Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Prozess gegen Ghislaine Maxwell
Warum Frauen zu Täterinnen werden

Schuldig gesprochen: Die Ex-Partnerin von Jeffrey Epstein, Ghislaine Maxwell, auf einer früheren Aufnahme.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Bewegt hat der Missbrauchsskandal um den schwerreichen Finanzinvestor Jeffrey Epstein schon immer: Es ging um Macht, Geld, menschliche Abgründe. Doch seit aus dem «Fall Epstein» – der verurteilte Sexualstraftäter ist seit gut zwei Jahren tot – der «Fall Maxwell» geworden ist, treibt er die Menschen noch stärker um. Weil das gewohnte Schema «weibliches Opfer, männlicher Täter» hier nicht zutrifft. Ghislaine Maxwell, eine gebildete, wohlhabende Dame aus der New Yorker Gesellschaft, ist von einem Gericht des sexuellen Menschenhandels mit Minderjährigen schuldig gesprochen worden. Möglicherweise wird sie den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen.

So einzigartig, wie Ghislaine Maxwells Fall auf den ersten Blick scheint, ist er nicht: Wie der «Global Report» der UNO von 2020 zeigt, waren 2018 weltweit fast 40 Prozent der wegen Menschenhandels verurteilten Personen Frauen. Studien legen nahe, dass im Menschenhandel tätige Frauen eher Handlangerinnen als Haupttäterinnen sind und bei der Rekrutierung der Opfer mitwirken.

Das ändert nichts daran, dass Frauen in der allgemeinen Kriminalstatistik deutlich untervertreten sind. Entsprechend schwer tut sich die Öffentlichkeit mit Täterinnen. Die Wiener Medizinerin und forensische Psychiaterin Sigrun Rossmanith, die im vergangenen Jahr im Buch «Täterin» Gewalttaten von Frauen aufgearbeitet hat, erzählt im Podcast der deutschen Ärztezeitung, wie sie wegen ihrer Forschung teilweise angefeindet werde. Erst in den letzten Jahren sei im deutschsprachigen Raum das Interesse an Straftäterinnen erwacht. Doch als Europol vor zwei Jahren mit der Kampagne «Crime Has No Gender» auf Verbrecherinnen aufmerksam machte, wurde der EU-Strafverfolgungsbehörde Realitätsverzerrung vorgeworfen.

Maxwell diente Financier und Sexualstraftäter Jeffrey Epstein als Zuhälterin.

Laut Expertinnen und Experten gibt es mehrere Gründe, warum Frauen sich zu Gehilfinnen von Sexualtätern machen: Häufig angeführt wird die These, dass Sexualtäterinnen einst selbst Missbrauch erlebt hätten und der Wechsel von der Opfer- in die Täterrolle ihr eigenes Leiden lindere. Eine weitere Deutung ist jene der Täterin, die aus einer Abhängigkeit handelt: Weil sie finanziell oder psychisch an den Mann gebunden ist, hat sie keine andere Wahl, als sich zu seiner Gehilfin zu machen. Beide Erklärungen wurden in Bezug auf Maxwell kürzlich im «Spiegel» von der renommierten britischen Psychologieprofessorin Coral Dando geäussert.

Nicht zu vergessen sei aber eine dritte Option, sagt Dando: dass Maxwell schlicht aus Eigennutz oder eigenem sexuellen Interesse mitgemacht habe. «Manche Frauen sind einfach bösartig – genauso wie manche Männer.»

Den Erklärungen, warum Frauen Sexualstraftaten begehen, liegt oft eine stark psychologisierende Haltung zugrunde, welche den Täterinnen implizit auch eine Opferrolle zugesteht. Diese Tendenz, Frauen keine schweren Straftaten zuzutrauen, kann gefährlich sein, wie das Beispiel von Ghislaine Maxwell zeigt: Mehrere Zeuginnen sagten vor Gericht aus, sie hätten ihr als Geschlechtsgenossin vertraut.

Es gibt in der Kriminalgeschichte mehrere Beispiele von Frauen, die Sexualstraftätern geholfen haben, Opfer zu missbrauchen oder gar zu töten.

