Fünf gängige Abnehm-MythenWarum Sport allein nicht schlank macht
Viele populäre Vorstellungen zum menschlichen Stoffwechsel stimmen nur bedingt oder sind gar falsch. Wir überprüfen fünf gängige Mythen mithilfe neuer Forschungsarbeiten.
Sportliche Menschen verbrauchen mehr Kalorien als «Couch Potatoes». – Frauen haben einen langsameren Stoffwechsel als Männer, daher haben sie mehr Mühe, das Gewicht zu halten. – Sport hilft beim Abnehmen.
Wer kennt sie nicht, solche und ähnliche populäre Glaubenssätze zum menschlichen Stoffwechsel? Das Problem dabei: Diese Vorstellungen stimmen nur bedingt, zum Teil sind sie sogar falsch.
«Wir wissen gar nicht richtig, was Metabolismus überhaupt ist», sagt der Evolutionsanthropologe Herman Pontzer von der Duke University in Durham (USA). Es sei sehr einfach, alles dem Metabolismus in die Schuhe zu schieben, zum Beispiel, dass dicke Menschen einen langsamen Stoffwechsel hätten oder dünne Menschen einen schnellen.
Pontzer muss es wissen. Denn er und sein Team waren es, die in den letzten Jahren mit bahnbrechenden Arbeiten viele scheinbar gültige Glaubenssätze zum Thema Sport, Ernährung und Stoffwechsel ins Wanken gebracht oder sogar umgestürzt haben. So konnte Pontzers Team zeigen:
dass Menschen deutlich mehr Energie verbrennen als unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen;
dass alle Menschen in etwa gleich viel Energie verbrauchen, egal, ob Bürolist oder Jäger und Sammlerin;
dass sich der Metabolismus im Alter zwischen 20 und 60 Jahren nicht verändert, dass weder die Pubertät noch die Menopause die Stoffwechselrate verändert;
dass sich der Metabolismus von Frauen und Männern nicht grundlegend unterscheidet.
«Pontzers Forschungsarbeiten sind super solid», sagt Katrien De Bock, Professorin für Bewegung und Gesundheit an der ETH Zürich, die selbst auch zum menschlichen Metabolismus forscht. «Die Arbeiten seines Teams haben viel zum besseren Verständnis unseres Stoffwechsels beigetragen.»
Wir stellen die gängigsten Vorstellungen oder Mythen zum menschlichen Stoffwechsel auf den Prüfstand und gleichen sie mit den neuen Erkenntnissen ab.
Körperlich aktive Menschen verbrauchen mehr Energie als Bürolisten
Das denken die meisten, und intuitiv ergibt es auch Sinn. Herman Pontzer hat diesen Mythos allerdings zusammen mit seinem Forschungsteam heftig ins Wanken gebracht. Dafür reiste er seit 2010 mehrmals nach Tansania und besuchte dort die naturnah lebende Gemeinschaft der Hadza. Diese Volksgruppe von etwa 1000 Menschen ist eine der letzten Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften weltweit. Die Männer gehen mit Pfeil und Bogen auf die Jagd und legen dabei täglich rund 14 Kilometer zurück; die Frauen sammeln Beeren und graben Wurzeln aus und laufen dabei rund 8 Kilometer pro Tag.
Ein wahrlich anstrengendes Leben. Und doch verbrauchen die Hadza kaum mehr Energie als Menschen in industrialisierten Ländern, die sich wenig oder zumindest viel weniger als die Hadza bewegen. Bei ihren Berechnungen korrigierten die Forschenden das geringe Körpergewicht der Hadza und berücksichtigten nur die Muskelmasse. Die Studie veröffentlichten Pontzer und sein Team 2012 im Fachblatt «Plos One».
Wie kann das sein? Wenn also alle Menschen im Durchschnitt etwa gleich viele Kalorien verbrauchen, egal, wie sie leben, heisst das auch, dass körperlich aktive Menschen dafür bei anderen Aufgaben Energie sparen. Pontzer vermutet, dass einerseits das Immunsystem weniger Kalorien verbraucht – mit dem positiven Effekt, dass so Entzündungen im Körper eingedämmt und zudem Stressreaktionen gedämpft werden. Für diese These spricht, dass bei den Hadza Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Übergewicht nicht vorkommen – bei all diesen Krankheiten spielen auch Entzündungen eine Rolle. Das alles experimentell zu beweisen, sei allerdings sehr schwierig, sagt Pontzer.
