Wahlen in Bayern und HessenDie Berliner Ampelregierung wird abgestraft
Christdemokraten und AfD gewinnen, Sozialdemokraten, Grüne und FDP verlieren: Die «kleine Bundestagswahl» wird Kanzler Olaf Scholz das Regieren noch schwerer machen als bisher.
Deutschland fühlt sich mies. Angesichts von Krieg, Inflation und vielen anderen Krisen blicken derzeit vier von fünf Deutschen mit Sorge in die Zukunft. Eine derart geringe Zuversicht mass das Allensbach-Institut zuletzt zwischen 2003 und 2005 – in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit. Andere Umfragen zeigen, dass zur Halbzeit das Vertrauen in die Ampelregierung von SPD-Kanzler Olaf Scholz stärker gesunken ist als bei jeder Vorgängerin in der Geschichte der Bundesrepublik.
Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen, bei denen am Sonntag fast jeder vierte Deutsche zur Urne gebeten war, spiegelten diesen Unmut deutlich wider: Die oppositionellen Christdemokraten behaupteten ihre Dominanz in beiden Bundesländern deutlich, die rechtsradikale Alternative für Deutschland (AfD) gewann am meisten Stimmen dazu, die Berliner Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP verloren. Die Verschiebungen werden zur Folge haben, dass das Regieren in Berlin künftig noch schwerer werden dürfte als bisher.
Die CDU wertete die Verluste der Ampel am Abend vor allem als Niederlage des Kanzlers, den die Union spätestens bei der Bundestagswahl 2025 wieder von der Macht vertreiben will. Die Niederlagen seien eine Quittung für deren irregeleitete Klima- sowie eine unverantwortliche Asylpolitik.
CDU-Chef Friedrich Merz hatte schon zuvor angeboten, nach den Wahlen gemeinsam mit der Regierung das Asylrecht einzuschränken, um die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland deutlich zu verringern. Die irreguläre Migration gilt als wichtigster Grund für den steilen Aufstieg der AfD in den vergangenen Monaten. Laut Nachwahlbefragungen sagten in Bayern und Hessen 80 Prozent der Befragten, sie wünschten sich eine Wende in der Asylpolitik.
Besonders ernüchternd fiel der Wahlsonntag für die SPD aus. In Bayern (8,4 Prozent) wie in Hessen (15,1 Prozent) schnitt die Partei des Kanzlers so schlecht ab wie noch nie; in Bayern rangiert sie auf Platz 5, in ihrer alten Hochburg Hessen auf Platz 3. Dabei hatte die SPD dort eigens eine ihrer wichtigsten Regierungskräfte in den Wahlkampf geschickt, Innenministerin Nancy Faeser, um der CDU das Ministerpräsidentenamt abzujagen. Scholz hatte die heikle Doppelrolle ausdrücklich gebilligt.
Entsprechend wird Faesers Wahldebakel, das sich lange abgezeichnet hatte, nun auch als persönliche Pleite für den Kanzler gewertet. Nicht nur in der Opposition häuften sich am Wahlabend die Forderungen, Scholz müsse seine Innenministerin entlassen: Sie habe nicht mehr die Autorität, die nötige Wende in der Asylpolitik herbeizuführen. Scholz hat Faeser aber offenbar versprochen, an ihr festzuhalten.
Das ersehnte Glanzresultat deutlich über 40 Prozent gelang Markus Söder auch diesmal nicht.
Mit Spannung gingen die Blicke am Sonntag nach München, wo das Ergebnis der CSU von Ministerpräsident Markus Söder ja stets auch als Gradmesser für dessen Einfluss in der Union gilt: Mit 37 Prozent lag seine Partei am Ende noch einen Hauch unter dem historisch schlechten Ergebnis von 2018 – das ersehnte Glanzresultat deutlich über 40 Prozent gelang Söder auch diesmal nicht.
Allerdings hatte sich die CSU diesmal rechts von sich nicht nur der starken AfD, sondern auch der Freien Wähler zu erwehren, die dank Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger ein Rekordergebnis erzielten (15,8 Prozent). Angesichts der «mildernden Umstände» wird erwartet, dass Söders Appetit auf die Kanzlerkandidatur nach diesem Sonntag keineswegs erloschen ist.
In Hessen behauptete sich der eher farblose Boris Rhein (CDU), der erst vor 16 Monaten ins Amt kam, triumphal als Ministerpräsident (34,6 Prozent). Er kann nun wählen, ob er mit den Grünen weiterregieren oder neu mit der SPD koalieren möchte. CDU-Chef Merz, der zuletzt die Grünen als «Hauptgegner» bezeichnete und für den Bund eine schwarz-grüne Koalition ausschliesst, sähe Letzteres bestimmt lieber. Die Entscheidung darüber liegt aber letztlich nicht in Berlin, sondern in Wiesbaden.
Die Grünen hielten sich trotz deutlicher Verluste in Bayern (14,4 Prozent) und in Hessen (14,8 Prozent) insgesamt besser als die SPD. Gegen den Bundestrend, in dem die Ökopartei seit Sommer 2022 von 23 auf 14 Prozent gefallen ist, kamen sie aber trotz starken lokalen Personals erneut nicht an.
Die FDP wurde aus einem weiteren Landtag abgewählt: In Bayern (3 Prozent) scheiterte sie klar an der 5-Prozent-Hürde, in Hessen schaffte sie es gemäss vorläufigem Endergebnis auf exakt 5 Prozent. In Hessen hätte die Abwahl historischen Charakter gehabt: Seit 1946 war sie dort nämlich erst einmal nicht im Parlament vertreten – 1982, nach dem Koalitionswechsel im Bund von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl.
Die schmerzlichen Verluste werden den Druck auf Parteichef und Finanzminister Christian Lindner erhöhen, im Kabinett noch stärker gegen Grüne und SPD zu opponieren als bisher. Der Ampel droht also nicht nur verschärfter Streit, sondern noch mehr rasender Stillstand.
Die AfD mit neuem Rekord im Westen
Die AfD, die zuletzt auch mit möglichen Angriffen auf ihr Spitzenduo Alice Weidel und Tino Chrupalla Wahlkampf gemacht hatte, war die grösste Gewinnerin des Tages: In Hessen (18,4 Prozent) wie in Bayern (14,6 Prozent) erzielte sie ihre jeweils besten Resultate.
In Hessen, wo sie neu zweitstärkste Partei ist, pulverisierte sie zudem ihren bisherigen Rekord für eine Landtagswahl im Westen: 2016, mitten in der damaligen Flüchtlingskrise, hatte sie in Baden-Württemberg 15,1 Prozent der Stimmen geholt. Zugleich blieb sie aber in beiden Bundesländern immer noch unter dem aktuellen deutschlandweiten Durchschnitt von 21 Prozent Zustimmung.
Fehler gefunden?Jetzt melden.