Handball Stäfas Trainer Philipp Seitle«Vorzeitig zu gehen, hätte sich wie Verrat angefühlt»
Für Philipp Seitle geht mit dem NLB-Playoff-Final gegen Chênois die Zeit als Stäfner Cheftrainer zu Ende. Der 37-Jährige blickt bereits jetzt auf bewegende Jahre zurück.
Philipp Seitle, ist Ihnen schon bewusst, dass Ihre Trainerkarriere nach dem absoluten Höhepunkt spätestens nach fünf Partien zumindest fürs Erste enden wird?
Philipp Seitle: Rational ist mir das natürlich sehr bewusst, ich denke oft daran und freue mich sehr auf die freien Abende mit meiner Partnerin und unserem kleinen Sohn. Emotional ist das aber noch nicht ganz angekommen, da steht noch so viel anderes, Intensives im Vordergrund. Und ja, ich werde nächste Saison keine andere Mannschaft übernehmen. Ich habe sämtliche Angebote abgelehnt.
Haben Sie denn viele Anfragen erhalten, seit bekannt wurde, dass Handball Stäfa den Vertrag mit Ihnen nicht verlängert? Auch aus höheren Ligen?
Ja, da ist schon etwas reingekommen, von oben und unten. (lacht) Aber für mich war das alles kein Thema. Ich möchte Zeit mit meiner Familie verbringen – und meiner Partnerin Laura etwas zurückgeben. Sie hat mir in dem Jahr, seit Mats auf der Welt ist, komplett den Rücken freigehalten. Ohne ihre grossartige Unterstützung hätte ich das Traineramt neben meiner Vollzeitanstellung als Betriebsleiter gar nicht mehr ausüben können. Ich bin ihr dafür sehr, sehr dankbar.
Auch wenn die vielleicht wichtigsten Partien Ihrer Zeit hier noch bevorstehen – mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die vier Jahre als Trainer in Stäfa zurück?
Ich würde das eine Jahr als Spieler gerne noch dazurechnen: In diesem habe ich ja einen grossen Teil der Mannschaft kennen gelernt, die im Kern noch heute zusammenspielt. Ich durfte fünf Jahre mit vielen besonderen Jungs im Team verbringen. Wir haben einen sehr engen Draht und führen keine klassische Trainer-Spieler-Beziehung. Ich bin sehr stolz auf die Entwicklung der Mannschaft. Und ich glaube, dass ich als Trainer jeden einzelnen Spieler ein bisschen weiterbringen konnte.
«Ich denke, die Jungs wissen alle, woran sie bei mir sind.»
Und Sie selbst: Inwiefern haben Sie sich an Ihrer ersten Station als Coach weiterentwickelt?
Uff, da gibt es 1000 Dinge. Ich habe dieses Amt ja ohne jede Trainer-Erfahrung übernommen. Es war ein riesiger Lernprozess – der bis heute andauert. Was ich aber von Anfang an immer versucht habe: authentisch zu sein. Ich denke, die Jungs wissen alle, woran sie bei mir sind.
Sehen Sie im Umgang mit den Spielern denn auch Ihre grosse Qualität?
Ja, definitiv, die Ansprache an die Jungs ist eine meiner Stärken. Ich würde von mir behaupten, dass ich sie ganz gut kenne und weiss, was der eine braucht und der andere nicht.
Wie siehts mit dem Taktischen aus?
Darüber mache ich mir heute ganz andere Gedanken als früher, immer wieder neue über unser eigenes Spiel und über den Gegner. Diese Match-Nach- und -Vorbereitung ist das, was am meisten Zeit braucht – mehr noch als die Trainings, die Spiele und die jeweiligen Hin- und Rückfahrten. Um ein guter Trainer zu sein, gehört das aber unbedingt dazu – du kannst den Spielern nicht glaubhaft etwas rüberbringen, wenn du dich nicht selbst intensiv mit der Sportart beschäftigt hast.
Worin sehen Sie Ihren grössten Erfolg mit Stäfa?
Vor fünf Jahren hatte der Verein den Ruf, unbedingt wieder in die höchste Liga aufsteigen zu wollen und dafür teure Ausländer zu verpflichten. Dass wir die Mannschaft dahin gebracht haben, dass sie den NLB-Meister-Titel gewinnt, um den Aufstieg spielt, und das alles fast nur mit Eigengewächsen, ist ein grossartiger Erfolg. Aber der gehört nicht mir allein, vielmehr hat der ganze Staff über Jahre dafür gearbeitet: Daniel Perisa, der seit seinem Abgang als Teammanager sehr fehlt, Physiotherapeutin Conny Anderes und Assistenztrainer Mike Felder.
Dass Sie aber ausgerechnet jetzt Ihr Team zu solchen Erfolgen führen, nachdem der Verein bereits Ende November kommuniziert hat, Ihren Vertrag nicht zu verlängern, erstaunt doch sehr. Wie haben Sie das nur geschafft?
