Wahlkampf in den USAJoe Biden setzt auf Attacke
Der US-Präsident hat lange gehofft, eine Schlammschlacht mit Donald Trump vermeiden zu können. Zum Auftakt seiner Wahlkampagne geht er auf seinen Rivalen los – mit einer klaren Botschaft.
Für Joe Biden war Donald Trump lange der, dessen Name nicht genannt werden darf. So erschien es zumindest, denn es war bemerkenswert, wie der US-Präsident es vermied, seinen Vorgänger und Rivalen zu erwähnen. Er sprach über alles Mögliche, über die Wirtschaft, über die Infrastruktur, über Waffengesetze, über die Grenze, manchmal auch übers Wetter oder seine Familie. Nur über Trump, den Elefanten im Raum, sprach er fast nie.
Diese Zeit ist vorbei. Am Wochenende hat Joe Biden in Pennsylvania mit einer programmatischen Rede den Auftakt des Wahljahres 2024 markiert, und es ist seither klar, dass sein Wahlkampf zu einem wesentlichen Teil daraus bestehen wird, den Namen Trump auszusprechen. Wieder und wieder.
Starke Wirtschaft genügt nicht für Wahlkampf
Dass Biden es so lange vermieden hat, Trump direkt anzugreifen, lag daran, dass er hoffte, eine persönliche Schlammschlacht vermeiden zu können. Er glaubte, mit der starken Wirtschaft bei den Wählerinnen und Wählern punkten zu können. Allein im Dezember sind am US-Arbeitsmarkt 216’000 neue Jobs entstanden, die Arbeitslosenquote liegt bei lediglich 3,7 Prozent.
Zudem wollte sein Team mit dem Thema Abtreibung mobilisieren, da es in vielen republikanisch geführten Bundesstaaten immer schwieriger wird, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Dieses Thema hat den Demokraten bei den Zwischenwahlen im Jahr 2022 viele Stimmen gebracht.
Es wird allerdings in den Umfragen immer deutlicher, dass die Wählerschaft der gut laufenden Wirtschaft offenbar kaum Beachtung schenkt. Die Benzinpreise sinken, die Inflation ebenso, die Löhne steigen, doch es scheint, als machten die Amerikanerinnen und Amerikaner dafür nicht Bidens Regierung verantwortlich. Die Zustimmungswerte des Präsidenten sind miserabel. Ähnlich schlecht stand nur Jimmy Carter vor den Wahlen im Jahr 1980 da, die er gegen den Republikaner Ronald Reagan deutlich verlor.
Biden: Trump ist Agitator und Umstürzler
Daher also der Strategiewechsel, der Übergang zur offenen Attacke auf Trump. Biden machte Trump in seiner Rede direkt für den Sturm aufs Capitol am 6. Januar 2021 verantwortlich. Dieser habe mit seinen Lügen bewusst einen Mob angestachelt. Er beschrieb Trump als Agitator und Umstürzler, als Politiker, der sich selbst über das Gesetz stelle. (Lesen Sie zum Capitol-Sturm auch den Artikel «Drei Jahre danach – Zwischenbilanz der juristischen Aufarbeitung».)
Was Biden sagt, ist keine neue Feststellung. Neu ist hingegen, dass sie im Zentrum von Bidens Wahlkampf stehen wird. Er will die Wahl im November 2024 als eine beschreiben, in der es um die Zukunft der amerikanischen Demokratie geht.
«Wir sind heute hier, um die wichtigste Frage zu beantworten», sagte er: «Ist die Demokratie immer noch unser Allerheiligstes?» Dies sei keine rhetorische, akademische oder hypothetische Frage. «Ob die Demokratie noch immer unser Allerheiligstes ist – das ist in diesen Zeiten die drängendste Frage. Es ist die Frage, um die es bei den Wahlen 2024 gehen wird.» Mit anderen Worten, das wollte er sagen: Wählt Trump, und die Zeiten der Demokratie sind vorbei.
Trump ist bekannt dafür, dass er in seinen Reden Anekdoten erzählt, die eindeutig erfunden wirken. Gern spricht er davon, wie er hinter der Bühne «starke Männer» treffe, die noch nie in ihrem Leben geweint hätten, die nun aber ihm mit Tränen in den Augen für alles dankten, was er für sie und das Land getan habe. Spötter nennen diese Geschichten «Sir-Storys», weil die starken, weinenden Männer ihr Lobpreis in Trumps Erzählungen mit dem Wort «Sir» beginnen.
Biden erzählte nun in seiner Rede eine Geschichte, die auch ein wenig nach einer «Sir-Story» klang. Er sagte, dass Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt – und er kenne sie quasi alle – ihm oft im Privaten die Hand auf den Arm legten und sagten: «Er kann nicht gewinnen. Das wäre auch für uns schlecht.» Im globalen Westen ist Trump gefürchtet. Doch in anderen Teilen der Welt sieht man einer zweiten Amtszeit Trumps mit weniger Skepsis entgegen.
Einige Zeit seiner Rede verwandte Biden daher darauf, Trumps unzweifelhaft bestehende Bewunderung für Autokraten und Diktatoren zu beschreiben. Er erinnerte daran, wie Trump sich bestens mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un zu verstehen schien, mit Wladimir Putin und Xi Jinping, während er zugleich die Verbündeten in der Nato permanent unter Druck setzte und den Austritt aus dem Bündnis in den Raum stellte.
Trump bezeichnet Capitol-Gewalttäter als Patrioten
Trump hat seine Rhetorik im US-Wahlkampf zuletzt zugespitzt. Von seinen Gegnern sprach er als «Ungeziefer». Er hatte angekündigt, am ersten Tag einer neuerlichen Präsidentschaft ein Diktator sein zu wollen, um das Land auf einen neuen Kurs zu setzen.
Die Umstürzler vom 6. Januar 2021 nennt er «Patrioten», und von denen, die wegen ihrer Taten im Gefängnis sitzen, spricht er als «politische Gefangene» und «Geiseln». Mehrmals stellte er in Aussicht, sie als Präsident begnadigen zu wollen. «Es gibt keinen Zweifel daran, wer Trump ist oder was er zu tun beabsichtigt», sagte Biden, «wir alle wissen, wer Donald Trump ist. Die Frage ist: Wer sind wir?» (Lesen Sie auch den Artikel «Trump gibt sich schon jetzt siegessicher».)
Die republikanischen Vorwahlen nehmen mit einer Abstimmung in Iowa am 15. Januar Fahrt auf, die erste offizielle Vorwahl steht anschliessend am 23. Januar in New Hampshire an.
Persönliche Angriffe statt Sachthemen
Es ist gut möglich, dass Trumps Kampagne zu diesem Zeitpunkt schon so viel Momentum gewonnen hat, dass ihm die republikanische Kandidatur kaum noch zu nehmen ist. Derzeit konzentriert sich Trump darauf, seine republikanischen Mitbewerber Nikki Haley und Ron DeSantis auf Distanz zu halten.
Sobald das erledigt ist, was spätestens im März der Fall sein dürfte, wird er seine Attacken allein auf Joe Biden richten. Trump ist seit je unverdächtig, einen Wahlkampf über Sachthemen dem des radikalen persönlichen Angriffs vorzuziehen. Es sieht so aus, als habe Bidens Team beschlossen, ihm auf diesem Feld mit gleicher Münze zu antworten.
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