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Meinung

Kommentar zur Kritik am Konzern
Warum Nestlé weiter in Russland bleiben muss

Der ukrainische Präsident bei seiner Videoansprache auf dem Berner Bundesplatz am 19. März 2022. Dort forderte Wolodimir Selenski einmal mehr den kompletten Rückzug von Nestlé aus Russland. 
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Was ist wichtiger: eine gut geheizte Wohnung oder Frühstücksflocken? Solche Fragen stellen sich nur in existenziellen Zeiten, und die Antwort ist klar: Essen geht vor. Dennoch entzündet sich der Zorn der Ukraine und des Westens momentan an Nestlé.

Der Aktionärinnen- und Aktionärsverband Actares weiss bereits von Aktienbesitzern, die den Verkauf ihrer Anteile erwägen. Denn: Der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern liefert nach wie vor Grundnahrungsmittel nach Russland und produziert auch in seinen dortigen Werken weiter. Was er tut, ist jedoch genau das Richtige. 

«Geld mit dem Geschmack des Todes»: Plakat an der Ukraine-Kundgebung in Bern. 

Cerealien und Babymilchpulver stehen nicht auf der Sanktionsliste. Sie dürfen, ja müssen weiter nach Russland geliefert werden. Denn das humanitäre Völkerrecht unterscheidet zum Glück zwischen Zivilisten und Kombattanten: Das heisst, die russische Bevölkerung muss versorgt werden, egal, wie lange der Krieg dauert, egal, wie sehr Präsident Wladimir Putin auch das Völkerrecht missachtet. 

Nestlés Beitrag zur Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine ist lächerlich gering: Der Konzern zahlt in Russland jährlich umgerechnet deutlich unter 100 Millionen Franken an Steuern. Wenn Nestlé Russland boykottieren würde, würde dies nur die Bevölkerung treffen, nicht aber Putin.

Der Streit um Nestlé lenkt von der eigentlichen, heiklen Frage ab: Sind wir bereit, in kürzester Zeit unseren Energiebedarf herunterschrauben?

Die Sanktionen müssten stattdessen bei russischem Gas und Öl ansetzen. Dort also, wo es dem Westen wehtut – und auch Putin. Denn die täglich rund 1 Milliarde Franken, die Russland vom Westen für Energielieferungen in harten Dollar erhält, spielt die entscheidende Rolle für die Kriegskasse. 

Der Streit um Nestlé lenkt von der eigentlichen, heiklen Frage ab: Sind wir bereit, in kürzester Zeit unseren Energiebedarf herunterzuschrauben? Auf Annehmlichkeiten und auf einen Teil des Wirtschaftswachstums zu verzichten? Ohne russische Energie- und Rohstofflieferungen würde die Schweizer Wirtschaft im laufenden Jahr um 1,1 Prozent statt 2,8 Prozent wachsen, wie Berechnungen des Staatssekretariats für Wirtschaft zeigen. Das Wachstum fiele in diesem Negativszenario sogar noch über dem der Corona-Krise aus.

Es gibt ein Menschenrecht auf Nahrung. Ein Menschenrecht auf eine 23 Grad warme Wohnung gibt es nicht.

Der frühere Nestlé-Chef Peter Brabeck sagte einmal mit Blick auf die Wasserversorgungsfrage: «Es gibt ein Menschenrecht auf Wasser, aber nicht auf einen gefüllten Swimmingpool.» Der Konzern hat sich inzwischen zwar zum Teil aus dem Wassergeschäft verabschiedet, doch Brabecks Abwägung ist in leichter Abwandlung hochaktuell: Es gibt ein Menschenrecht auf Nahrung. Ein Menschenrecht auf eine 23 Grad warme Wohnung (und einen beheizten Pool) gibt es nicht. Und auch nicht auf ungebremstes Wirtschaftswachstum, wenn durch die dafür benötigten Energieressourcen Kriege finanziert werden.