Mamablog: Von Paar zu PaarWenn Eltern sich entfremden
Kinder können eine Beziehung komplett auf den Kopf stellen. Die Suche nach einer gemeinsamen Vision hilft, sagt unser Paarcoach – und liefert eine Anleitung.
Kürzlich sassen zwei Eltern bei uns in der Beratung, nennen wir sie hier mal Kim und Robin, und klagten darüber, dass sich seit der Geburt ihrer Kinder (2 und 3,5) vieles verändert hätte und sie als Paar kaum noch stattfinden würden. Kim: «Wir sind wirklich ein eingespieltes Team und funktionieren sehr gut zusammen.» Robin: «Eigentlich läuft es reibungslos. Aber wir sind gefangen in einem Alltagstrott und leben irgendwie nur noch nebeneinander her.»
Auf dem Papier sind Kim und Robin ein Vorzeigepaar: Verheiratet, 2 Kinder, sympathisch, gesund, gut situiert, sehr gut ausgebildet, beruflich erfolgreich, Golden Retriever mit glänzendem Fell und Top-Kondition inklusive. Im richtigen Leben aber leidet das einst Verbindende seit einigen Jahren.
Alltag, Entfremdung und keine Vision
Kim und Robin sind ein durchaus typisches Beispiel. In unserer Arbeit mit Paaren erleben wir häufig, dass das Gemeinsame mit der Zeit verloren gehen kann. Alltagsstress, Gewöhnungseffekte, schlechte Kommunikation – und nicht zuletzt auch kleine Kinder – belasten Paarbeziehungen oftmals und sind mögliche Ursachen für emotionale Entfremdung. Gerade für junge Eltern geht die Verdichtung in verschiedenen Lebensbereichen häufig zu Lasten der Paarzeit. Sie findet oft kaum noch und manchmal überhaupt nicht mehr statt. In diesem Zuge geraten manchmal gemeinsame Träume und Visionen in Vergessenheit oder verlieren sich. Wie bei Kim und Robin.
In solchen Fällen braucht es für jedes Paar massgeschneiderte Massnahmen. Was häufig helfen kann, ist die Entwicklung einer gemeinsamen Vision. Schon Hundertwasser wusste: «Wenn ich allein träume, ist es nur ein Traum. Wenn wir gemeinsam träumen, ist es der Anfang einer neuen Wirklichkeit.»
Was aber ist überhaupt eine Vision und was bringt sie Paaren? Visionen sind quasi Pläne mit Flügeln. Es sind ausgemalte Wunschvorstellungen unserer Zukunft, deren starke Bilder uns magisch anziehen und motivieren. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass gemeinsame Visionen Menschen extrem stark verbinden, sich dementsprechend positiv auf die Beziehungsqualität auswirken und helfen, Widerstände und Hindernisse zu überwinden. Eine gemeinsame Vision kann für Paare also wunderbar beziehungsstiftend wirken. Klingt schön, aber auch etwas abstrakt. Wie sieht eine gemeinsame Vision konkret aus und wie entwickelt man sie?
Mit Sexappeal, bitte
Ausgangsbasis für die gemeinsame Vision ist, dass sich jeder Partner zunächst Gedanken über seine eigene, individuelle Vision macht und diese zu Papier bringt. In einem späteren Schritt werden beide Gedanken zusammengeführt.
Unbedingte Voraussetzungen für das Träumen und Spinnen sind Ruhe und eine entspannte Atmosphäre. Zuerst überlegen sich also beide, wie ihr Leben aussehen würde, wenn sich alles nach ihren Wünschen entwickeln würde. Getreu dem Motto: Wenn ich es mir backen könnte. Und zwar in den für mich wesentlichen Lebensbereichen wie Partnerschaft, Familie, Arbeit, Freizeit, Gesundheit, soziales Engagement und weiteren relevanten Feldern. Die Gedanken zu diesen Bereichen werden ausformuliert und schriftlich festgehalten. Wichtig ist, die Ideen zu visualisieren und möglichst detailliert und bildreich zu beschreiben.
Eine Vision soll ein Anziehungspunkt mit Sexappeal sein. Eine grössere Reise zum Beispiel, der Umbau eines alten Bauernhofes zum Airbnb oder eine gemeinsame Alpenüberquerung. Träumereien sind nicht nur erlaubt, sondern das Fundament des Prozesses. Es geht in diesem Schritt bewusst nicht um Überlegungen zur konkreten Umsetzung. Das blockiert nur und darf warten. Die Arbeitsanweisung lautet daher: Optimismus! Unbedingte Voraussetzungen für das Träumen und Spinnen in dieser Form sind Ruhe und eine entspannte Atmosphäre. Der Prozess kann gerne ein paar Wochen dauern. Visionen kann man allein entwickeln, professionelle Anleitung ist jedoch empfehlenswert, denn es gibt einige Stolperfallen.
Reibung im Dialog für Verbundenheit
Wenn beide Partner ihre Vision entwickelt haben, tauscht man sich aus und erarbeitet dann aus den beiden Einzelvisionen – in den sich überlappenden Bereichen – eine gemeinsame Vision. Das ist meist kein reibungsloser Prozess, weil es oft Aspekte gibt, bei denen man unterschiedliche Vorstellungen hat, die man im Dialog diskutiert.
In diesem Zuge tritt häufig Unausgesprochenes oder mit Stillschweigen Behandeltes zu Tage. Im Fall von Kim und Robin waren etwa die Aufteilung der Kinderbetreuung und die gerechte prozentuale Verteilung der Erwerbsarbeit kontrovers diskutierte Reibungspunkte. Solche Punkte müssen gar nicht unbedingt gleich aufgelöst werden, stossen aber bestenfalls einen Prozess an, der zu Klarheit, einer differenzierten Auseinandersetzung mit den Streitpunkten und schliesslich zu gemeinsamen Lösungen führen kann.
Die gefundene, gemeinsame Vision ist wie ein Magnet – und zugleich auch ein glänzender Ausgangspunkt, um ausgewählte Elemente konkret umzusetzen. Kim und Robin haben es trotz einiger Widrigkeiten letztendlich geschafft, ihre gemeinsame Vision zu entwickeln: die Wiederbelebung der gemeinsamen Leidenschaft fürs Reisen. Diese Vision ist für beide ein starker Anziehungspunkt. Wertvoll war aber alleine schon der Prozess dorthin. Für Kim und Robin setzte dieser viel positive Energie frei und war ein Schritt in Richtung mehr Verbundenheit. Victor Hugo formulierte es so: «Ein Traum ist unerlässlich, wenn man die Zukunft gestalten will.» Viva la Vision!
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