Die ETH-Forscherin Katrien De Bock hat eine alternative Erklärung. Es könnte sein, sagt sie, dass das Immunsystem bei starken körperlichen Aktivitäten eine andere Energiequelle anzapfe. Statt – wenig effizient – den Zucker (Glukose) als Brennstoff zu nutzen, setze das Immunsystem auf eine effizientere Fett-Verstoffwechselung. Auch für diese These gibt es bislang keine Belege.
Wenn man viel Sport treibt, verbrennt man mehr Kalorien
Diese Vorstellung klingt zwar logisch, aber sie stimmt ebenfalls nicht ganz. Wer zum Beispiel zum Jahresbeginn den Vorsatz gefasst hat, von nun an dreimal die Woche joggen zu gehen, wird am Anfang tatsächlich etwas mehr Kalorien verbrennen als zu untätigen Zeiten. Doch schon bald verschwindet dieser Effekt zum grossen Teil wieder, der Körper passt sich innerhalb weniger Monate dem neuen Trainingsplan an und verbrennt insgesamt ähnlich viele Kalorien wie zuvor. Dies zeigte u. a. eine andere grosse Studie von Pontzer und seinem Team. Darin verglichen die Forschenden den Gesamtenergieverbrauch mit dem Grundumsatz von über 1700 normal lebenden Menschen.
Der Grundumsatz – die sogenannte Basal Metabolic Rate (BMR) – ist jene Menge Energie, die der Körper im Ruhezustand verbraucht, also um etwa das Gehirn, die Atmung oder den Blutkreislauf am Laufen zu halten. Beim Menschen macht die BMR rund 60 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus. Der Gesamtenergieverbrauch ist die Summe von Grundumsatz und aktivitätsbedingtem Energieverbrauch.
Bei der Analyse der Stoffwechseldaten der 1700 Probanden stellte sich heraus, dass durchschnittlich mehr als ein Viertel der zusätzlich durch Sport verbrannten Kalorien einfach beim Grundumsatz eingespart wird. Die Forscher sprechen hier von Energie-Kompensation. «Der Energieverbrauch geht zwar leicht hoch, wenn man Sport treibt», sagt ETH-Forscherin De Bock, «aber weniger als erwartet.»
Selbst bei Extremsportlern fand Pontzers Team einen Anpassungseffekt. Frauen, die am Race Across America teilnahmen und während 140 Tagen einen Marathon liefen (an sechs Tagen die Woche, jeder siebte Tag war Ruhetag), verbrauchten zu Beginn des Rennens gut 6000 Kalorien pro Tag, am Ende des Rennens waren es nur noch knapp 5000 Kalorien. Laut Pontzer gibt es eine obere Limite, wie viele Kalorien ein Mensch langfristig verbrennen kann. Sie beträgt etwa das Zweieinhalbfache des Grundumsatzes – für einen 85 Kilo schweren Mann sind das etwa 4650 Kalorien pro Tag.
Mit Sport kann man Gewicht verlieren
Viele Studien haben gezeigt, dass Sport treiben kaum einen Einfluss hat auf eine Gewichtsabnahme. «Die Idee, dass man mit Sport Gewicht verliert, wird überverkauft», sagt Pontzer. Dafür gebe es kaum Evidenz. Um Gewicht loszuwerden, müsse man vor allem die Ernährung anpassen. Immerhin: Sport kann durchaus helfen, nach einer Diät das Gewicht zu halten.
Trotz des geringen Einflusses auf die Gewichtsabnahme: Sport treiben sei sehr wichtig für die Gesundheit, betonen beide Experten. Das habe man auch bei der Covid-Pandemie gesehen, sagt De Bock. Sportlich aktive Menschen hätten bei einer Corona-Infektion eine bessere Prognose gehabt. «Sie hatten ein kleineres Risiko, schwer an Covid zu erkranken, hospitalisiert werden zu müssen oder an Covid zu sterben.»
Pontzer bringt es auf den Punkt: «Sportliche Aktivität verhindert, dass man krank wird, aber das beste Mittel zur Gewichtskontrolle ist die Ernährung.» De Bock ergänzt: «Am besten ist es, Ernährung und Sport zu kombinieren.»
