Corona-Medienkonferenz am FreitagKoch: «Engpass bei Schutzmasken behoben»
Die Experten des Bundes äusserten sich in Bern zu wichtigen Fragen und Anliegen. Die Übersicht.
Das Wichtigste in Kürze:
- In der Schweiz hat die Zahl der Corona-Neuinfektionen innerhalb eines Tages um 346 auf 27'078 zugenommen.
- Die Todesfälle in Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung nahmen innerhalb von 24 Stunden um 105 auf 1304 zu.
- «Wir sind noch lange nicht aus der Gefahrenzone heraus», sagt Daniel Koch.
- Koch äusserte sich auch zur Kritik der Gastronomie.
- Für die Festivals gibt es keine guten Nachrichten.
«Unspektakuläre, aber wichtige Aufgabe des Zivilschutzes»
In der laufenden Woche stehen zur Bewältigung der Corona-Pandemie erneut tausende Zivilschützer im Einsatz. «Es handelt sich oft um unspektakuläre Einsätze, die von der Bevölkerung geschätzt werden», sagt Christoph Flury, Vizedirektor im Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs).
Es komme durchaus vor, dass ein Zivilschutzleistender den Job als Hauswart in einem Altersheim übernehme und mit Reinigungsgeräten hantiere, sagt Flury. Auch Arbeiten in Wäschereien stünden an. Im Fokus des Einsatzes stehe noch immer das Gesundheitswesen.
Dort habe es teilweise viele Ausfälle gegeben beim Personal. Dann könne der Zivilschutz zum Zug kommen. Keine Einsätze leisten Zivilschützer in jenen Spitälern, die nicht ausgelastet sind.
Der Zivilschutz steht seit Beginn der Krise im Einsatz. Diese Woche sind laut Flury rund 5800 Angehörige im Einsatz, in der Woche vor Ostern waren es 6100 Personen. Am gefragtesten sind die Zivilschützer in der lateinischen Schweiz sowie in Baselland und in Zürich.
Ein Einsatz erfolge nur, wenn ein Unterstützungsbedarf wirklich ausgewiesen sei, sagt Flury. Insgesamt habe der Zivilschutz bereits hunderte von kleineren und grösseren Einsätzen geleistet. «Die Motivation ist gut, vielerorts melden sich Freiwillige.»
Bei Lehrverträgen zeichnet sich Rückgang ab
Die Corona-Krise macht sich auf dem Lehrstellenmarkt bemerkbar. Die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge ist gegenüber anderen Jahren rückläufig. Noch ist offen, ob Auffangangebote für Schulabgänger geschaffen werden müssen.
Etwa zwei Drittel der jährlich rund 100'000 Schulabgängerinnen und -abgänger wählten eine berufliche Grundbildung, sagt Rémy Hübschi, Vizedirektor des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).
Dass die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge derzeit rückläufig sei, überrasche nicht, sagt Hübschi. Einige Betriebe seien geschlossen, andere hätten derzeit andere Prioritäten.
Das SBFI führe ein Monitoring durch, sagt Hübschi. Um allenfalls Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Anschluss auffangen zu können, würden Massnahmen vorbereitet. Etwa könnte mehr Zeit eingeräumt werden für Vertragsabschlüsse oder es könnten zusätzliche Brückenangebote vor Lehrbeginn geschaffen werden.
Hübschi äussert sich auch zur Verordnung für die bevorstehenden Lehrabschlussprüfungen, die der Bundesrat am Donnerstag verabschiedete. Während auf schulische Prüfungen durchwegs verzichtet wird, gibt es für die praktische Prüfung drei Varianten: Prüfung im Betrieb, Prüfung in einem Prüfungszentrum oder Verzicht auch auf die praktische Prüfung.
Für alle 230 Berufe müsse bis Ende Monat festlegt werden, welche Varianten angewandt werde, sagt Hübschi. Auf Grund bisheriger Reaktionen zeige sich, dass in industriellen und gewerblichen Berufen eher auf Prüfungen gesetzt werde. Dagegen werde für eher wissenslastige Berufe wie etwa Kaufmann/Kauffrau die Variante ohne praktische Prüfung bevorzugt.
