Gesundheitsdebatte im NationalratWenigstens ein Kostenziel vor Augen
Eine starre Kostenbremse ist ein untaugliches Mittel gegen den Prämienanstieg. Nötig sind eine verbindliche Kostenkontrolle und ein gezielter Ausbau der Prämienverbilligung.
15’000 Franken im Jahr oder 1200 Franken im Monat bezahlt eine vierköpfige Familie durchschnittlich für die Grundversicherung. Für Haushalte, die keine Prämienverbilligung bekommen, ist die Krankenversicherung nach der Wohnungsmiete der zweithöchste Ausgabenposten. Die Prämienlast wird vor allem für den Mittelstand zunehmend untragbar. Und diese Last steigt sogar noch an: Per 2023 droht schlimmstenfalls eine Prämienerhöhung im zweistelligen Bereich – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die allgemeine Teuerung die Kaufkraft schmälert. Da ist eine Kostenbremse, wie sie die Mitte-Partei in ihrer Initiative verlangt, ein verlockendes Heilsversprechen.
Die Idee dahinter: Künftig sollen die Gesundheitskosten nicht mehr stärker steigen als die Löhne. Bisher betrug der jährliche Kostenanstieg im Schnitt jeweils rund 4 Prozent, die Lohnsteigerung lag deutlich darunter. Die Mitte-Initiative verlangt also faktisch eine Notbremse, unter der vor allem die Patientinnen und Patienten zu leiden hätten. In einer Rezessionsphase müssten die Gesundheitskosten sogar sinken oder stagnieren, obwohl eine Wirtschaftskrise nichts mit dem Bedarf an medizinischen Behandlungen zu tun hat. Das zeigt: Eine strikte Kopplung der Gesundheitskosten an die Wirtschaftsentwicklung macht schlicht keinen Sinn.
Es ist eine Illusion, zu glauben, dass bei einem fixen Kostendeckel nur noch auf die überflüssigen Operationen verzichtet wird.
Die Initianten verweisen auf ein theoretisches Einsparpotenzial von 6 Milliarden Franken, auf überflüssige Behandlungen, überteuerte Medikamente und verschwenderischen Umgang mit Arzneimitteln, die tonnenweise im Abfall landen. Allerdings ist es eine Illusion, zu glauben, dass bei einem fixen Kostendeckel nur noch auf die überflüssigen Operationen verzichtet wird. Wer denn im konkreten Fall entscheiden soll, welche Eingriffe unnötig sind, lässt die Mitte offen.
Das Schweizer Gesundheitswesen gehört unbestritten zu den weltweit besten. Nirgends haben alle Patientinnen und Patienten einen derart raschen Zugang zu spezialisierter Medizin. Es ist noch kein halbes Jahr her, da war die Schweiz froh, dass das Gesundheitswesen trotz aller Warnungen vor erschöpftem Personal und zu wenigen Intensivbetten seine Krisenfestigkeit bewies. Wer es auf totale Effizienz trimmt, muss den Kranken auch sagen, was das heisst: Wartezeiten für nicht dringende Behandlungen und Kosten-Nutzen-Überlegungen, die dazu führen, dass eine vom grundversicherten Patienten gewünschte Behandlung nicht durchgeführt wird, weil sie unter «nice to have» läuft.
Das Schweizer Gesundheitswesen ist auch so teuer, weil alle gut daran verdienen wollen. Wichtig ist es deshalb, dass Fehlanreize bei den Tarifen beseitigt werden, falls sie zu Überbehandlung verleiten. Medikamentenpreise müssen sich an jenen von vergleichbaren Ländern orientieren, Spitalbehandlungen sollen wenn möglich ambulant gemacht werden.
Der Ausbau der Prämienverbilligung darf nicht die einzige Antwort auf die stetig steigenden Prämien sein.
Der Nationalrat hält richtigerweise die Kostenbremse für das falsche Mittel, um die Kosten und Prämien in den Griff zu bekommen. Stattdessen hat er sich für ein Kostenziel entschieden, das Bund und Kantone für eine Vierjahresperiode festlegen und an dem sich die Leistungsanbieter im Gesundheitswesen orientieren müssen, das aber zu keiner Rationierung führt. Der wachsende Bedarf an medizinischer Behandlung einer alternden Bevölkerung soll berücksichtigt werden, der medizinische Fortschritt nicht durch Kostenvorgaben behindert werden.
Eine verbindliche Anleitung, wie das mildere Kostenziel erreicht werden soll, fehlt aber auch hier. Zudem fiel der Entscheid für das Kostenziel so knapp, dass der Nationalrat möglicherweise schon am Mittwoch seinen Entscheid wieder kippt.
Das wäre bedauerlich. Auch wenn sich die Kosten des Gesundheitswesens nicht auf den Prozentpunkt genau fixieren lassen, sollte das Parlament einen gewissen Druck auf die Ärzteschaft und Spitäler aufbauen, der sie zu mehr Kostenbewusstsein zwingt. Der Ausbau der Prämienverbilligung darf nicht die einzige Antwort auf die stetig steigenden Prämien sein. Darüber diskutiert der Nationalrat in zwei Wochen: über die SP-Initiative, die die Prämienlast eines Haushalts auf 10 Prozent des Einkommens begrenzen will, und über einen Gegenvorschlag des Parlaments. Es braucht beides: Kostendisziplin und eine wirksame Prämienentlastung für den unteren Mittelstand. Auch zur SP-Initiative braucht es deshalb einen tauglichen Gegenvorschlag.
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