Männer haben einen schnelleren Stoffwechsel als Frauen
Bis vor anderthalb Jahren gab es kaum Zweifel, dass diese Vorstellung stimmt. Dann, im Sommer 2021, publizierte Herman Pontzer zusammen mit über 80 anderen Forschenden eine aufsehenerregende Arbeit im Fachblatt «Science». In dieser Studie analysierten die Forschenden Daten zum Gesamtenergieverbrauch von über 6400 Menschen aus 29 Ländern, im Alter von 8 Tagen bis 95 Jahren.
Die Studie schaffte es, gleich mehrere Vorstellungen oder Mythen zum menschlichen Stoffwechsel über den Haufen zu werfen. Zum Beispiel, dass Teenager und Schwangere einen schnelleren Stoffwechsel haben, Frauen in der Menopause dafür einen langsameren, dass sich der Metabolismus generell schon ab dem mittleren Alter verlangsamt (und so für die Gewichtszunahme vieler Menschen verantwortlich ist), oder eben, dass Männer einen schnelleren Stoffwechsel haben als Frauen.
Das Team hat für seine Mega-Studie eine aufwendige Methode genutzt, bei der mithilfe von speziell markiertem Wasser der Gesamtenergieverbrauch eines Menschen gemessen werden kann. Für die aktuelle Arbeit haben die Forschenden Daten aus vielen kleinen Untersuchungen gepoolt und gemeinsam analysiert. Dabei zeigte sich: Über die gesamte Lebensspanne gibt es vier Stoffwechselphasen.
Neugeborene haben die gleiche Stoffwechselrate wie ihre Mütter. Im ersten Lebensjahr geht die Rate aber rasant hoch und liegt bis etwa zum fünften Lebensjahr rund 50 Prozent höher als bei Erwachsenen.
Ab etwa dem fünften Lebensjahr verlangsamt sich die Stoffwechselrate, und zwar kontinuierlich bis zum 20. Lebensjahr. Auch während der Pubertät nimmt die Rate weiter ab – und nicht zu, wie oft angenommen.
Ab 20 bis etwa 60 bleibt die Stoffwechselrate konstant. «Das war für mich selbst die grösste Überraschung», sagt Pontzer. «Ich bin jetzt in meinen Vierzigern, und ich fühle mich definitiv nicht mehr wie mit 20.»
Ab 60 nimmt die Stoffwechselrate dann langsam ab, etwa 0,7 Prozent pro Jahr. Das könnte möglicherweise damit zusammenhängen, dass wichtige Organe ab diesem Alter nicht mehr optimal funktionieren.
Und noch etwas zeigte die Analyse: Bei der Stoffwechselrate gibt es zwischen Frauen und Männern keinen Unterschied – wenn man die Unterschiede der beiden Geschlechter beim Gewicht und der Muskelmasse herausrechnet. Da Männer im Durchschnitt aber mehr Muskeln und weniger Fett besitzen als Frauen, haben sie absolut gesehen doch einen etwas schnelleren Stoffwechsel.
Ein langsamer Stoffwechsel führt unweigerlich zu Übergewicht
Die erwähnte Studie des grossen Forscher-Konsortiums hat nicht nur gezeigt, dass sich die Stoffwechselrate über die gesamte Lebensspanne mehrfach ändert. Sie offenbart auch, dass es zudem grosse individuelle Unterschiede gibt: Einzelne Menschen können bis zu 25 Prozent mehr (oder weniger) Kalorien pro Tag verbrennen als der Durchschnitt.
«Alle Menschen haben unterschiedliche Stoffwechselraten», sagt Pontzer. «Wir wissen allerdings nicht wirklich, warum.» Eine Rolle könnten die Schilddrüsenhormone spielen, auch die Zusammensetzung der Darmbakterien (Mikrobiom) könnte einen Einfluss auf die Stoffwechselrate haben, möglicherweise auch die Genetik oder die Umwelt, in der sich ein Mensch bewegt. «Es gibt kaum Studien zur Frage, was die Stoffwechselrate bestimmt», bestätigt ETH-Forscherin De Bock. Das Gehirn habe einen wesentlichen Anteil daran, man wisse zudem, dass Menschen mit mehr Muskeln eine höhere Stoffwechselrate haben.