Bund arbeitet in den nächsten Tagen Modelle für Schutzkonzepte aus
Der Bund wird bis nächste Woche Modelle für Schutzkonzepte für verschiedene Tätigkeiten veröffentlichen. Dabei handelt es sich um Grobkonzepte. Branchenverbände können dann darauf basierend Feinkonzepte erstellen. Die Betriebe müssen diese schliesslich implementieren.
Das sagen die Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Für die Kontrolle seien dann die kantonalen Arbeitsinspektorate zuständig. Der Bund werde keine Branchenkonzepte bewilligen oder nicht bewilligen.
Letztlich müssten die Unternehmen bei einer Öffnung ihres Betriebs die Hygiene- und Abstandsempfehlungen des Bundes umsetzen, sagt Boris Zürcher vom Seco. «Es geht um den gesunden Menschenverstand.» Es brauche Schutzkonzepte für Dienstleister und Kunden, um eine erneute Zunahme der Fallzahlen zu vermeiden.
Der Bund werde in wenigen Tagen vier bis fünf Grobkonzepte bereitstellen, zum Beispiel für personenbezogene Dienstleistungen. Diese Grobkonzepte sollen etwa Grundregeln wie das Tragen von Handschuhen und Schutzmasken beinhalten. «Es ist aber undenkbar, dass wir für jede denkbare Tätigkeit Regeln entwerfen», sagt Zürcher.
Die primäre Verantwortung obliegt laut dem Seco dem Arbeitgeber. Die Arbeitnehmenden hätten aber ein Mitwirkungsrecht und müssten angehört werden.
«Arbeitsmarkt ist zum Erliegen gekommen»
Derzeit werden pro Werktag 1500 Personen arbeitslos, die Zahl der Kurzarbeitsgesuche schiesst noch immer in die Höhe. «Der Arbeitsmarkt ist zum Erliegen gekommen», konstatiert Boris Zürcher, Leiter Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
Viele Personen, die Ende 2019 oder Anfang 2020 von sich aus und ohne Anschlusslösung gekündigt haben, stehen vor einem Problem: «Ihre Stelle gibt es nicht mehr», sagt Zürcher. Die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften sei regelrecht eingebrochen.
«So etwas haben wir noch nie gesehen, auch in schweren Rezessionen nicht», sagt Zürcher. Die Massnahmen des Bundes zahlen sich laut dem Seco aber durchaus aus: Kurzarbeit wird intensiv genutzt, Entlassungen werden dadurch verhindert. Zudem hätten die Arbeitslosen durch die Verlängerung des Taggeldes um maximal 120 Tage «eine Auszeit bekommen».
Tessin Spitzenreiter bei Kurzarbeit
Aktuell ist für über ein Drittel der Arbeitnehmenden in der Schweiz ein Gesuch um Kurzarbeit gestellt worden. Wie viele Stunden effektiv abgerechnet worden sind, ist laut Zürcher noch unklar. Die Erfahrung der Finanzmarktkrise im Jahr 2009 zeige aber, dass viele dieser Gesuche genutzt würden.
Spitzenreiter bei der Zahl der Kurzarbeitsgesuche ist weiterhin das Tessin, dort liegt für 52 Prozent der Arbeitnehmenden ein Gesuch vor. In fast allen Kantonen liegt die Quote bei über einem Drittel. Im Gastgewerbe wurde für drei Viertel der Arbeitnehmenden Kurzarbeit angemeldet.
Koch zu den Masken
Koch: «Ich sage zu den Masken etwas, wenn die obligate Frage kommt.»
Koch: «Noch lange nicht aus dem Gefahrenbereich»
Die Kurve der Neuansteckungen mit dem Coronavirus ist rasch abgeflacht. Für Entwarnung ist es aber zu früh: «Wir sind noch lange nicht aus der Gefahrenzone heraus», sagt Daniel Koch, Delegierter des Bundesamts für Gesundheit (BAG) für COVID-19.
