Umstrittener US-PräsidentBidens Gegner aus dem eigenen Lager
Bei den Demokraten und ihren Unterstützern wächst die Zahl jener, die sich gegen den Präsidenten wenden – vor oder hinter den Kulissen.
CBS News lehnte sich am Donnerstagabend weit zum Fenster hinaus. «Dutzende von demokratischen Kongressabgeordneten», sagte das TV-Network voraus, «werden innert 48 Stunden von Präsident Biden fordern, dass er seinen Wiederwahlversuch aufgibt.»
So massenhaft wie erwartet wandten sich Mitglieder des Repräsentantenhauses aber nicht von ihrem Präsidenten ab. Bis Freitag gingen bloss 18 der 213 demokratischen Abgeordneten auf Distanz, während über 60 zu Biden hielten. Im Senat wurde sogar erst ein Mitglied abtrünnig.
Insgeheim hatten viele Parteifreunde gehofft, die Pressekonferenz vom Donnerstagabend würde die Frage klären, ob der 81-jährige Biden noch das Zeug für eine zweite Amtszeit hat. Zwei Wochen zuvor hatte eine TV-Debatte mit Donald Trump seine kognitiven Schwächen brutal offengelegt.
Biden bewältigte den Auftritt vor den Medien jedoch leidlich. Er nannte zwar seine Vizepräsidentin Trump und liess immer wieder Sätze ins Leere laufen, aber er bewies Stehvermögen und stellte seine aussenpolitische Kenntnis unter Beweis. Am Ende blieb die Frage von Bidens Wählbarkeit unbeantwortet – und seine Partei muss noch länger in der Ungewissheit ausharren.
Barack Obamas Rolle im Hintergrund
Viele Demokraten scheuen davor zurück, sich mit ihrem Anführer anzulegen. Aber das Camp der Biden-Skeptiker wächst. Das «inoffizielle Komitee zur Abwahl des Präsidenten», wie es die Website Axios taufte, umfasst neben den Kongressabgeordneten folgende Mitglieder:
Barack Obama zieht im Hintergrund die Fäden. Angeblich spricht sich Obama mit der Ex-Speakerin Nancy Pelosi ab. Er selbst kann Biden nicht offen brüskieren, denn dieser hat ihm nie verziehen, dass er 2015 nicht ihn, sondern Hillary Clinton als Kandidatin empfahl. Offener Druck seitens Obama wäre kontraproduktiv.
Obamas Getreue hingegen twittern mit scharfer Munition. Biden drohe, sein Vermächtnis zu zerstören, meinte Redenschreiber Jon Lovett. Der alte Mann, der sich seit zwei Wochen an die Macht klammere, «ist der arrogante und kleine Joe Biden … prahlerisch, defensiv, zornig, schwach». Obamas Chefberater David Axelrod wiederholt seit längerem, dass Biden aufgrund der Umfragesituation praktisch null Siegeschancen hat.
Grossspender halten sich zunehmend zurück
Politveteranen aus der Zeit Bill Clintons sind ebenso ungehalten. James Carville sagte CNN, an Biden festzuhalten wäre eine «idiotische Wahl für die Zukunft dieses Landes».
Grossspender der Demokraten halten sich zunehmend zurück. Am Freitag legten sie versprochene 90 Millionen Dollar auf Eis, bis Biden nicht mehr der Kandidat ist. Gegen den Präsidenten sprechen sich auch Netflix-Mitgründer Reed Hastings aus sowie Ari Emanuel, einflussreicher Chef der Agentur Endeavor.
Hollywood-Star George Clooney, der als einer der grössten «Fundraiser» in einem Zeitungskommentar den Präsidenten zum Rücktritt aufforderte – und dafür das Okay von Barack Obama holte –, folgte weitere Show-Prominenz. Gegen Biden sprachen sich unter anderen aus: Bob Reiner, John Cusack, Abigail Disney, Michael Douglas, Michael Moore, Stephen King, Sarah Haines, Barry Diller, Ashley Judd, Richard Branson. Auch Late-Night-Shows witzeln gegen Biden. Dieser habe so gut debattiert, sagte Stephen Colbert, «wie Abraham Lincoln, wenn man ihn heute ausbuddeln würde». Bereits letzte Woche hatte sich die «New York Times» gegen eine erneute Kandidatur Bidens ausgesprochen.