Ein langsamer Stoffwechsel kann laut Pontzer allerdings nicht als Ausrede für zu viele Fettpolster dienen. Denn fettleibige Menschen haben laut Pontzer durchschnittlich die gleiche Stoffwechselrate wie dünne Personen – dabei wird bei den Berechnungen der Energieverbrauch jeweils pro Körpermasse verglichen. «Gewichtszunahme und Fettleibigkeit sind nicht das Produkt eines langsamen Stoffwechsels», schrieb Pontzer 2021 im Magazin «New Scientist».
Ein verlangsamter Stoffwechsel kann allerdings jenen Menschen Probleme bereiten, die gerade viel Gewicht verloren haben. Wer zum Beispiel von 100 auf 80 Kilo runtergehungert hat, kann nach der Diät nicht mehr so viel essen wie Personen, die schon immer 80 Kilo auf die Waage gebracht haben. Der Grund: Die Gewichtsabnahme signalisiere dem Körper: «Achtung, das ist schlecht», sagt Pontzer. In der Folge verlangsamt sich der Stoffwechsel, und zwar für sehr lange. «Noch sechs Jahre nach einer Diät haben diese Personen einen langsameren Metabolismus.» Das erklärt letztlich, warum es so schwierig ist, nach einer Diät das Gewicht zu halten. Umgekehrt könnte diese Erkenntnis auch Motivation dafür sein, gar nie überflüssige Pfunde zuzulegen.
Alle Säugetiere haben in etwa die gleiche Stoffwechselrate
Lange Zeit ging man davon aus, dass alle Säugetiere – proportional zu ihrer Körpermasse – in etwa gleich viel Energie verbrennen. Diese Erkenntnis beruhte allerdings «nur» auf der Messung des Energie-Grundumsatzes, der Basal Metabolic Rate (BMR). Den Grundumsatz kann man relativ einfach bestimmen, indem man die Menge Sauerstoff misst, die ein Mensch oder ein Tier – unter einer Haube – verbraucht. Viel aufwendiger und teurer ist die Messung des Gesamtenergieverbrauchs (Total Energy Expenditure, TEE).
Schon während seiner Zeit als Doktorand begann Herman Pontzer, den Gesamtenergieverbrauch von Hunden und Ziegen zu messen. Später hatte er die Gelegenheit, auch bei Orang-Utans den TEE-Wert zu bestimmen. Die Überraschung war dann gross, als er feststellte, dass Menschen – proportional zur Körpermasse – rund 60 Prozent mehr Kalorien verbrannten als die trägen orangen Riesen. Weitere Experimente mit anderen Menschenaffen wiesen in die gleiche Richtung: Im Vergleich zu Gorillas verbrennen Menschen 40 Prozent mehr Kalorien, im Vergleich zu Schimpansen 20 Prozent.
Eine zweite Erkenntnis aus diesen Experimenten: Der Mensch hat deutlich mehr Körperfett als seine nächsten Verwandten – Männer etwa doppelt so viel, Frauen dreimal so viel. Unser schnellerer Metabolismus, schreibt Pontzer in seinem Buch «Burn», ist der Grund dafür, dass wir mehr Fett anlegen als andere Menschenaffen. Denn Fett verbraucht deutlich weniger Energie als Muskeln und kann daher als eine Art Reservetank dienen. «Unser Stoffwechsel», schreibt Pontzer weiter, «wurde in Millionen Jahren Evolution nicht für einen strandtauglichen Bikinikörper geschaffen, sondern um zu überleben und sich fortzupflanzen.»
Der höhere Energieverbrauch und die Fettreserven sind eine evolutionäre Anpassung des Menschen an seinen aufwendigen Lebensstil, schreibt Pontzer in einem aktuellen Aufsatz im Magazin «Scientific American». Wir haben grössere Gehirne, wir können mehr Nachkommen gebären, und wir werden auch deutlich älter als unsere nächsten Verwandten. All das kostet Energie in Form von mehr Kalorien, die wir zu uns nehmen müssen. Konzessionen machte die Evolution bei uns dafür im Verdauungstrakt, der kürzer ist als bei Menschenaffen, und mit einer kleineren Leber.
Dieser Text erschien erstmals im Februar 2023 und wurde 2024 aktualisiert.
Herman Pontzer: Burn – The Misunderstood Science of Metabolism (nur auf Englisch), diverse Verlage, ab ca. 20 Fr., E-Book ab 10 Fr.
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