Aus epidemiologischer Sicht bestehe immer noch ein grosses Risiko, dass sich mehr Leute ansteckten und es wieder mehr schwere Fälle gebe. Koch erinnert daran, dass noch immer über 300 Menschen künstlich beatmet werden müssen. «Es ist eine gefährliche Krankheit, nicht nur für Risikopatienten.»
Koch äussert sich auch zur Kritik der Gastronomie, dass es keine Fahrplan für die Öffnung von Bars und Restaurants gibt. Das werde sicher noch einmal geprüft, sagte er. Es handle sich aber um einen «sehr schwieriger Bereich».
Wenn man in einem Restaurant zusammensitze, habe das Abstandhalten nicht die erste Priorität. Es liege daher auf der Hand, dass die Gastronomie nicht in einem ersten Schritt geöffnet werde. Koch erinnert auch an die schlechten Erfahrungen mit beschränkten Auflagen für Restaurants von Mitte März. «Das hat überhaupt nicht funktioniert», sagte er.
Die Runde der Experten
Vertreten sind folgende Departemente:
Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI
Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS
Eidgenössisches Finanzdepartement EFD
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD
Und das sind die Vertreter und Vertreterinnen an der MK:
- Daniel Koch, Delegierter des BAG für COVID-19
- Boris Zürcher, Leiter Direktion für Arbeit
, Seco
- Rémy Hübschi, Vizedirektor SBFI
- Christian Bock, Direktor Eidg. Zollverwaltung, EFD
- Cornelia Lüthy, Vizedirektorin SEM
- David Rüetschi, Chef Fachbereich Zivil- und Zivilprozessrecht
- Emanuel Lauber, Co-Bereichsleiter Leistungen ABEL, BSV
- Christoph Flury, Vizedirektor Bundesamt für Bevölkerungsschutz
- Raynald Droz, Brigadier, Stabschef Kommando Operationen VBS
Wieder etwas stärkere Zunahme der bestätigten Covid-19-Fälle
In der Schweiz und in Liechtenstein hat die Zahl der bestätigten Neuinfektionen mit dem Coronavirus innerhalb eines Tages um 346 zugenommen. Insgesamt gab es damit am Freitag 27'078 laborbestätigte Fälle.
Damit stieg die Zahl der neuen bestätigten Fälle im Vergleich zum Vortag an, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Freitag mitteilte.
Die Todesfälle in Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung nahmen nach einer Zählung der Nachrichtenagentur Keystone-SDA bis Donnerstagmittag innerhalb von 24 Stunden um 105 auf 1304 zu. Der Kanton Waadt überholte erstmals den bisherigen Rekordhalter Tessin und gab die Zahl seiner Todesopfer mit 279 an, im Tessin starben bis Freitag 270 Menschen an der Lungenkrankheit.
Keystone-SDA analysiert die auf den Internetseiten der Kantone vorliegenden offiziellen Daten und aktualisiert sie zweimal täglich, mittags und abends. Obwalden und Appenzell-Innerrhoden sind gemäss dieser Zählung die einzigen Kantone ohne Todesopfer.
Über 200'000 Tests
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gab die Zahl der Todesopfer mit 1059 an, das sind 32 mehr als noch am Donnerstag. Das Amt bezieht sich bei seinen Angaben auf die Meldungen, die die Laboratorien sowie Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Meldepflicht bis Donnerstagmorgen übermittelt hatten. Die Zahl könne deshalb von den Zahlen der Kantone abweichen, schrieb das BAG weiter.
Nach wie vor weise die Schweiz eine der höchsten sogenannten Inzidenzen in Europa auf. Am Freitag waren hochgerechnet auf 100'000 Einwohnerinnen und Einwohner 315 Personen von Covid-19 betroffen. Insgesamt wurden in der Schweiz bisher 211'400 auf das Coronavirus getestet, 15 Prozent davon verliefen positiv.
