LiveCorona-Pressekonferenz des BundesTaskforce-Chef rät dringend zu «grossflächigen Schliessungen»
Die Fachexperten des Bundes haben zum Stand der Pandemie informiert. Wir berichteten live.
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Zusammenfassung
Die Corona-Fallzahlen zeigen in der Tendenz schweizweit nach oben. Spitaleintritte und Todesfälle liegen weiter auf hohem Niveau. Spitäler kommen an ihre Belastungsgrenzen. Und die Forderungen nach stärkeren Massnahmen werden immer dringlicher und lauter.
«Ich hätte heute gerne Optimismus versprüht vor den Feiertagen, aber einmal mehr muss ich den Mahnfinger erheben», sagte Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit im Bundesamt für Gesundheit (BAG), am Dienstag vor den Medien in Bern. Es gebe deutliche Hinweise, dass die von Bund und Kantonen gesetzten Ziele nicht erreicht würden.
«Dritte Welle»
«Wir müssen ernsthaft damit rechnen, dass die Fallzahlen in nächster Zeit wieder deutlich zunehmen werden», stellte Mathys fest. Schweizweit liege die Reproduktionszahl (R-Zahl) aktuell bei 1,13. Das bedeute eine Verdoppelung der Fallzahlen in weniger als einem Monat. Mathys sprach von einer Trendwende im negativen Sinne», die stattgefunden habe. Es sei nur eine semantische Frage, ob man von einer Fortsetzung der aktuellen Welle oder einer dritten Welle spreche.
Mit Verzögerung werde sich der Anstieg der Fallzahlen auf die Spitaleintritte und die Todesfälle auswirken. Um den Druck auf das Gesundheitssystem zu verringern, braucht es laut Mathys nun Massnahmen, die zu einem raschen Rückgang der Fallzahlen führen.
Sehr starke, umfassende schweizweite Massnahmen, vergleichbar mit den Massnahmen im März, braucht es jetzt nach Ansicht von Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Task Force des Bundes.
Forderung nach strengeren Massnahmen
«Das Virus kennt keine Kantonsgrenzen», sagte Ackermann vor den Medien. Besonders mit Blick auf die derzeit bessere Situation in der Westschweiz forderte er zu solidarischem Handeln auf. Nur wenn der R-Wert unter 0,8 sinke und gehalten werden könne, sei eine Besserung in Sicht.
«Der Gedanke an einen Lockdown ist nicht einfach», betonte Ackermann. Aus wissenschaftlicher Sicht wären Massnahmen wie im Frühling je früher desto besser angezeigt. Es brauche umfassende schweizweite Massnahmen. Die Taskforce gebe aber nur Empfehlungen ab, entscheiden müssten das BAG und die Politik. Der Bundesrat will am Freitag allfällige weitere Massnahmen bekanntgeben.
Mathys und Ackermann wiesen auch auf die ernste Lage in den Spitälern hin. Das Personal sei am Limit, und immer mehr dringliche Eingriffe könnten nicht mehr oder nur verzögert durchgeführt werden. Zudem gebe es vermehrt Ansteckungen in Spitälern.
Fehlende Intensivbetten in zehn Kantonen
Bereits zehn Kantone haben derzeit keine freien zertifizierten Intensivbetten, wie Andreas Stettbacher, Delegierter des Bundesrates für den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD), vor den Medien erklärte. Es sind dies Zug, Freiburg, Solothurn, Genf, Glarus, Graubünden, Thurgau, Tessin, Waadt und Wallis.
Schweizweit stehen derzeit fast 24'000 Akut- und Intensivbetten zur Verfügung. Von den Akutbetten sind derzeit 16'677 belegt. Die Reserve bei den Akutstationen beträgt aktuell 25 Prozent, und auf den Intensivstationen liegt sie bei 22 Prozent. 839 Intensivbetten sind belegt, davon 57 Prozent von Covid-Patienten.
Reservekapazitäten von rund 20 Prozent bedeuteten eine hohe Belastung auch für das Personal. Mit der rechtzeitigen Verlegung von Intensivpatienten könne deren Behandlung aber sichergestellt werden. «Wir haben noch Reserven, müssen aber dazu Sorge tragen», so Stettbacher. Es sei wichtig die Infektionszahlen zu senken, damit es nicht zu Überlastungen des Gesundheitssystems komme.
Die Schweiz will ihren Weg bei der Zulassung eines Corona-Impfstoffes trotz der absehbaren schnellen Zulassung in den EU-Ländern nicht verlassen. Vorzeitige Impfungen seien keine Lösung, die Sicherheit der Bevölkerung habe Priorität, bestätigte die Heilmittelbehörde Swissmedic auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Seco erstellt mögliche Szenarien
Ackermann betonte, dass es auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll sei, sofort Massnahmen zu ergreifen, um die Fallzahlen zu senken.
Negativ- wie Positivszenarien zur möglichen Erholung der Wirtschaft erstellt hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Demnach könnte die Erholung ab Frühjahr 2021 einsetzen oder aber erst Ende 2022 erreicht sein, wie Eric Scheidegger, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik im Seco, feststellte.