Die Schauspielerin und die Sex-Sekte

Die Schauspielerin Allison Mack hat Frauen für die kultähnliche Sekte NXIVM rekrutiert und zu Sexsklavinnen gemacht.

Vor kurzem erregte ein ähnlich prominenter Fall wie jener von Maxwell Aufsehen. Im Juni wurde die US-amerikanische Schauspielerin Allison Mack wegen ihrer Schlüsselrolle in einer Sex-Sekte zu drei Jahren Haft verurteilt. Mack, bekannt durch ihre Rolle als Chloe Sullivan in der Superman-Serie «Smallville», war seit 2006 Teil der kultähnlichen Gruppe namens NXIVM.

2018 wurde Mack verhaftet, nachdem ans Licht gekommen war, dass sie über mehrere Jahre Frauen manipuliert und zu «sexuellen Sklavinnen» des spirituellen Anführers der Sekte, Keith Raniere, gemacht hatte. Gemäss der Anklage wurden einige der Opfer mit den Initialen von Raniere und Mack gebrandmarkt und dazu gezwungen, den Anführern regelmässig kompromittierendes Material wie etwa Nacktfotos zu geben.

Weil sich Mack schuldig bekannte, mit den Behörden kooperierte und sich bei den Opfern entschuldigte, fiel die Strafe gering aus. «Es tut mir leid, dass ich euch den ruchlosen und emotional missbrauchenden Plänen eines kranken Mannes ausgesetzt habe», schrieb die 39-Jährige in einem Brief.

Der Fall Dutroux

Michelle Martin wird von belgischen Medien «das Rätsel» genannt. Sie diente ihrem Mann Marc Dutroux bei der Entführung, Vergewaltigung und Ermordung von mehreren Mädchen als Komplizin.

Die Belgierin Michelle Martin übernahm hingegen nie Verantwortung für ihre Taten. Martin diente ihrem Ehemann, dem Mörder und Sexualstraftäter Marc Dutroux, über Jahre hinweg als Komplizin. Dutroux entführte, vergewaltigte und tötete in den 90er-Jahren mehrere Mädchen.

«Mit ihm fühlte ich mich zum ersten Mal frei und lebendig», sagte die heute 61-Jährige später über ihre Beziehung. Gleichzeitig stellte sie sich vor Gericht als Opfer dar, das Dutroux hörig war und nur aus Angst vor ihm und zum Schutz ihrer drei gemeinsamen Kinder bei seinen Gewalttaten mitmachte. Doch Martin fuhr mit ihrem Mann im Entführerauto herum und ging mit auf Kindersuche. Als Dutroux wegen Autodiebstahls einige Wochen hinter Gittern sass, liess sie zwei entführte Mädchen im Kellerverlies ihres Hauses verhungern. Die Komplizin rechtfertigte sich, indem sie die Kinder als «Ungeheuer» bezeichnete.

Die «Ken-und-Barbie-Killer»

Karla Homolka gab sich gegenüber der Polizei als Opfer ihres Mannes aus.

Ein Beispiel, in dem das Opfer zur Täterin wurde, ist der Fall der Kanadierin Karla Homolka, die mit dem Sadisten Paul Bernardo verheiratet war. Das Paar, das später als «Ken-und-Barbie-Killer» bekannt wurde, heiratete 1990. In jener Zeit vergewaltigte Bernardo 13 junge Frauen, auch Homolka missbrauchte er physisch und psychisch. Dennoch ermutigte seine Frau sein sadistisches Sexualverhalten. 1990 half sie Bernardo, ihre eigene Schwester unter Drogen zu setzen und zu vergewaltigen. Auch Homolka verging sich an der 15-Jährigen, die nach der Tat starb. Später missbrauchte und tötete das Paar drei weitere Mädchen.

1993 wurde Bernardo anhand von Speichelproben überführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Homolka von ihm getrennt, nachdem er sie spitalreif geprügelt hatte. Sie begann mit der Polizei zu kooperieren, stellte sich jedoch als Opfer und Sexsklavin ihres Mannes dar. Während Bernardo zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, entging Homolka einer Mordanklage und wurde wegen Totschlags in zwei Fällen zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Videobänder, die Homolka als aktive Täterin zeigten, wurden erst nach der Verurteilung gefunden.