«Voice of Europe»-AffäreLiessen sich AfD-Spitzenkandidaten aus Russland bezahlen?
Tschechiens Geheimdienst kann der Nummer zwei auf der Europawahlliste der AfD angeblich die Entgegennahme von Geld nachweisen. Auch die Nummer eins steht in Verdacht.
Es geht nicht um ein paar Hundert oder ein paar Tausend Euro, sondern um grosse Summen, bezahlt in bar oder in Kryptogeld: von «fast einer Million» sprachen Fahnder zunächst, von einer hohen sechsstelligen Zahl später. Die Gelder, so die Deutung, hätten nicht der Bezahlung von Spesen oder Ähnlichem gedient, sondern seien Teil einer «verdeckten Finanzierung» des anstehenden Europawahlkampfs gewesen.
Seit letzter Woche sorgt ein in Prag ansässiges prorussisches Medienportal namens «Voice of Europe» vor allem in Belgien und Tschechien für Aufregung. Als Mann hinter dem Portal haben Behörden den Geschäftsmann Wiktor Medwetschuk ausgemacht. Der gebürtige Ukrainer ist ein enger Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin und soll von diesem nach dem Einmarsch in die Ukraine offenbar als prorussischer Statthalter und Nachfolger von Präsident Wolodimir Selenski in Kiew vorgesehen gewesen sein.
«Schlag gegen den russischen Propagandaapparat»
Auf Medwetschuks Portal breiteten rechtspopulistische und -extremistische Politiker aus vielen Ländern Europas die russische Weltsicht aus. Ziel der Propaganda war es, die Unterstützung des ukrainischen Überlebenskampfs zu unterminieren. Daneben soll russisches Geld an Abgeordnete aus sechs Ländern geflossen sein: aus Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Polen und Ungarn.
Ein halbes Dutzend europäischer Geheimdienste sei an der Aufdeckung der verdeckten russischen Einflussoperation beteiligt gewesen, unter anderem der deutsche Verfassungsschutz, meldete der «Spiegel», der als eines der ersten Medien darüber berichtete. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser sprach von einem «wichtigen Schlag gegen den russischen Popagandaapparat».
Die AfD mischte bei «Voice of Europe» eifrig mit. Die Spitzenkandidaten ihres Europawahlkampfs, Maximilian Krah und Petr Bystron, nahmen in langen Interviews Russland vor angeblich ungerechtfertigten Vorwürfen in Schutz. Beide kennen Medwetschuk und dessen Leute seit Jahren. Man schätzt sich.
Laut der tschechischen Zeitung «Denik N» verfügt der tschechische Geheimdienst BIS über Audioaufnahmen, die belegen, dass Bystron russisches Geld entgegengenommen hat. Die Zeitung zitierte fünf Minister, die vom Geheimdienstchef darüber unterrichtet worden seien. Es handle sich um «felsenfeste Beweise», sagte ein Minister, schränkte aber ein, dass er die Aufnahme nicht selbst gehört habe.
Die AfD-Spitze lädt Bystron am Montag vor
Die AfD-Spitze ist jedenfalls alarmiert. Alice Weidel und Tino Chrupalla haben Bystron bereits vorgeladen: Am Montag soll die Nummer zwei der Europawahlliste vor dem Vorstand in Berlin erscheinen, um sich zu rechtfertigen.
Bystron selbst sagte deutschen Medien, er habe sich in der Sache «nichts vorzuwerfen». Es handle sich um eine «Diffamierungskampagne», die angeblichen Belege seien ein «Werk westlicher Geheimdienste». Wenn die Aufnahmen existierten, solle man sie veröffentlichen. In einem Schreiben an Weidel und Chrupalla dementierte der 51-Jährige am Donnerstag die Entgegennahme von russischem Geld erstmals förmlich. Er gehe dagegen juristisch vor.
Krah hatte entsprechenden Verdächtigungen von Beginn weg hart widersprochen. In der «Welt» ging die Nummer eins der Wahlliste noch einen Schritt weiter und forderte pikanterweise Sanktionen gegen seinen Mitstreiter: «Petr Bystron sollte bis zur Klärung der im Raum stehenden Vorwürfe keine Wahlkampfauftritte absolvieren.»
Bystron und Krah gelten selbst in der russlandfreundlichen AfD als besonders Kreml- und Putin-hörig. Krah suchte in der Vergangenheit zudem die Nähe zu Chinas Regime. Auch in diesem Zusammenhang hatten Medien über den Verdacht berichtet, chinesisches Geld fliesse in die Wahlkampagnen des Europaparlamentariers.
Bei Bystron hat die Nähe zu Russland auch einen biografischen Hintergrund: Der Politiker ist in der damals kommunistischen Tschechoslowakei aufgewachsen und 1988 mit seinen Eltern nach Westdeutschland geflüchtet. Schon früh suchte er den Kontakt zu osteuropäischen Neofaschisten. Auch der Basler Rechtsextremist Eric Weber arbeitete eine Zeit lang für ihn.
«Das haben schon eure Grossväter versucht …»
Ginge es nach Bystron, dürfte Deutschland Russland weder sanktionieren, noch dürfte es der Ukraine Waffen liefern. Als im Bundestag die Lieferung deutscher Leopard-Kampfpanzer verhandelt wurde, rief Bystron den Befürwortern mit Verweis auf den Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen die Sowjetunion zu: «Das haben schon eure Grossväter versucht …»
2017 wurde Bystron vom bayerischen Verfassungsschutz wegen demokratiefeindlicher Umtriebe beobachtet. Vor allem seine Nähe zur rechtsextremistischen Identitären Bewegung hatte die Behörden aufgeschreckt. Offiziell hält die AfD Abstand zu den Identitären, in Wahrheit arbeiten sie oft eng zusammen. Bystron schrieb in einem Artikel, die Partei müsse «ein Schutzschild für diese Organisation» sein.
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