Das Parlament hiess am Dienstag die zusätzlichen 1,5 Milliarden Franken, die der Bundesrat für Härtefälle im Kampf gegen die Corona-Krise zur Verfügung stellen will, im Covid-19-Gesetz gut.
Nach dem Willen des Nationalrats soll die Rückzahlungsfrist für Covid-Kredite von fünf auf acht Jahre verlängert werden. Der Ständerat war zuvor dem Bundesrat gefolgt und wollte die Rückzahlungsfrist bei fünf Jahren belassen. Die Dauer der Frist ist die letzte Differenz, die zwischen den Räten bei der Beratung des Solidarbürgschaftsgesetzes noch besteht.
Medienkonferenz ist zu Ende
Eine lange Medienkonferenz mit allerdings klaren Aussagen ist zu Ende. In Bälde folgt hier eine Zusammenfassung.
Wie soll man nun Weihnachten feiern?
Mathys (schon etwas knurrig) sagt: «Ich sage es nun zum vierten Mal. So wenige Kontakte wie möglich. Verzichten Sie auf grosse Familienfeiern. Es geht darum, die Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren.»
Soll man vor Weihnachten noch einen Schnelltest machen, um das Grosi zu sehen?
Mathys warnt: «Schnelltests sind gut, wenn man Symptome hat. Ein Schnelltest kann ein zusätzliches Hilfsmittel sein. Es ist gefährlich, aufgrund eines negativen Schnelltests sämtliche andere Massnahmen zu ignorieren.» Ackerann würde in einer solchen Situation – also um Grossvater oder Grossmuter zu sehen – davon abraten. Er selbst werde es an Weihnachten vermeiden, engen Kontakt zu seinem Vater zu haben und ihn draussen treffen.
Sind Lockerungen für die Festtage wirklich vertretbar?
Erneut antwortet der Taskforce-Chef: «Aus wirtschaftlicher Situation ist der Fall klar: Schlechte Situation, Chance zur Verschlimmerung. Aus epidemiologischer Sicht macht es also keinen Sinn.» Ackermann erinnert aber auch daran, dass es menschliche Bedürfnisse gebe. Und wenn die kurzzeitige Lockerung dazu führe, dass sich die Menschen sonst streng an die Massnahmen halten, könnte sie sogar nützlich sein.
Wie soll man die Menschen abholen?
Ackermanns Replik: «Es braucht einerseits klare Signale und Botschaften. Andererseits müssen die Behörden eine Perspektive aufzeigen. Wir müssen den Leuten, die sehr hart von der Pandemie getroffen werden, aufzeigen, dass es eine Perspektive gibt. Dass zum Beispiel bereits in wenigen Monaten – etwa dank Impfungen – eine deutliche Entspannung eintreten kann.»
Sind harte Massnahmen der richtige Kurs für die Wirtschaft?
Scheidegger vom Seco antwortet: «Es gibt keinen keinen Widerspruch zwischen der Gesundheit und Wirtschaft. Nun gilt es, die zweite Welle so früh wie möglich zu beenden.»
Ist es nicht ein Chaos der Behörden in diesem Land?
Mathys antwortet: «Ich kann diese Personen verstehen. Ich gebe ihnen insofern recht, dass man nicht mehr weiss, was, wo genau gilt. Selbst mir ist manchmal nicht mal mehr klar, was in den Kantonen gilt, wenn ich mal eine Grenze überschreite.»
Er bezweifelt aber, dass es ein Chaos sei. Hauri fügt bei: «Es gäbe nun mal ein föderalistisches System in der Schweiz.» Aber in Zukunft müsse man sich fragen, inwiefern solche dezentralen Kommunikationen tatsächlich auch Sinn machen.
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Denken Sie alle, dass ein Lockout richtig wäre?
Ackermann dazu: «Die Covid-19-Tasforce ist von weitgehenden Schliessungen überzeugt.»
Mathys meint: «Wir sind mit der aktuellen Situation nicht zufrieden. Wir begrüssen es, wenn weitere Massnahmen getroffen werden. Es ist aber auch eine politische Entscheidung.»
Hauri sagt klipp und klar: «Wir erwarten auch klare und schnelle Massnahmen, die greifen sollen. Ob es sich dabei um einen starken Lockdown handelt, dass können wir nicht sagen.»
Ist das Sonntagsverkauf-Verbot in kleinen Dörfern sinnvoll?
Mathys vonm BAG sagt dazu: «Die Schliessung am Sonntag mache aus landesweiter Perspektive Sinn. Die Kantone sind gefordert, auch in diesen Gebieten die nötigen Schutzkonzepte umzusetzen. Es wird eine Herausforderung sein. Nun muss man auch abwarten, was der Bundesrat am Freitag entscheiden wird. Ich will da nicht vorgreifen. Er hat gesagt, dass er den Wintertourismus will.»
Wie sieht es wirklich mit den Intensivstationen aus?
Stettbacher: «Es gibt regional sehr starke Unterschiede, ich habe ja die nationale Situation dargestellt. Die Zahlen ändern sich auch schnell, da die Spitäler immer sofort versuchen, neue Kapazitäten zu schaffen.» Ziel sei es, möglichst nie auf die letzten 20 Prozent der Reserve zurückzugreifen zu müssen. Er sagt noch einmal, wie ausgelastet das Pflege- und Spitalpersonal sei.
