Sturm aufs brasilianische ParlamentBolsonaros Chaoten hatten es leicht – dank Architekt Niemeyer
Die Aufständler in Brasília profitierten von der Bauweise des Parlamentsgebäudes. Die Chaoten in Washington mussten 2021 grössere Hindernisse überwinden.
Am Ende gewinnt, wer lauter protestiert. Der Sturm von Anhängern des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro auf das brasilianische Regierungsgebäude in der Hauptstadt Brasília war ein bedenkliches Zeichen: Was gelten Wahlen noch, wenn Verlierer sie nicht akzeptieren?
Vor allem aber ist es ein zynischer Zufall der Geschichte, dass die Wahlleugner in Brasília bei ihrem Parcours durch die Hindernisse der Demokratie ausgerechnet von der offenen, flachen Bauweise des grossen brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer profitierten.
Niemeyer hiess eigentlich Oscar de Almeida Soares, nahm erst später den Nachnamen seiner deutschen Grosseltern an. Vor allem aber erschuf er aus der Inspiration von europäischer Klassik und amerikanischer Vision einen ganz eigentümlichen Stil.
Ganz Washington ist nach europäischem Vorbild gebaut
Mit dem französischen Kollegen Le Corbusier entwarf er in den 40er-Jahren das UNO-Hauptgebäude in New York. Die fast ausschliesslich aus seinen Ideen entstandene Planstadt Brasília wurde dann Ende der 50er-Jahre sein «Opus magnum», das ab 1987 auch zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Niemeyer hatte ein luftiges, zugängliches Gelände errichten lassen, mit Gebäuden aus viel Glas und Stahlbeton, mit einer untereinander verknüpften Triade aus Kongress, Präsidentenbüro und Gerichtshof als einer Art Campus der Demokratie.
Die Bilder vom vergangenen Sonntag haben diese Vision zerstört. Und natürlich gleichen sie den Eindrücken aus Washington vom 6. Januar 2021, mit scherbenreichen Böden in demolierten Büros, zerrupften Parlamentssitzen und einer Masse von verqueren Gestalten, die sich mit Fellmütze und in Nationalfarben zu einem zweifelhaften, temporären Weltruhm pöbeln.
Architektonisch aber hatten die Krawall-Kollegen unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen. Im amerikanischen Regierungsviertel dominieren Sandstein und Säulen aus Marmor, es gibt steile Treppen und hohe Fassaden. Der District of Columbia – bekannt als Washington D.C. – ist rund 150 Jahre vor Brasília entstanden.
Der damalige US-Präsident George Washington hatte seinen Freund, den Franzosen Pierre L’Enfant, mit der Stadtplanung beauftragt, der wiederum orientierte sich am Schloss Versailles und am Regierungsviertel der früheren Grafschaft in Karlsruhe, dem Karlsruher Fächer. L’Enfants Pläne wurden zwar später verändert, die europäische, klassizistische Bauweise aber blieb bestehen.
Daneben wirkte Niemeyers Brasília gerade nach dem Ende der Militärdiktatur in den 80er-Jahren eine Zeit lang wie eine Projektionsfläche für einen weltoffenen, modernen Staat. Mit dieser Idee war es aber bald wieder vorbei. Das Land kämpft heute gegen schwindende Konjunktur und Korruption – und gemeinhin gegen eine Gewaltkultur, die sich im nationalen Bewusstsein verankert hat.
Insofern sind sie sich ja doch ganz nah, Brasilien und die USA.
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