Sturm aufs CapitolDrei Jahre danach – Zwischenbilanz der juristischen Aufarbeitung
Hunderte Beteiligte sind verurteilt worden, viele von ihnen zu Haftstrafen. Dutzende Verdächtige sind aber noch gar nicht identifiziert oder auf der Flucht. Eines der grössten Rätsel im Kontext der Ereignisse vom 6. Januar 2021 ist ebenfalls noch ungelöst.
Mitglieder von rechtsextremen Gruppen. Ehemalige Polizisten. Ein Olympia-Sieger im Schwimmen. Und aktive US-Soldaten. Sie und viele mehr sind wegen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Erstürmung des Kapitols in Washington vor drei Jahren bereits verurteilt worden. Viele Verfahren laufen aber noch. Einige haben noch nicht einmal begonnen. Schon jetzt handelt es sich um die grösste strafrechtliche Untersuchung in der amerikanischen Geschichte.
«Wir können Wahlen und Beratungen nicht durch Gewalt und Einschüchterung ersetzen», sagte Matthew Graves, Staatsanwalt für den Bundesdistrikt Washington, am Donnerstag vor Reportern. Drei Jahre ist es nun her, dass die Bevölkerung live im Fernsehen mitverfolgen konnte, wie ein wütender Mob gewaltsam in den Sitz des Parlaments eindrang. Einige der Beteiligten haben ihre Strafe inzwischen abgesessen. Doch bis heute kommt es regelmässig auch zu neuen Festnahmen. Mehr als 80 Verdächtige werden aktuell noch gesucht.
Über 1200 Personen angeklagt
Die Fälle werden im selben Gerichtsgebäude verhandelt, in dem sich im März auch Donald Trump persönlich verantworten muss. Dem Ex-Präsidenten wird vorgeworfen, im Vorfeld des Angriffs versucht zu haben, den Ausgang der Wahl, bei der er gegen den Demokraten Joe Biden verloren hatte, zu kippen. Anhand einer Zwischenbilanz wird deutlich, wie umfangreich und komplex die juristische Aufarbeitung ist.
Insgesamt wurden mehr als 1230 Personen angeklagt – manche nur wegen kleinerer Vergehen wie Hausfriedensbruch, viele aber auch wegen schwerer Straftaten, einige wegen tätlicher Angriffe auf Polizisten oder «aufrührerischer Verschwörung». Etwa 730 Angeklagte bekannten sich laut einer Liste der Nachrichtenagentur AP schuldig, weitere 170 wurden in von Richtern oder Jurys entschiedenen Verfahren verurteilt. Nur zwei Personen wurden bisher von allen Anklagepunkten freigesprochen.
Etwa 750 Personen erhielten eine Strafe, knapp zwei Drittel von ihnen eine Haftstrafe – wobei die Spanne hier von wenigen Tagen bis hin zu 22 Jahren reicht. Die längste Gefängnisstrafe erhielt der ehemalige Anführer der rechtsextremen Gruppe Proud Boys, Enrique Tarrio. Der erste, der wegen Gewalt gegenüber Polizisten verurteilt wurde, Scott Fairlamb, ist bereits im vergangenen Juni aus dem Gefängnis freigelassen worden.
Mit Spannung wird derzeit auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gewartet, die Folgen für Hunderte Fälle haben könnte. Ein Angeklagter hatte die Zulässigkeit eines Anklagepunktes angefochten. Es geht um den Vorwurf der Behinderung eines behördlichen Verfahrens – gemeint ist die Unterbrechung der Sitzung des Kongresses zur Zertifizierung des Wahlsiegs von Biden an jenem Tag. Mehr als 300 der Angeklagten wird dieser Vorwurf zur Last gelegt. Die Verhandlungen in dieser Sache sind für März oder April angesetzt. Mit einer Entscheidung der Obersten Richter wird Anfang Sommer gerechnet.