Schweizer Forscher kehrt internationaler Corona-App den Rücken
Die Contact-Tracing-App PEPP-PT soll dazu beitragen, die Coronavirus-Pandemie einzudämmen. Der Schweizer Epidemiologe Marcel Salathé gehörte zu den treibenden Kräften des internationalen Projekts. Nun zieht er sich daraus zurück, wie er am Freitag auf Twitter bekanntgab.
Er glaube noch immer an einen internationalen Ansatz unter Schutz der Privatsphäre, schreibt der Forscher der ETH Lausanne. Er könne aber nicht hinter etwas stehen, von dem er nicht wisse, für was es stehe. Im Moment sei PEPP-PT nicht offen und nicht transparent genug.
Entscheidend seien die Details, schreibt Salathé. Dazu gehören für ihn die Protokolle, Privatsphäre oder Systemsicherheit. Alle, die an einer Lösung arbeiteten, sollten dies offen tun. «Transparenz ist zwingend», schreibt der Forscher auf Twitter.
Salathé will sich nun voll und ganz dem DP-3T-Projekt widmen. Es handelt sich um ein Open-Source-Projekt. Daten sollen dezentral und anonym gespeichert werden. Ideen könnten offen diskutiert werden, schreibt Salathé. Das Forscherkollektiv DP-3T hat am Freitag weitere Testversionen einer Contact-Tracing-App zur Erprobung veröffentlicht.
Experten setzen auf App
Solche Apps sollen ihre Nutzer warnen, wenn sie Kontakt zu Infizierten hatten. Die Betroffenen könnten sich dann zum Beispiel isolieren oder testen lassen. Die Unterbrechung von Ansteckungsketten soll zur Eindämmung der Pandemie beitragen, bis ein Impfstoff auf dem Markt ist.
Was Salathés Rückzug für die Strategie des Bundes zur Eindämmung der Epidemie bedeutet, ist unklar. Matthias Egger, Präsident der wissenschaftlichen COVID-19 Task Force, hatte sich Anfang April zuversichtlich zum Einsatz von PEPP-PT gezeigt.
Es seien noch Abklärungen zum Datenschutz im Gang, technisch sei man aber sehr weit. Je früher die App eingesetzt werde, desto besser. «Alles, was dazu beiträgt, Infektionsketten zu unterbrechen, ist willkommen und sollte eingesetzt werden», sagte Egger vor Journalisten.
Die Nutzung von Contact-Tracing-Apps soll in der Schweiz freiwillig sein. Nach Einschätzung von Egger wäre die Akzeptanz in der Schweizer Bevölkerung aber relativ gross: Er geht davon aus, dass rund 30 Prozent teilnehmen würden.
Internationales Projekt
PEPP-PT steht für Pan-European Privacy Preserving Proximity Tracing-Initiative. Deren App soll die auf Smartphones installierte Bluetooth-Datenübertragungstechnik nutzen, um festzustellen, welche anderen Handys sich über eine für eine Infektion relevante Zeit hinweg in entsprechender Nähe befanden.
Neben der ETH sind an der Entwicklung zahlreiche andere namhafte Forschungsanstalten beteiligt, darunter das Berliner Fraunhofer-Institut, die Technischen Universitäten Dresden und Berlin, das französische Institut national de recherche en informatique et en automatique sowie der Telekommunikationskonzern Vodafone beteiligt. Die deutsche Bundeswehr führte praktische Versuche mit der Plattform durch.
Schweizer Armee im Einsatz
Die Hintergründe über den Bruch zwischen den Forschungskollektiven sind unklar. Nach Angaben von Forschern hat PEPP-PT Informationen zu DP-3T von der Website entfernt, ohne sich dazu zu äussern.
Es gebe Gerüchte, dass PEPP-PT-Mitglieder für ein nicht-öffentliches Design lobbyierten schreibt der ETH-Forscher Mathias Payer vom DP-3T-Kollektiv auf Twitter. Dafür sei deutlich mehr Vertrauen in die Regierung nötig. Payer hat am Freitag mit Angehörigen der Schweizer Armee Feldversuche mit DP-3T durchgeführt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.