Wahlkampf in ÖsterreichDie Rechtspopulisten wollen an die Macht
In sechs Wochen wird in Österreich ein neues Parlament gewählt. In den Umfragen liegt die FPÖ vorne. Wird deren Chef Herbert Kickl gar Kanzler?
Die Sommerferien in den meisten österreichischen Bundesländern dauern noch bis Anfang September, aber die politischen Parteien in der Hauptstadt arbeiten schon auf Hochtouren. In knapp sechs Wochen wird in dem Land mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ein neues Parlament gewählt, und die Nervosität wächst. Denn dann könnte sich ereignen, was sich in zahlreichen EU-Staaten in den vergangenen Monaten vollzog: ein deutlicher Rechtsruck.
Die in Teilen rechtsextreme FPÖ unter ihrem Parteichef Herbert Kickl (lesen Sie hier ein Porträt über Kickl) ist in Umfragen so stark wie nie; sie liegt bei 30 Prozent. Indes könnte der FPÖ in Österreich demnächst ein Koalitionspartner fehlen: zu hetzerisch, zu verschwörungsverliebt, zu Russland-freundlich, heisst es. Allerdings müssen Absagen an eine Zusammenarbeit bekanntlich am Ende nichts gelten, wenn keine anderen Optionen in Sicht sind oder der Drang zur Regierungsbeteiligung zu gross wird.
Koalition nach Rücktritt von Sebastian Kurz
Seit 2019 regieren in Wien die Konservativen mit den Grünen; damals hatte der 2021 zurückgetretene Kanzler Sebastian Kurz nach dem Skandal um das Ibiza-Video seine zweijährige Zusammenarbeit mit der FPÖ aufgekündigt und vorgezogene Neuwahlen ausgerufen. Die darauffolgende schwarz-grüne Koalition wurde von ihren Protagonisten als das «Beste aus zwei Welten» beworben.
Allerdings war die Kooperation von Beginn an von Machtkämpfen geprägt. Politische Alleingänge überschatteten die vergangenen Jahre ebenso wie unterschiedliche Positionen zur Migrations- und Asylpolitik.
Kaufte die ÖVP positive Inserate mit Steuergeldern?
Auch zahlreiche Korruptionsverfahren, die in der Folge des Ibiza-Skandals (lesen Sie hier über den Macher des Ibiza-Videos) von der Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen die FPÖ, vor allem aber gegen die ÖVP in Gang gesetzt wurden, belasteten die Koalition nachhaltig. Die Vertreter der Grünen agierten in mehreren parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wie Oppositionsparteien – und hielten der ÖVP regelmässig das Verhalten ihres ehemaligen Politstars Sebastian Kurz vor.
Diesem wird unter anderem vorgeworfen, mithilfe von Steuergeld Inserate in Boulevardmedien finanziert und damit den Abdruck geschönter politischer Umfragen und positiver Artikel erkauft zu haben. Die Ermittlungen laufen.
Das Zerwürfnis zwischen den bisherigen Regierungspartnern ist so gross, dass eine weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen wird. Bislang schliesst die konservative ÖVP, die in Umfragen zwischen 22 und 25 Prozent liegt, jedoch auch ein Zusammengehen mit den Rechtspopulisten nach der Wahl aus. Die Begründung: Mit einem Parteichef Kickl, der «sich radikalisiert» habe und der ein «Sicherheitsrisiko» sei, so Kanzler Karl Nehammer, sei «kein Staat zu machen».
Sehr kategorisch ist Nehammers Nein aber nicht. In zahlreichen Interviews nach der Europawahl, bei der die ÖVP zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 verlor, betonte er, die «eine Seite der Partei» sei Kickl, die FPÖ sei aber grundsätzlich viel breiter. Werde Kickl von der FPÖ-Spitze abberufen oder dränge dieser nicht auf ein Ministeramt in einer künftigen Regierung, sehe die Sache anders aus.
So oder so ist die Forderung nach einem Führungswechsel bei der politischen Konkurrenz nur eine Variante unter diversen Koalitionsspekulationen. Es gilt in Wien derzeit als ausgemacht, dass eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ und den liberalen Neos die wahrscheinlichste Kombination ist – zumindest solange die Sozialdemokraten die Konservativen nicht überholen und selbst den Kanzler stellen wollen.
Die Neos unter ihrer Parteichefin Beate Meinl-Reisinger liegen in Umfragen bei zehn Prozent und könnten einer schwarz-roten Kombination zur Stimmenmehrheit im Parlament verhelfen.
Unter Andreas Babler stagnierte die SPÖ
Dass der vor einem Jahr neu an die Parteispitze gewählte Andreas Babler die SPÖ zu neuen Höhenflügen führt, halten Politikanalysten für höchst unwahrscheinlich. Unter Babler, der die tief zerstrittene Partei aus ihrem Tief herausholen wollte, stagnierte die traditionsreiche SPÖ bei der Europawahl auf niedrigem Niveau. Derzeit liegt die SPÖ zwischen 21 und 23 Prozent und damit an dritter Stelle.
Könnte also die FPÖ den Kanzler stellen? Ihre Vertreter arbeiten mit den völkischen, rassistischen «Identitären» zusammen und arbeiten sich an den «Eliten», «Einheitsparteien» und dem «System» ab. Kickl hat in allen bisherigen Interviews vor der anstehenden Wahl betont, er wolle «Volkskanzler» werden – und damit einen in der NS-Zeit geprägten Begriff verwendet. Der FPÖ-Chef geht davon aus, dass die ÖVP umkippt: Bei der Absage an eine Koalition mit seiner Partei habe er ein «gewisses Déjà-vu», so der FPÖ-Chef. «Ich habe das schon sehr oft gehört. Es ist immer anders gekommen.»
Tatsächlich regiert die FPÖ ausser in Oberösterreich derzeit auch in Niederösterreich und Salzburg mit, deren Landeshauptleute vor den jeweiligen Wahlen eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten als undenkbar bezeichnet hatten. Mit der ÖVP hat man laut Kickl die meisten Gemeinsamkeiten. «Kein Wunder, die schreiben ja alles ab.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.