Der Staatsanwalt Graves betonte derweil, dass Dutzende Menschen, die während des Sturms auf das Kapitol Sicherheitsbeamte angegriffen hätten, noch gar nicht identifiziert seien, und die Verjährungsfrist für diese Straftat bei fünf Jahren liege. Die Anklagen gegen sie müssten folglich spätestens am 6. Januar 2026 erfolgen. Mehrere Angeklagte seien zudem auf der Flucht.
Andere wurden wieder gefasst wie etwa das Proud-Boys-Mitglied Christopher Worrell. Er war nach einer Verurteilung wegen des Einsatzes von Pfefferspray-Gel gegen Polizisten aus dem Hausarrest geflüchtet und konnte erst Wochen später wieder festgenommen werden. Am Donnerstag wurde er schliesslich zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Offene Frage: Wer legte die Rohrbomben?
Die US-Bundespolizei sucht zudem seit Monaten etwa nach den Geschwistern Olivia und Jonathan Pollock. Für Hinweise, die zur Festnahme des Bruders führen, wurde sogar eine Belohnung von bis zu 30’000 Dollar ausgesetzt. Der Mann soll einem Polizisten ein Schutzschild gegen Gesicht und Kehle gerammt, einen anderen eine Treppe hinuntergezerrt und weitere geschlagen haben. Ein weiterer Verdächtiger, Evan Neumann, flüchtete zwei Monate nach seiner Anklage im Dezember 2021 aus den USA und soll sich derzeit in Belarus aufhalten.
Eines der grössten Rätsel im Zusammenhang mit den Ereignissen vor drei Jahren ist bis heute die Identität der Person, die einen Tag vor dem Sturm auf das Kapitol zwei Rohrbomben vor den Parteizentralen der Republikaner und der Demokraten ablegte. Obwohl die ausgesetzte Belohnung für entscheidende Hinweise in diesem Fall zuletzt auf 500’000 Dollar erhöht wurde, konnte bisher kein Verdächtiger gefasst werden. Zudem ist weiterhin unklar, ob überhaupt eine direkte Verbindung zwischen den beiden Rohrbomben und der Erstürmung des Kapitols besteht.
Die Sprengsätze wurden am Abend des 5. Januar zwischen 19.30 und 20.30 Uhr vor den beiden Gebäuden platziert, aber erst am Tag darauf entdeckt. Gegen 12.45 Uhr wurden Sicherheitskräfte zum Büro der Republikaner gerufen, kurz darauf wurde eine ähnliche Bombe vor dem Büro der Demokraten gefunden. Die Sprengkörper wurden entschärft. Niemand wurde verletzt.
Das FBI bat am Donnerstag erneut um Hinweise aus der Bevölkerung. Ein von der Bundespolizei veröffentlichtes Video zeigt eine Person mit einem grauen Kapuzenpullover, Gesichtsmaske und Handschuhen, die offenbar eine Rohrbombe unter eine Bank vor der Demokraten-Zentrale legt. In einem anderen Video ist dieselbe Person in einer Gasse in der Nähe der Zentrale der Republikaner zu sehen, unmittelbar bevor auch dort eine Rohrbombe abgelegt wurde. Die Person trug Schuhe vom Typ «Nike Air Max Speed Turf», schwarz und hellgrau, mit einem gelben Logo.
Die Ermittler hätten in den vergangenen drei Jahren Tausende Stunden damit verbracht, im Fall des Bombenlegers Zeugen zu befragen sowie Hinweise und Beweismittel zu überprüfen, betonte David Sundberg vom Büro des FBI in der Hauptstadt am Donnerstag in einer Stellungnahme per E-Mail. «Wir bitten alle, die bisher womöglich gezögert haben, sich zu melden, oder die sich nicht darüber im Klaren gewesen waren, dass sie über wichtige Informationen verfügen, uns zu kontaktieren.»
DPA/roy
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