – auch wenn diese Lieder aus dem Lager des politischen Gegners kommen. Hauptsache, der Refrain passt.
Im Fall des neusten SVP-Wahlvideos kanns nicht am Text liegen, denn dieser wurde ins Schweizerdeutsche abgeändert. Die Problematik scheint für die SVP indes dieselbe zu sein, mit der sich Trump konfrontiert sieht: Wie viele der Partei wohlgesonnene Bands mit Ohrenwurm-Potenzial gibt es?
Nun: Phil Collins ist Tory-Anhänger, Kid Rock unterstützt die Republikaner, und hierzulande böte sich wohl ein Gölä-Song an. Die Rechte einholen und abgelten muss man allerdings auch bei diesen Musikern.
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