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Wärme am Südpol
Kaum Meereis in der Antarktis – mitten im Winter

ANTARCTICA - FEBRUARY 18: An emperor penguin is seen on Horseshoe Island as Turkish scientists conduct fieldwork in Antarctica within 7th National Antarctic Science Expedition under the coordination of the Scientific and Technological Research Council of Turkiye (TUBITAK) MAM Polar Research Institute with the joint responsibilities of the Turkish Presidency and Turkish Ministry of Industry and Technology in Antarctica, on February 18, 2023. Emperor penguins, the world's largest penguin species, to decline by 26-47% by 2050 if global climate warming continues. The emperor penguin is the largest of his 18 species of penguins inhabiting the world, growing to about 120 centimeters in length and about 40 kilograms in weight. Species with a global population of over 500,000 are easier to hunt due to worsening global heat budgets, greenhouse gas and carbon emissions, and declining sea ice. At the same time, these penguins have difficulty finding food and the widespread impacts of climate change have severely hampered their chances of survival. (Photo by Sebnem Coskun/Anadolu Agency via Getty Images)
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Robbie Mallett hatte nicht erwartet, dass Wärme in der Antarktis für ihn ein besonderes Problem darstellen könnte. Der Meereisforscher hat gerade den Winter, der in der Antarktis von März bis Oktober dauert, in der britischen Forschungsstation Rothera verbracht. Dort wollte er das Meereis vor der Küste mit Laserscannern und anderen Instrumenten untersuchen. Doch dieses Jahr sei es so warm gewesen und das Meereis häufig so dünn, «dass es bei schlechtem Wetter wieder wegschmolz oder vom Wind weggetragen wurde», berichtet Mallett in einer E-Mail.

Solche Bedingungen machen die Arbeit auf dem Eis lebensgefährlich. Ein Instrument trieb mit einer abgebrochenen Eisscholle davon, zum Glück konnten es die Forscher mit einem kleinen Boot bergen, bevor es unterging. Oft konnte Mallett nur mit Ski und eingepackt in einen Überlebensanzug auf das Eis gehen – wenn überhaupt. Die meiste Zeit wich der Forscher auf einen Gletscher im Inland aus, um dort Messungen durchzuführen.

Zu wenig Eis in der Antarktis, und das mitten im Winter: Malletts Beobachtung ist zwar nur eine Momentaufnahme aus der Westantarktis, doch das Bild bestätigt sich aus dem All. Wie die Nasa bekannt gab, waren Mitte September, zum Höhepunkt der Eisbildung am Ende des südpolaren Winters, nur 17 Millionen Quadratkilometer im südlichen Ozean von Eis bedeckt, ein neuer Negativrekord seit Beginn der Satellitenmessungen.

Damit wurde der bisherige Tiefstand aus dem Jahr 1986 um rund eine Million Quadratkilometer unterboten, was etwa der Fläche von Deutschland, Frankreich und den Beneluxstaaten zusammen entspricht. Zu einem durchschnittlichen Wert fehlt sogar eine Fläche in der Grössenordnung Argentiniens. «Das Meereiswachstum scheint um fast den gesamten Kontinent herum gering zu sein, nicht nur in einer Region», betont der Nasa-Meereisforscher Walt Meier in einer Mitteilung.

Für die Ökosysteme der Antarktis ist das keine gute Nachricht. Unter dem Meereis findet der Antarktische Krill Schutz und Nahrung, vom Wachstum des Eises auch hängt das Wachstum des Phytoplanktons ab, Grundlage vieler Nahrungsketten. Pinguine brauchen das Meereis, um zu brüten, Robben, um darauf auszuruhen. Wie ein Stützpfeiler bewahrt das Meereis ausserdem viele Gletscher der Antarktis davor, ins Meer abzugleiten. So bremst es den Anstieg des Meeresspiegels.

Die Wissenschaft sei sich noch nicht über die Ursachen einig.

Zitat aus Meereisportal des AWI

Dabei schien die Antarktis lange dem Klimawandel zu widerstehen. Während das Meereis auf der anderen Seite der Erde in der Arktis seit 1979 recht kontinuierlich geschrumpft ist, wuchs es in der Antarktis noch jahrzehntelang, durchaus zum Erstaunen von Klimaforschern. Noch 2014 wurde sogar ein neuer Rekord gemessen, mehr als 20 Millionen Quadratkilometer waren da in der Spitze von Eis bedeckt.

Doch dann schmolz innerhalb weniger Jahre in etwa so viel Meereis weg wie in der Arktis in drei Jahrzehnten. Und dieses Jahr sticht noch einmal besonders hervor. Bereits im Februar, am Ende des antarktischen Sommers, waren nur noch zwei Millionen Quadratkilometer Meeresfläche vereist, so wenig wie noch nie seit Beginn der Satellitenmessungen. Seitdem hat sich viel weniger Eis als sonst erneuert, kein gutes Vorzeichen für die nun beginnende Schmelzperiode.