Was würden Sie als Politiker machen, Herr Ackermann?
Ackermann zögert keine Sekunde, was wohl vielsagend ist: «Wenn ich für das Land eine Massnahme treffen könnte, würde ich jetzt vorschlagen, so schnell wie möglich sehr weitgehende Massnahmen zu treffen. Also die Schliessung von Restaurants sowie von nicht essentiellen Geschäften und Umsetzung von striktem Homeoffice.»
Zwei-Haushalte-Regelung: Nur eine Empfehlung?
Ackermanns Replik: «Es gibt viele Übertragungen im Privatbereich. Alle Massnahmen, die das reduzieren können, sind aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll.» Patrick Mathys vom BAG ergänzt ihn: «Regeln müssen auch umsetzbar und kontrollierbar sein.» Sonst machen diese keinen Sinn. Man müsse die Kontakte reduzieren. Mathys glaubt, dass dies eher über Empfehlungen statt Regeln passiere.
Sollen die Schulen geschlossen werden?
«Wir stellen nie Forderungen. Wir stellen unsere Einschätzung zur Verfügung. An den Weihnachtstagen besteht die Chance auf eine erhöhte Übertragung. Wenn man das verhindern will, lohnt es sich, den Präsenzunterricht nach hinten zu verschieben. Das ist ein Vorschlag aus wissenschaftlicher Sicht.»
Werden Sie von der Politik überhaupt gehört?
Ackermann sagt, dass er schon das Gefühl habe, dass die Politik ihn höre. Aber der politische Prozess sei nicht so einfach. «Ich habe aber den Eindruck, dass wir in den letzten Tagen mehr gehört worden sind. Die Schweiz ist in einer sehr angespannten Lage.»
Erste Frage: Also empfiehlt die Taskforce einen Lockdown?
Ackermann antwortet: «Unserer Meinung nach braucht es sehr starke Massnahmen und grossflächige Schliessungen. Je früher, desto besser. An den Feiertagen befürchten wir eine Zunahme der engen Kontakte sowie mehr Mobilität. Aus wissenschaftlicher Sicht zählt nun jeder Tag.»
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Auswirkungen auf die Wirtschaft
Eric Scheidegger vom Seco zeigt auf, dass das Bruttoinlandprodukt wegen der Pandemie erst im Jahr 2022 wieder im Normalbereich sei. Er spricht von mehreren Szenarien. «Wenn sich im Frühling vor allem wegen einer erfolgreich verlaufender Impfung die epidemiologische Lage stabilisiert, dann wird das BIP wieder schneller wachsen als in früheren Prognosen.»
Sollte sich die epidemiologische Lage nicht beruhigen, dauere es dann eben um einiges länger, bis sich die Wirtschaft wieder auf einem Niveau bewegen werde, wie vor der Pandemie.
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Unterschätzte Übertragungsorte
Hauri führt weiter aus, dass die meisten Übertragungsorte Treffen mit Familien und Freunde seien. Das könne aber auch beim Essen oder beim lauten Sprechen passieren. Oder bei Pausen während der Arbeit.
Der Zuger Arzt sagt aber auch noch, dass die Spitäler noch funktionieren würden. Allerdings arbeite das Personal mit hoher Kadenz. Hauri warnt vor den Festtagen: «Feiern Sie nur im kleinen Rahmen», lautet sein Appell.
Mit Vollgas werden Impfzentren eingerichtet
Der Zuger Kantonsarzt Hauri ergreift das Wort. «Derzeit werden mit Vollgas Impfzentren eingerichtet.» Über ein elektronisches System würden die Personen erfasst und dann zur zweiten nötigen Impfung so aufgeboten. So bald als möglich sollen auch die Ärzteschaft und Apotheken beteiligt werden. «Das Ziel ist klar: Die Impfungen sollen ab Januar oder ab Eintreffen der Impfstoffe in den Kantonen begonnen werden.»
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Virus kennt keine Grenzen
Ackermann sagt auch, dass das Virus keine Kantonsgrenzen kenne. «Die kommenden Festtage, die höhere Mobilität und das kalte Wetter bergen ein hohes Risiko, dass sich die Lage weiter verschlechtert», erklärt der Chef der Taskforce. Es ist ein eindringlicher Appell.
Aus wissenschaftlicher Sicht sollten demnach so schnell wie möglich, ähnlich dem Lockdown im Frühling, scharfe Massnahmen eingeführt werden. Nicht essentielle Läden sollten geschlossen werden. «Wir sehen keine Anzeichen für eine Verbesserung, wir müssen jetzt handeln. Es müssen immer mehr Operationen und Behandlungen verschoben werden, es leiden also auch Menschen, die nicht an Covid erkrankt sind.» Und: Man müsse weitere Tote wegen Corona verhindern. «Wir müssen jetzt dringend handeln, um in absehbarer Zeit wieder weniger von der Pandemie bestimmt leben zu können.»
red/SDA
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