Streit um die ZuwanderungWelche Vor- und Nachteile Migration mit sich bringt
Wird über die Immigration gestritten, öffnen sich ideologische Gräben. Dabei gibt es gute Gründe für eine weitgehende Freizügigkeit. Genauso wie für eine Regulierung. Die wichtigsten fünf Punkte.
Wenige Debatten werden so hitzig geführt wie jene zur Immigration. Schaut man aber die Forschung zu diesem Thema an, zeigt sich ein gemischtes Bild: Migration kann grosse Vorteile haben, im Übermass aber eine Belastung darstellen und grosse ökonomische, politische und soziale Risiken beinhalten. Der Versuch eines Überblicks in fünf Punkten:
Migration und die Arbeitsmärkte
Eine neu veröffentlichte Studie der Ökonomen Andreas Beerli, Jan Ruffner, Michael Siegenthaler und Giovanni Peri zeigt für die Schweiz, dass hoch qualifizierte Beschäftigte, die in der Schweiz in Grenznähe arbeiten, aber im Ausland wohnhaft bleiben, Schweizer Unternehmen und Beschäftigten eine Reihe von Vorteilen bringen. Für Unternehmen reduzieren sie den Fachkräftemangel. Das Zusammenspannen von einheimischen und ausländischen Experten führt zu Innovationen, einem Ausbau der Geschäftstätigkeit, mehr Beschäftigung und höheren Löhnen in den Bereichen, in denen die ausländischen Spitzenkräfte arbeiten. Den gleichen Effekt zeigt eine echte Zuwanderung von Hochqualifizierten auch in anderen Ländern.
Das Beispiel zeigt, dass Migration nicht zwingend die Lage der Inländer verschlechtert, sondern sie sogar verbessern kann. Aber es gibt auch das Umgekehrte: Eine Zuwanderung von Wenigqualifizierten führt tendenziell zu einer Konkurrenzierung von Inländern mit geringer Qualifikation und Druck auf deren Löhne. Viel hängt auch von der Konjunkturlage ab: Brummt die Wirtschaft und ist die Arbeitslosigkeit tief, überwiegt eher der Effekt, dass Immigrantinnen und Immigranten Lücken etwa bei Fachkräften, aber auch in anderen Bereichen füllen. Bei einer hohen Arbeitslosigkeit ist dagegen der Verdrängungseffekt grösser.
Migration und wirtschaftliche Entwicklung
Viel wurde schon darüber berichtet, dass die Migration in die Schweiz zu einem höheren Bruttoinlandprodukt geführt habe. Dass mehr Einwohner auch zu mehr Konsum und Produktion führen, ist allerdings nicht überraschend. Entscheidend ist vielmehr die Entwicklung pro Kopf. Nur wenn die Zugewanderten die Leistungsfähigkeit der Gesamtwirtschaft erhöhen und so der Pro-Kopf-Ausstoss wächst, lässt sich ein ökonomischer Mehrwert für ein Land zeigen. Allerdings wird die Produktivität und damit das Pro-Kopf-Wachstum von sehr vielen Faktoren beeinflusst, sodass der Einfluss der Migration schwer auszumachen ist. Es ist nicht statthaft, eine Phase starken Wachstums mit gleichzeitig hoher Zuwanderung so zu interpretieren, dass die Zuwanderung die Ursache für das Wachstum wäre. Das Umgekehrte gilt genauso.
Generell zeigt die wissenschaftliche Literatur, dass sich die positiven Effekte der Zuwanderung für eine Volkswirtschaft eher zeigen, wenn sich die Immigranten gut integrieren lassen und die Immigration nicht zu massiv stattfindet. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) stellt fest, dass kurzfristig die Produktivität der Gesamtwirtschaft als Folge der Migration zum Sinken tendiert, während Anpassungsprozesse die Produktivität langfristig erhöhen. Ein zentrales Argument für Immigration ist auch, dass sie für eine Verjüngung des Arbeitskräftepotenzials in alternden Gesellschaften wie der Schweiz sorge. Dadurch wird die Zahl der aktiv Werktätigen erhöht, die angesichts einer sinkenden Geburtenrate nötig ist, um die Finanzierung der Altersleistungen zu gewährleisten.
Migration und die Verteilungswirkungen
Mit der Migration verhält es sich ähnlich wie beim Freihandel und dem technologischen Fortschritt: Selbst wenn die Volkswirtschaft eines Landes insgesamt von einer Zuwanderung profitiert, heisst das nicht, dass es keine Verlierer gibt. Wie beim Freihandel und dem technologischen Fortschritt profitieren auch bei der Zuwanderung vor allem die Beschäftigten im Inland, die gut verdienen, hoch qualifiziert sind und meist in einem städtischen Umfeld leben. Wie das der Ökonom Paul Collier für Grossbritannien gezeigt hat, besteht dann die Gefahr, dass der Rest der Gesellschaft und der Regionen auf der Strecke bleibt, was den Zusammenhalt eines Landes massiv zu schwächen droht. Das gilt umso mehr, wenn die Eliten die Sorgen jener nicht ernst nehmen, die sich durch die Zuwanderung ökonomisch bedroht fühlen: nicht nur angesichts einer möglichen Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten, sondern auch bei der Beanspruchung aller Arten von öffentlichen Gütern, wie Bussen und Bahnen.
Migration und kulturelle Identität
Gemäss Studien spielt die Sorge der heimischen Bevölkerung vor einem Verlust der kulturellen Identität im Zusammenhang mit der Migration zuweilen eine grössere Rolle als die ökonomischen Ängste. Allerdings lässt sich beides schwer trennen. Wenn heute in einer Stadt die gut verdienende Elite aus dem In- und Ausland hauptsächlich Englisch spricht, andere Fremdsprachen oder Hochdeutsch, können sich Beschäftigte mit niedrigerer Qualifikation fremd und ausgeschlossen fühlen. Wenn diese Beschäftigten sich dann kaum mehr eine Wohnung leisten können, weil die international ausgerichtete inländische und zugewanderte Elite die Preise hochbieten, dann kommt zu dieser Fremdheit noch das Gefühl hinzu, im Stich gelassen und von dieser Öffnung bedroht zu werden. Daraus nährt sich der Erfolg fremdenfeindlicher populistischer Parteien.
Migration, Sozialstaat und Politik
In einer Studie konnten die Ökonomen Alberto Alesina, Elie Murard und Hillel Rapoport zeigen, dass die Bereitschaft einer Bevölkerung, für die Schwächeren der eigenen Gesellschaft und für den Sozialstaat aufzukommen, desto geringer ausfällt, je höher die Zuwanderung ist. Sozialstaatliche und andere öffentliche Institutionen sind Ergebnis der Geschichte eines Landes. Sie fussen auf der Vorstellung einer gegenseitigen Verantwortung und Verpflichtung. Eine zu starke Zuwanderung kann diese geteilte Vorstellung unterwandern und damit diese Institutionen gefährden – am Ende sogar die Demokratie. Diese letzte Schlussfolgerung ziehen die Ökonomen Branco Milanovic und Dani Rodrik unabhängig voneinander. Rodrik ist internationaler Experte zum Thema Globalisierung und Freihandel und Milanovic für Verteilungsfragen. Wegen dieser Probleme mit der Zuwanderung schlägt Milanovic sogar vor, Immigranten zumindest am Anfang und nur vorübergehend gegenüber den Inländern rechtlich leicht schlechterzustellen. Das wäre gemäss Milanovic auch im Interesse der Zugewanderten selbst, weil das die Akzeptanz der Migration erhöhen kann.
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