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Kontroverse im Weitsprung
Der Weltverband will die Revolution – und die Stars drohen mit dem Abgang

Simon Ehammer aus der Schweiz während des Weitsprungs im Siebenkampf bei den Europameisterschaften in Apeldoorn, 2025.
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In Kürze:
  • World Athletics testet, wie es sich bewährt, die Weitspringer neu von einer Absprungzone springen zu lassen.
  • Die Disziplin soll dadurch attraktiver für das Publikum werden.
  • Simon Ehammer und Annik Kälin kritisieren diese Pläne stark.
  • Doch eine Olympiasiegerin zeigt sich offen für die Neuerung.

Miltiadis Tentoglou ist für den Weitsprung, was Marco Odermatt für den Skisport ist. Der Grieche gewann schon zweimal Olympiagold, wurde Welt- und Europameister. Kurz: Er ist der Beste seines Fachs. Doch wie lange es den Weitspringer Tentoglou noch geben wird, ist fraglich. Das hängt mit den Plänen des Weltverbandes zusammen, der versucht, die Leichtathletik zu modernisieren und damit einem jüngeren Publikum zugänglich zu machen. Die Losung lautet: weniger Wartezeiten, mehr Highlights. Deshalb nimmt World Athletics die Disziplinen unter die Lupe und sucht nach möglichen Veränderungen.

Aktuell ist das Pilotprojekt im Weitsprung. Statt vom klassischen Balken sollen die Athletinnen und Athleten aus einer doppelt so breiten Absprungzone (40 cm) abspringen. Innerhalb dieser Zone dürfen sie überall abheben. Die Weite wird durch moderne Kameras von jenem Punkt gemessen, an dem der Fuss beim Absprung effektiv war. Das Ziel ist klar: Die vielen Fehlversuche – rund ein Drittel waren es an der letzten WM – sollen reduziert und weite Sprünge ermöglicht werden.

Kälins Rückzug, Ehammers Wechselgedanken

Doch World Athletics hat die Rechnung ohne die Sportlerinnen und Sportler gemacht. Als vor einem Jahr erstmals über solche Ideen diskutiert wurde, sagte Tentoglou bereits, er würde in diesem Fall zu den Dreispringern wechseln. «Weitsprung ist eine sehr schwierige Disziplin, weil man wie ein Sprinter rennen können muss, um dann mit Präzision den Balken perfekt zu treffen. Der Sprung an sich ist sehr einfach. Wenn sie den Anlauf ändern, wird Weitsprung zur mit Abstand einfachsten Disziplin», hielt er fest.

Annik Kaelin aus der Schweiz bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris während des Siebenkampfes im Kugelstossen.

Nun halten auch die beiden Schweizer Aushängeschilder nicht mit Kritik zurück. Annik Kälin, die jüngst an der Hallen-EM Silber gewann, sagte vor einem Monat gar die Teilnahme am Istaf-Hallenmeeting in Berlin ab. Via Instagram schrieb sie: «Sehr kurzfristig wurde mir mitgeteilt, dass am Istaf Berlin mit der Take-off-Zone gesprungen wird. Als junge Athletin kann ich dieses Projekt nicht unterstützen, sinnvolle Innovation ist das nicht.»

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Und Kälin war nicht die einzige prominente Athletin, die sich zurückzog. Die Hallen-Europameisterin und Olympia-Vierte Larissa Iapichino tat es ihr gleich. Die Italienerin hielt fest: «Ich bin strikt gegen dieses Format. Der Weitsprung wird durch seine technischen Anforderungen definiert, und eine Änderung des Anlaufs verändert die Natur des Wettkampfs grundlegend. Wenn diese Änderung umgesetzt wird, verliert der Weitsprung seine Essenz und wird zu einer völlig anderen Sportart.»

Unterstützung erhalten die beiden von Simon Ehammer, der sagt: «Wenn mit Tentoglou schon die grösste Figur in dieser Disziplin dagegen ist, hätte der Weltverband längst die Notbremse ziehen müssen.» Der Mehrkämpfer gewann bei den Weitsprung-Spezialisten bereits WM- und EM-Bronze, bei den Olympischen Spielen in Paris wurde er Vierter. «Im Weitsprung gilt es, den Anlauf so zu perfektionieren, dass du auf eine super Weite kommst. Da gehören ungültige ebenso dazu wie gültige Versuche, bei denen du 20 Zentimeter verschenkst», sagt er. Sollte der Weltverband künftig ganz auf den Balken verzichten wollen, könnte sich Ehammer durchaus vorstellen, ein Jahr auf Wettkämpfe zu verzichten. «Womöglich würde ich den Weitsprung auch ganz sein lassen und auf den Zehnkampf setzen.»

Mehr Highlights für die Generation Tiktok

Nun, so weit ist es noch nicht. Bis eine solche Änderung eingeführt wird, bedarf es weiterer Testläufe und Konsultationen. Und die Leichtathleten sind längst nicht die Einzigen, die sich Gedanken über die Zukunft machen. Jon Ridgeon, CEO von World Athletics, erwähnt in einem Bericht auf der Verbands-Website das sich verändernde Publikum und die Art und Weise, wie dieses den Sport am liebsten sehe. Tiktok und Co. haben grossen Einfluss auf das Konsumverhalten der jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer. Die Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer, es bedarf mehr Highlights. «Wir haben jedoch immer gesagt, dass wir nichts ohne gründliche Tests und alles unter Berücksichtigung des Feedbacks unserer Athleten, Trainer und Fans umsetzen werden», lässt sich Ridgeon zitieren. Allerdings gehen diesbezüglich die Meinungen auseinander. Denn Ehammer macht klar, dass die Athleten bis jetzt gar nie dazu befragt wurden. «Ich behaupte, dass die Tests dazu da sind, die Neuerung langsam einzuführen.»

Mit Malaika Mihambo hat sich allerdings eine der weltbesten Weitspringerinnen an das neue Modell gewagt. Sie gewann Anfang Februar in Düsseldorf mit 6,87 m, blieb aber trotz mehr Freiheiten beim Absprung hinter der ein paar Tage zuvor erzielten Weite (7,07 m) zurück, die sie mit dem Balken erreicht hatte. Trotzdem zeigt sich die Olympiasiegerin von 2021 und Zweite von Paris 2024 positiv überrascht vom Test. «Diese Erfahrung hat mich darin bestärkt, dass es im Weitsprung um viel mehr geht als nur darum, den Balken zu treffen», hält sie im erwähnten Bericht von World Athletics fest. Sie schätze es, die ganze Zone nutzen und den Absprungpunkt selbst wählen zu können. Das Pilotprojekt sei dazu da, neue Ideen zu testen. «Und ich bin offen dafür, auf dem Weg dorthin verschiedene Konzepte zu erforschen», sagte Mihambo.

Bleiben die Erkenntnisse aus Düsseldorf und Berlin: Im Durchschnitt haben die Athleten mit der Absprungzone 13 Zentimeter an Leistung gewonnen. Und wenig überraschend wurde die Anzahl ungültiger Versuche, die bei grossen Meisterschaften rund ein Drittel beträgt, auf 13 Prozent reduziert. 70 Prozent der Gelegenheitsfans hätten positiv auf die Änderung reagiert und würden die Absprungzone befürworten, schreibt World Athletics. Wenig überraschend sprach sich die überwiegende Mehrheit von Trainern und Athleten dagegen aus.

Diskussionen hin oder her: Am Wochenende werden Tentoglou, Ehammer, Kälin und Co. an der Hallen-WM in Nanjing ganz klassisch vom Balken aus abheben.