Der Präsident hat somit das gesamte Kulturestablishment, weite Teile der Medien und eine wachsende Zahl demokratischer Politiker gegen sich. Zu ihm halten vergleichsweise wenige:
First Lady Jill Biden stellt sich schützend vor ihn. Sie gilt als seine wichtigste Beraterin. Laut vielen Quellen mag sie das Leben im Weissen Haus. Sie spornt den Präsidenten aber auch zum Weitermachen an, weil ihr eine Stabübergabe an Vizepräsidentin Kamala Harris ein Greuel wäre. Angeblich hasst Jill Biden Harris, seit diese in einer Vorwahldebatte 2019 suggerierte, ihr Mann sei ein Rassist.
Noch hat Biden Argumente
Zu Bidens Unterstützern zählen auch langjährige politische Weggefährten wie Chefberater Mike Donilon, Stabschef Jeff Zientz und dessen Vorgänger Ron Klain. Überraschenderweise nicht von Biden abgefallen sind auch progressive Kongresspolitiker wie Alexandria Ocasio-Cortez oder der demokratische Senator Bernie Sanders. Grund: Biden hatte zwar als gemässigter Demokrat alter Schule kandidiert, setzte dann aber die Projekte der radikaleren Vordenker um, etwa in der Klimapolitik. Zudem kommen progressive Demokraten zumeist aus «tief blauen» Wahlkreisen und müssen deshalb nicht um die Wiederwahl zittern.
Die Unterstützung durch seine Vertrauten und das eigene Durchhaltevermögen erlaubten Biden, dem Sturm der Anfeindungen aus den eigenen Reihen vorerst zu widerstehen. In Umfragen sind seine Werte nicht ins Bodenlose abgekippt. Noch kann er argumentieren, niemand habe ihm direkt gesagt, dass er keine Chance auf einen Sieg mehr habe.
Am Freitag flog Biden nach Michigan und hielt, immer wieder vom Ruf «Don’t go, Joe!» unterbrochen, eine feurige Wahlkampfrede. Auch wenn der Präsident vom Teleprompter ablas, schien er doch wie verwandelt und mit mehr Energie ausgestattet als in den vergangenen Wochen. Das harsche Urteil aus Kreisen der Partei, die er als «Eliten» abtat, schien dem bodenständigen Politiker aus Scranton in Pennsylvania frische Kraft zu verleihen. Biden kritisierte die Medien, so wie es Trump gern tut, und als er den Ex-Präsidenten einen «verurteilten Verbrecher» nannte, skandierte die Menge: «Lock him up!» – schliesst ihn weg.
Wenn die Republikaner am Montag in Milwaukee ihren Parteikonvent eröffnen, kann Trump daher immer noch mit dem gealterten Präsidenten als Gegner rechnen. Susie Wiles, der Co-Chefin von Trumps Wahlkampfteam, ist das noch so recht. Dem Magazin «The Atlantic» sagte sie: «Joe Biden ist ein Geschenk.»
Vorerst bleibt also offen, ob der Präsident bis zum Konvent der Demokraten einen Monat später seine Wiederwahl aufgeben und Harris oder anderen Kandidaten Platz machen könnte. Das Wahlkampfteam des Präsidenten jedenfalls lässt sich nicht beirren. Dessen Chefin Jennifer O’Malley Dillon nannte am Freitag die Zeit seit der TV-Debatte «zwei sehr, sehr, sehr schwere Wochen, sehr schlechte Wochen». Das mache ihr Mut, verriet sie Axios. «Da wir diese zwei Wochen überlebt haben, können wir allem widerstehen.»
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