Im ersten Moment hat der Entscheid sicher mehr Unruhe ins Team gebracht, als sich das manche wohl gedacht hätten. Aber auch wenn die Spieler und ich einen engen Draht haben – wir sind alle Sportler genug, um keine Revolte anzuzetteln oder monatelang beleidigt zu sein und dementsprechend zu spielen. Wir betreiben alle einen hohen Aufwand, kommen neben Arbeit oder Studium, zum Teil auch schon als Familienväter viermal in der Woche hierher zum Training, treten am Wochenende zu den Spielen an. Da möchte man auch das Maximum herausholen und in jedem Match wirklich alles geben.
«Den NLB-Final zu erreichen, ist in dieser ausgeglichenen Liga alles andere als selbstverständlich.»
Trotzdem: Dass Ihre Spieler unter einem scheidenden Trainer eine so gute Saison spielen und am Ende auf Platz 1 stehen, ist alles andere als selbstverständlich.
Ich denke, die Spieler haben davor schon erlebt, dass sie mit meinen Tipps, Ideen und taktischen Vorgaben erfolgreich sein können. So habe ich mir über die Jahre ihr Vertrauen erarbeitet. Und nach dem Entscheid gegen meine Vertragsverlängerung habe ich nicht nachgelassen. Ich habe den Jungs gesagt: Die Situation ist, wie sie ist, wir machen jetzt das Beste daraus. Und das haben sie. Den NLB-Final zu erreichen, ist in dieser ausgeglichenen Liga alles andere als selbstverständlich. Die Spieler haben gespürt, dass das dieses Jahr für sie drinliegt, und alles dafür getan, um diese Riesenchance zu nutzen. Wer weiss, wann sie wiederkommt?
Hand aufs Herz: Haben Sie nach dem Entscheid des Vorstands nie daran gedacht, Ihr Traineramt vorzeitig abzugeben?
Nein, denn ich bin so eng mit den Jungs verbunden. Vorzeitig zu gehen, hätte sich für mich wie ein Verrat an ihnen angefühlt. Darum, und nur darum habe ich keine Sekunde daran gedacht. Ich bin mittlerweile aber auch völlig fein mit dem Vorstand. Wir hatten schon Gespräche über meine Zukunft geführt, und ich hatte dabei signalisiert, dass ich darüber nachdenke, nach dieser Saison aus familiären Gründen aufzuhören. Es hätte aber auch sein können, dass ich noch eine Saison drangehängt hätte. Der Vorstand hat mir dann einfach die Entscheidung abgenommen.
Mit welchen Gefühlen gehen Sie nun in den Playoff-Final gegen Chênois Genf, der an Auffahrt mit dem Heimspiel beginnt?
Mit grosser Vorfreude – jetzt, da es mit dem Heimrecht geklappt hat, wir also bis zu dreimal zu Hause antreten können und nie an einem Wochentag nach Genf reisen müssen, umso mehr. Das hat die Ausgangslage ganz schön verbessert.
Was braucht es, um sich gegen die Genfer durchzusetzen?
Vor allem: mentale Stärke. Wenn es uns gelingt, in allen Spielen unser Potenzial voll abzurufen, können wir Chênois dreimal besiegen.
Die Generalprobe vor vier Wochen ist mit einer 29:38-Heimniederlage aber gründlich danebengegangen.
Ja, aber die Genfer haben damals wirklich sehr gut gespielt, während wir einen Abend am unteren Rand unseres Leistungsvermögens eingezogen haben und noch dazu auf den für uns so wichtigen Moritz Bächtiger verzichten mussten. Das Hinspiel in Genf hatten wir aber gewonnen.
Dann wäre da noch Jordan Bonilauri, der 2,13-Meter-Mann am Genfer Kreis. Einer Ihrer Spieler hat vor kurzem gesagt, gegen ihn könne man eigentlich gar nicht verteidigen.
(lacht) Seine Grösse ist natürlich ein Riesenvorteil, und wenn seine Mitspieler ihn hoch anspielen, wird es sehr schwierig, zu verhindern, dass er an den Ball kommt. Aber er hat auch fünf Feldspieler neben und einen Torhüter hinter sich. Wenn wir gegen sie alles richtig machen, kann er uns nicht alleine schlagen. Wir müssen wirklich keine Angst haben vor Chênois.
Zumal der Druck ja aufseiten des Gegners liegt.
Genau. Chênois möchte mit diesem Kader unbedingt in die QHL zurückkehren. Wir dagegen sind als Mannschaft so weit gekommen, dass wir diesen Playoff-Final jetzt natürlich auch gewinnen wollen. Aber das müssen wir nicht – und in Stäfa wären wohl nicht wenige froh, wenn wir verlieren und dem Verein dieses verrückte Abenteuer erspart bleibt.
Wegen des zusätzlichen Aufwands für eine Saison in der QHL und wegen der Abgänge mehrerer Leistungsträger, die es noch schwerer machen würden, in der höchsten Liga zu bestehen?
Ja, natürlich. Der Leistungsunterschied zwischen beiden Ligen ist riesig. Nach einem Aufstieg würde es für Stäfa schon kompliziert genug, wenn das Team unverändert zusammenbliebe. So aber kann ich verstehen, wenn die Verantwortlichen im Club zum Schluss kommen, dass die QHL eigentlich ein Wahnsinn wäre. Trotzdem sind auch sie Sportsleute genug, um uns nicht von vornherein zu bremsen.
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