Wie lässt sich diese Trendwende innerhalb weniger Jahre erklären? «Die Wissenschaft ist sich hier noch nicht über die Ursachen einig», heisst es dazu auf dem Meereisportal des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung. Während in der Arktis die atmosphärischen Bedingungen, also etwa die Lufttemperaturen, entscheidend für die Entwicklung des Eises sind, sei in der Antarktis der Einfluss des Ozeans mindestens genauso gross.

In neuen Zustand gekippt

«Für den aktuell langsameren Wachstumsprozess und damit die geringere Meereisausdehnung in der Antarktis spielen viele Faktoren eine Rolle, nicht nur wärmere Luft oder wärmere Wassermassen, sondern auch Strömungen, Winde oder die Luftfeuchte und die Bewölkung.» Bislang sei unklar, wie sich diese Faktoren im Einzelnen verändert hätten.

Einige Vermutungen gibt es aber. Im Fachblatt «Communications Earth & Environment» stellten die australischen Klimaforscher Edward Doddridge und Ariaan Purich kürzlich die These auf, dass die Antarktis in einen neuen Zustand gekippt sei. Die Entwicklung seit Beginn der Satellitenmessungen teilen sie in drei Phasen ein: Auf eine «neutrale Periode» von Ende der 1970er-Jahre bis 2007 sei eine Phase mit vergleichsweise viel Meereis gefolgt. Etwa ab dem Jahr 2016 befinde sich die Antarktis in einem neuen Zustand, geprägt von sehr wenig Meereis.

Seltsam ist jedoch, dass diese Veränderungen nicht in Verbindung zu Klimaphänomenen wie El Niño, der Antarktischen Oszillation oder der Pazifischen Dekaden-Oszillation zu stehen scheinen, die üblicherweise das Meereis beeinflussen. Purich und Doddridge vermuten stattdessen, dass die Erwärmung des Ozeans rund um die Antarktis entscheidend war. Dass der südliche Ozean sich immer weiter aufheize, sei «primär auf ansteigende Treibhausgase» zurückzuführen, also den vom Menschen verursachten Klimawandel.

Das Meereis vor der Forschungsstation Rothera in der Westantarktis.

Rätsel also gelöst? So einfach ist es nicht. Unklar ist zum Beispiel die Rolle von Schmelzwasser für das Eis. Paradoxerweise kann schmelzendes Eis dazu führen, dass sich die Meereisfläche wieder stabilisiert. Denn das geschmolzene Frischwasser sammelt sich an der Meeresoberfläche, wo es salzhaltiges Wasser verdrängt. Da Frischwasser bei leicht höheren Temperaturen gefriert als salzigeres Wasser, kann sich an der Meeresoberfläche eine kalte Schicht ausbilden, die das Meereis-Wachstum fördert. In welchem Ausmass dies derzeit geschieht, ist aber unklar.

Generell stellt sich die Frage, wie zuverlässig sich die Entwicklung in der Antarktis mit den derzeitigen Methoden abschätzen lässt. Schon mit dem langjährigen Wachstum des Meereises taten sich Klimaforscher schwer. Wie eine Studie in den «Geophysical Research Letters» zeigte, scheitert selbst die neueste Generation von Klimamodellen daran.

Hohlräume unter Wasser erkunden

Laut dem Erdsystemforscher Eric Rignot von der University of California Irvine kommt diese Diskrepanz vor allem zustande durch die «begrenzten Beobachtungsdaten, die in die Modelle eingehen». Die Antarktis ist eben sehr gross, Satelliten könnten beispielsweise nicht alles erfassen, was unter den Eisflächen oder am Meeresgrund vor sich gehe. «Insgesamt sind grosse Teile des antarktischen Kontinentalschelfs noch nie kartiert worden», schreibt Rignot in einem Kommentar, in dem er eine «breite, umfassende und anhaltende Initiative» fordert, um die Prozesse zwischen Eis und Ozean besser zu verstehen. So seien etwa autonome Unterwasserdrohnen nötig, um Hohlräume unter dem Eis zu erkunden, in die möglicherweise warmes Wasser eindringe.

Das betrifft vor allem die Inlandsgletscher der Antarktis, die sich häufig bis ins Meer erstrecken und dort ins Meereis übergehen. Um grössere Flächen abzudecken, brauche es auch neue Messkampagnen mit Flugzeugen oder suborbitalen Flügen sowie weitere Satellitenmissionen. Dass dies viel Geld kosten würde, liegt auf der Hand. Rignot schätzt die Kosten für all diese Massnahmen auf mehrere Hundert Millionen bis hin zu einer Milliarde US-Dollar.

In der Antarktis ist die Polarnacht vorbei, die Sonne ist aufgegangen, schreibt Robbie Mallett aus der Forschungsstation Rothera. Das Meereis in der Bucht schmelze nun von oben, von der Seite und von unten. «Es ist nicht viel übrig. Und was noch bleibt, wird in Kürze verschwunden sein.»

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