Davos 2024Das WEF wird politisch wichtiger – und wird zum doppelten Kriegsgipfel
Wolodimir Selenski, Li Qiang, Ursula von der Leyen: Die diesjährige Politvertretung am WEF ist ungewöhnlich stark. Die Ukraine und der Nahostkonflikt stehen im Zentrum.
Ein Ort, um Kontakte zu knüpfen, aber kein zwingender Treffpunkt für die Weltpolitik – so wurde das Weltwirtschaftsforum in Davos in den letzten Jahren wahrgenommen. Die Namen der Wirtschaftsmagnaten waren oft klingender als diejenigen aus der Politik. Die diesjährige Ausgabe des WEF, die am nächsten Montag startet, bietet aber mit diversen hochkarätigen Politplayern auf, darunter 60 Staatschefs und -chefinnen. Thematisch werden zwei Kriege im Fokus stehen: jener in der Ukraine sowie jener in Gaza und Israel.
Die Situation im Nahen Osten spitzt sich seit Wochen zu. In dieser heiklen Phase werden unter anderem der israelische Staatspräsident Isaac Herzog und der libanesische Premierminister Najib Mikati in Davos erwartet, wie WEF-Organisatoren am Dienstag an einer Medienkonferenz bekannt gegeben haben. «Rebuilding Trust», sprich «Vertrauen wiederherstellen», ist das diesjährige Motto des WEF.
Im Nahen Osten wäre mehr Vertrauen zwischen den unterschiedlichen Parteien dringend nötig. In den Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas sind auch andere Gruppierungen der Region involviert, etwa die Hizbollah im Libanon. Hamas-Führungsfigur Saleh al-Arouri wurde auch jüngst im Libanon getötet. Daneben gibt es in der Region weitere Unruhen: Im Iran starben letzte Woche bei Explosionen über 90 Menschen. Die Terrormiliz Islamischer Staat hat sich zu den Anschlägen bekannt. Nun werden neben dem israelischen Staatspräsidenten auch die Premierminister aus dem Irak, aus Katar und Jordanien in die Schweiz reisen. Spekuliert wird noch über die Teilnahme des iranischen und des saudischen Aussenministers.
Der Westen dominiert die Agenda nicht
Aus Europa sind mehrere Staatschefs und Aussenministerinnen vertreten, darunter der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, der polnische Präsident Andrzej Duda oder der französische Präsident Emmanuel Macron, der trotz Regierungskrise im eigenen Land anreisen wird. Und aus den USA wird Aussenminister Antony Blinken erwartet. Ausserdem wird Davos für den neuen argentinischen Staatschef Javier Milei eine Bühne sein, es ist sein erster grosser Auftritt auf einer internationalen Konferenz. Aber der Westen dominiert die Agenda nicht.
Zu den klingendsten Namen gehört der chinesische Premierminister Li Qiang. Zuletzt war China 2017 mit Staatsoberhaupt Xi Jinping hochrangig in Davos vertreten – in den Jahren danach schaltete sich Xi Jinping höchstens per Video zu. Interessant wird unter anderem, wie der chinesische Premier sein Land im Hinblick auf die beiden Kriege zu positionieren versucht.
Recherchen dieser Redaktion zeigten bereits am Montag, dass sich Bern auf einen Besuch von Wolodimir Selenski in der Schweiz vorbereitet – und dass der ukrainische Präsident danach weiter nach Davos reisen soll. Nun hat das WEF gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA bestätigt, dass Selenski zum ersten Mal seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs in Davos vor Ort sein wird. In den vergangenen Jahren nahm auch er nur per Video teil. Weiterhin gilt aber: Ob Selenski nächste Woche tatsächlich in die Schweiz reisen kann, wird auch von der Kriegslage abhängig sein.
Kaum Hoffnung auf Deeskalation
Die beiden Kriege dürften im Zentrum diverser bilateraler und multilateraler Treffen in Davos stehen. Gerade in Bezug auf die höchst angespannte Lage im Nahen Osten kann es eine Chance sein, wenn sich Spitzenvertreter der zentralen Regionalmächte an einem Ort treffen. Dennoch dürften die Erwartungen nicht zu hoch gesetzt sein: Dass in Davos ein relevanter Fortschritt respektive eine Deeskalation erreicht wird, etwa zwischen Israel und dem Libanon, ist sehr unwahrscheinlich. Oft sind Treffen am WEF kurz, also nur für rund 30 Minuten angesetzt.
Hinzu kommt im Fall des Nahostkonflikts, dass die Führungspersonen der Hamas oder der Hizbollah nicht eingeladen werden. Doch es dürfte das erste Mal seit den Terrorattacken der Hamas und islamistischer Gruppen am 7. Oktober sein, dass sich so viele Vertreter von Staatsspitzen aus dem Nahen Osten an einem Ort treffen. Zumindest dazu, dass die Lage nicht noch weiter eskaliert, könnte ein persönlicher Kontakt beitragen.
Von der russischen Regierung wird voraussichtlich gar niemand nach Davos reisen. Beim Thema Ukraine-Krieg geht es also eher darum, dass die westlichen Parteien ihre Unterstützung für die Ukraine koordinieren. Vor dem Start des WEF, am 14. Januar, findet in Davos das sogenannte Friedensformel-Treffen statt. Daran werden über 70 nationale Sicherheitsberater und Sicherheitsberaterinnen teilnehmen.
Die Friedensformel-Gespräche wurden von der Ukraine angestossen und sollen eine mögliche künftige Friedensordnung vorbereiten – allerdings ohne russische Beteiligung. Es ist bereits das vierte dieser Treffen, diesmal ist die Schweiz mit der Ukraine Co-Organisatorin. Selenski scheint darauf hinzuarbeiten, dass als Nächstes ein Friedensformel-Treffen auf Stufe der Regierungschefs stattfindet.
Die Schweiz fokussiert neben den Kriegen auf die EU
Während die Schweiz beim Friedensformel-Treffen als Organisatorin eine etwas aktivere Rolle spielt, wird sie wohl in den darauffolgenden Tagen eher im Hintergrund stehen, wie am WEF üblich. Voraussichtlich werden sechs von sieben Bundesräten am WEF anwesend sein, nur die neue Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider plant keine Reise. Auch zum Thema der beiden Konflikte dürfte es bilaterale Treffen der Schweiz geben, wohl vor allem von Aussenminister Ignazio Cassis. Zu erwarten ist aber, dass diese nur im Zusammenhang mit den Hilfen der Schweiz stehen, etwa dabei, der Ukraine bei der Entminung zu helfen.
Ein weiterer thematischer Schwerpunkt für die Schweiz ist voraussichtlich die EU. Noch offen ist, ob Bundespräsidentin Viola Amherd EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffen wird. Spekuliert wird auch über ein Gespräch zwischen Aussenminister Cassis und Maros Sefcovic, der bei der EU für das Schweizdossier zuständig ist. Ein solches Treffen könnte die Schweiz als positives Signal nutzen, nachdem es monatelang nur Gespräche auf technischer Ebene gegeben hat. Derzeit befassen sich in der Schweiz die Kantone und mehrere Kommissionen mit dem Entwurf des Verhandlungsmandats zwischen der Schweiz und der EU, und es kommt bereits Kritik auf. Ende Februar soll die Vernehmlassung voraussichtlich beendet werden – danach könnten die offiziellen Verhandlungen beginnen.
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